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Father John Misty

Guy Lowndes

On The Human Condition

Es ist wahr: Der großspurige Alleskönner Father John Misty hat ein größenwahnsinniges Album aufgenommen, auf dem es um alles geht. „Pure Comedy“, Platte des Jahres.

von Philipp L’heritier

Father John Misty ist ein Troll und ein Meme. Der größte Zyniker, ein komischer Schlingel, pompöser Poser und der glühende Untergeher. Endgültiger Romantiker, Zerstörer und Hoffnungsspender.

Father John Misty hat eine Platte gemacht, die er in den letzten Wochen in einem unerhörten Promo-Marathon in zig Interviews und mit Show-Auftritten da und dort mit größtmöglichem Impact in die Welt zu tragen versucht. Er hat Meinungen zu alles und jedem, ist sich nicht zu schade, Musikerkollegen, Journalisten, Publikum mit seinem sarkastischen Habitus höflich ans Bein zu pissen.

Kürzlich hat er drei so genannte „Generic Pop Songs“ – die nicht auf dem Album enthalten sind – veröffentlicht, die aktuelle Chart-Trends und wertlose Textbausteine zu den absoluten Klischee-Schichtungen verdichten. Father John Mistys Generic Pop Songs sind perfekt in ihrem leeren Songwriterhandwerk – man muss den Mann danach hassen.

Der Ursprung und die Lösung aller Probleme

„Pure Comedy“ heißt das neue Album von Father John Misty, und man muss sich nicht arg anstrengen, um da gleich den zynischen Ton rauszuschmecken. „Pure Comedy“ – so lustig ist das Leben ja gar nicht.

Es ist ein Album, auf dem es um nicht weniger geht als die Menschheit und die Erde, den Untergang, Religion, Kunst, Politik, Entertainment, Ironie und den großen Schmerz, Revolution und Erlösung. In gut 80 Minuten Laufzeit, in Liedern, die gerne einmal über sechs Minuten oder auch 13 Minuten lang dauern, textmächtig, oft auch ohne Refrain.

Das Artwork zeigt ein üppiges, detailreiches Wimmelbild, eine Art Comicversion des „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch, Menschen bei der Völlerei, bei Mord und Totschlag, bei religiösen Ritualen, beim Durchdrehen.

„Pure Comedy“ zeigt den Menschen in all seinem Wahnsinn, in seinen Unzulänglichkeiten – mit diesem Album soll noch einmal die Kunstform „Album“ gestemmt werden, ein Meisterwerk, man merkt es. Es glückt. Denn auch Father John Misty selbst, so sagt diese Platte nämlich, man soll das nicht vergessen, ist einer von diesen Menschen.

Was können wir wissen?

Im Jahr 2012 hat sich der ursprünglich aus Maryland stammende Musiker Joshua „Josh“ Tillman als Father John Misty neu erfunden. Davor hatte er schon unter bürgerlichem Namen acht recht solide, wenn auch kaum revolutionäre, kleine Folk-Alben veröffentlicht und den sympathischen Zauselbärten von den Fleet Foxes kurzzeitig und ohne großes kreatives Mitspracherecht seine Dienste an Schlagzeug und Background-Gesang geliehen.

„Fear Fun“, das erste Album von Father John Misty, hat, thematisch noch recht privat gesteckt, die Frage gestellt: Wer bin ich denn jetzt so eigentlich? Was macht dieser Father John Misty denn so? „I Love You, Honeybear“ aus dem Jahr 2015 hat dann das große Thema Liebe bespiegelt und vornehmlich Tillmans damals noch frisch zuckende Ehe gefeiert – auf „Pure Comedy“ geht es jetzt also um alles, es heißt: Was soll das alles? Was wollen wir, was sollen wir? Die Antwort lautet auch: Es ist schon auch sinnlos alles, und das ist eine Befreiung. Wir machen den Sinn.

„Pure Comedy“ heißt auch gleich das Eröffnungsstück auf „Pure Comedy“, es muss gleich die thematische Klammer zum mächtigen Manifest geöffnet werden: Als außerweltlicher Beobachter und allwissender Erzähler beschreibt Father John Misty hier die Menschen als Spezies, deren Hirn nur halb funktionstüchtig sei.

Um mit dem Leben irgendwie zurechtzukommen, retten wir uns in die Religion und ins Entertainment, wir wählen Führer und fressen gern. Davon hat man schon gehört. Father John Misty gelingt aber der Drahtseilakt zwischen Predigerton und nutzlosem Zeigefinger, Albernheit, Abgeklärtheit, der Lächerlichmachung von sich selbst. Und Optimismus: „Hate to say it, but each other’s all we’ve got“, so geht die letzte Zeile in dem Stück.

Sing us a song, you’re the piano man

Musikalisch ist das alles genau ausgemessen und hat den großen Hit nicht nötig: Oft minimalistisch, bloß von Klavier oder akustischer Gitarre begleitet wälzt Father John Misty sein ellenlanges Textwerk aus. Man muss sich darin vertiefen, es als Literatur begreifen.

Dann wieder wird mit allen Streichern und Trompeten, mit Gospelchor aufgefahren, jedoch immer ohne falsches Schmalz, oft schief, verbeult neben der Spur laufend.

Father John Misty - "Pure Comedy"

Sub Pop/PIAS

„Pure Comedy“ von Father John Misty erscheint über Sub Pop/PIAS.

Das 13-minütige Kernstück „Leaving LA“ ist da Highlight. In soundsovielen Zeilen und Bildern, von denen man sich hundert merken wollen wird, erzählt Father John Misty vom Rockstarfame und von der Presse, von der Werbung, von der Politik, vom Saufen, von der Selbstherrlichkeit: „So reads the pull quote of my last cover piece, entitled ‚The Oldest Man In Folk Rock Speaks‘.“

Dazu laufen Streicherarrangements nahezu parallel zum eigentlichen Song, sie dringen unaufdringlich in die eigene dumpfe Wahrnehmung. Arrangiert hat sie Gavin Bryars, ewig legendärer Komponist hinter den minimalistischen Klassikern „Jesus’ Blood Never Failed Me“ und „The Sinking of the Titanic“.

So funktioniert diese Platte: Fast schon beschwingte Nummern mit bitter-verschmitztem Inhalt erwecken die Geister von Pianomännern der 70er zum Leben, Randy Newman, früher Elton John, Harry Nilsson. Kalifornischer Softrock, die Sonne scheint verdächtig, dann wieder wird es karg.

Ein lakonischer Erzählduktus wie in den an der Oberfläche ereignislos dahinschaukelnden Sprechsingsangliedern von Bob Dylan oder Leonard Cohen, der keine Hooks braucht, wird dann doch immer wieder durch kleine melodiösen Schlenker aufgerüttelt. Immer wieder, wohl dosiert, gleitet Father John Mistys warmer Bariton ins Falsett, kurz dürfen die Tränen kommen. Father John Misty ist ein guter Sänger.

We shall be released

Nach aller Technologie-Kritik und Selbstgeißelung, nach Götterverbrennung, Gift, Schuld und Sühne und dem Ende des Planeten bleibt im Abschlusssong „In Twenty Years Or So“ auch Father John Misty die Liebe. Er schaut einer geliebten Person ins Gesicht. Der Mann am Klavier spielt ein schönes Lied, man trinkt Drinks: „It’s a miracle to be alive“, heißt es da. Und so lauten die letzten Zeilen auf „Pure Comedy“: „There’s nothing to fear“. Father John Misty singt sie dreimal. There’s nothing to fear. There’s nothing to fear.

Father John Misty macht, was kein anderer im Moment macht. Hinsichtlich Image-Engineering, mit diesem Album. Er hat sich eine Persona ausgedacht, in der die schrillste Pose und das große Herz ineinander aufgehen, er biedert sich nicht an und macht damit die steilste Werbung für sich selbst und sein Produkt. Er schimpft auf Produkte.

„Two Wildly Different Perspectives“ nennt sich ein Song auf „Pure Comedy“, er weiß, dass die Welt voller Widersprüche ist, und auch wir – die zwei rasend unterschiedlichen Perspektiven können beide die Wahrheit sprechen – und alle anderen dazwischen auch. Analyse, Augenzwinkern und Intimbohrung, ewige Lieder. Diese Platte wird überleben, im prächtigen Glanz.

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