FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Die Sprache der Hoffnungsvollen

Vor hundert Jahren starb der Erfinder des Esperanto, Ludwik Zamenhof. Die Plansprache selbst feiert heuer ihren 130. Geburtstag. Auch in Österreich gibt es weiterhin einige „Esperantisten“, die die Sprache lernen und sprechen. Wir waren bei einer Lernrunde in Wien dabei.

von Lukas Lottersberger

Eine Buchhandlung im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Trotz Ladenschluss herrscht an diesem Abend reges Treiben im Verkaufsraum. Das Schild an der Eingangstür verrät warum: Geschlossene Gesellschaft - Esperanto Rondo.

Die Esperanto Rondo ist eine Lerngruppe, die sich alle zwei Wochen trifft, um die weltweit verbreitetste Plansprache Esperanto zu lernen. Bei Schwedenbomben, Laugenbrezeln und Mannerschnitten werden Texte vorgelesen und übersetzt, sowie Fragen zu Grammatik und Vokabular beantwortet.

Die Esperanto-Rondo im Gespräch mit Lukas Lottersberger

Uwe Stecher

Die Esperanto Rondo im Gespräch mit Lukas Lottersberger

Die Runde ist bunt gemischt. Der jüngste Teilnehmer ist Daniel. Der gebürtige Russe geht in die achte Klasse Gymnasium. Neben Russisch, Deutsch und Esperanto spricht er noch Ukrainisch, Englisch und Französisch. Keine drei Monate ist es her, dass er mit einer Smartphone-App begonnen hat, Esperanto zu lernen. Den heutigen Übungstext übersetzt er fehlerfrei.

In der Lernrunde sitzen an diesem Abend auch: eine FH-Studentin; eine junge Frau, die zweisprachig mit Deutsch und Kroatisch aufgewachsen ist; ein französischer Expat, der in Wien arbeitet; sowie ein Gast aus der Slowakei, der dort in Bratislava aktiver Esperantist ist. Außerdem noch vier Leute, die Esperanto praktisch fließend sprechen. Vom blutigen Anfänger bis hin zum Profi ist alles dabei.

Ein Kartenspiel auf Esperanto

FM4/Lukas Lottersberger

Ein Kartenspiel auf Esperanto

Die Esperantisten-Runde hat den Übungstext fertig übersetzt, und nach der Arbeit folgt ein Spiel: „La Ludo de la nuda vero“ - das Spiel der nackten Wahrheit. Abwechselnd zieht jedeR eine Fragenkarte und muss diese sowohl auf Esperanto vorlesen, als auch beantworten. Entweder nur mit „Jes“ oder „Ne“, oder ausführlicher.

„Ĉu vi indulgas homojn kiu ne toleras kritikon?“, fragt Mateja. Ob sie Menschen erträgt, die keine Kritik vertragen. „Ne“, antwortet sie sehr bestimmt - die Runde lacht. Keine Diskussion bei dieser Frage.

Zwei Jubiläen in einem Jahr

Am diesjährigen Karfreitag jährt sich der Todestag des Esperanto-„Erfinders“ Ludwik Zamenhof zum hundertsten Mal. Vor 130 Jahren hatte der polnische Augenarzt das Fundament für die Sprache gelegt. Seine 16 Regeln sind weiterhin gültig. Zamenhofs Vision war es, eine einfach zu erlernende, völkerverbindende Weltsprache zu erschaffen.

Esperanto-Erfinder Ludwik Zamenhof

Gemeinfrei

Esperanto-Gründer Ludwik Lejzer Zamenhof

Die SprecherInnen sind über den ganzen Globus verteilt - eine Art „Weltsprache“ ist Esperanto also durchaus. Den Status als offizielle Amtssprache hat es jedoch in keinem einzigen Land. Wie viele Menschen heute Esperanto sprechen, lässt sich nur schwer sagen. Die Schätzungen schwanken zwischen einigen Hunderttausend bis hin zu wenigen Millionen. Viele der SprecherInnen sind keine Mitglieder in einer der zahlreichen Esperanto-Organisationen und somit nicht erfasst, daher auch die ungenauen Schätzungen. Die wichtigste österreichische Esperanto-Organisation ist der Aŭstria Esperanto-Federacio (AEF).

Es gibt auch eine Internationale Esperanto-Jugend: Die Tutmonda Esperantista Junulara Organizo - TEJO vereint Esperanto-Jugendorganisationen aus rund 40 Ländern.

Ihr heuriger Kongress findet in Togo statt.

Die Esperantisten kamen häufig aus der internationalen Arbeiter- und Friedensbewegung. Sie waren immer wieder Opfer von Verfolgung unter autoritären Regimes. Nicht nur den Nationalsozialisten waren sie suspekt, sondern auch in der UdSSR unter Stalin waren sie der Staatssicherheit wegen des kosmopolitischen Charakters der Sprache ein Dorn im Auge. Schließlich sendeten damals einige westliche Auslandsradiosender Informationen auf Esperanto.

Noch heute senden einige internationale Radiosender wie etwa Radio Vatikan und Radio China International Programme auf Esperanto. Neben den Angeboten dieser staatlichen Medien, gibt es eine Reihe von kleineren Publikationen aus verschiedenen Ländern, Online-Magazine und Portale, Blogs, Podcasts - und auch die Wikipedia kann man auf Esperanto lesen.

Das „Eisenbahner-Englisch“

„Nach dem zweiten Weltkrieg haben viele Eisenbahner Esperanto gelernt, weil sie einen Zuschuss bekommen haben, wenn sie eine Sprache gelernt haben“, erzählt Uwe Stecher, einer der fortgeschrittenen Sprecher in der Runde und Mitglied im AEF. Freilich ließen sich viele diesen Zuschuss nicht entgehen.

Auch in anderen Ländern war die Sprache unter Eisenbahnern beliebt und es gab zahlreiche Eisenbahner-Esperanto-Vereine. Bis 2009 gab es in Österreich die „Aŭstria Fervojista Esperanto-Federacio“, in der sich die Sprecher organisierten. Scherzhalber bezeichnete man die Plansprache gerne als „Eisenbahner-Englisch“.

Mittlerweile hat sich das „echte“ Englisch in weiten Teilen der Welt als Lingua Franca durchgesetzt. Warum sollte man also heute noch Esperanto lernen? „Es ist eine Sprache auf Augenhöhe“, sagt Petr, der slowakische Gast und bringt dazu ein Beispiel: „Wenn ein Ire, ein Finne und ein Italiener beisammensitzen und man spricht Englisch, hat der Ire einen klaren Vorteil. Bei Esperanto hingegen wird niemand bevorzugt oder benachteiligt.“

„Wenn jemand Italienisch, Türkisch oder sonst eine Sprache lernt, fragt man ja auch nicht: ‚Wieso lernst du ausgerechnet diese Sprache?‘“

Uwe wundert sich über die Frage: „Wenn jemand Italienisch, Türkisch oder sonst eine Sprache lernt, fragt man ja auch nicht: ‚Wieso lernst du ausgerechnet diese Sprache‘. Es ist ein Hobby, es macht Spaß“, erklärt der Esperantist, der auch regelmäßig auf Esperanto-Kongresse fährt und in der Community gut vernetzt ist. Dort habe er schon viele, nette Leute aus aller Welt kennengelernt, „das ist eine Bereicherung“, meint er, und Grund genug, sich für Esperanto zu interessieren.

Für eingefleischte Esperantisten ist Esperanto nicht nur eine Sprache, sondern auch eine Einstellung. Man hält die Kultur, die sich über die Jahre um die Sprache entwickelt hat, hoch.

Die Faszination für Esperanto hat unterschiedliche Gründe, und die Esperantisten glauben, dass diese weiterleben wird: „Wenn jeder Esperantist mindestens eine Person mitnimmt ins ‚Esperanto-Land‘, dann stirbt Esperanto bestimmt nie aus“, ist Esperantistin Franziska überzeugt. Das Wort „Esperanto“ kommt schließlich von Hoffnung - und die stirbt, wie man weiß, zuletzt.

Aktuell: