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Mangos auf einem Trockennetz

Valerie Kattenfeld

Weltreise-Blog

„Die Natur schenkt uns immer die Fülle“

Ohne Kühlschrank, mit Klo im Wald und Teich als Badewanne ist der Alltag am Land in Paraguay recht naturverbunden

von Valerie Kattenfeld

Wir fahren in die Abenddämmerung, die hier in Paraguay ganz kurz ist. Während der Himmel noch hellblau und von rosa Streifen durchzogen ist, liegen die Bäume und Felder schon in dunklen Silhouetten. Ich sitze vorne am Panoramafenster, weil ich nicht bei einer regulären Station aussteige. Der Busfahrer bietet mir einen Schluck Terere an, die gekühlte Version von Mate-Tee. Ich ziehe an dem metallenen Strohhalm, der unten ein Sieb hat. Dem bitteren Geschmack lächle ich tapfer entgegen und mache „Mmmhhh!“. Der Busfahrer nickt anerkennend.

Valerie Kattenfeld bloggt seit Dezember 2016 von ihrer Weltreise

Mit einem Terere bekommt man in Paraguay die Freundschaft desjenigen angeboten, der ihn ausschenkt. Ein meist kunstvoll gearbeiteter Becher aus Holz oder Keramik wandert zwischen dem Ausschenkenden und den anderen der Runde hin und her. Terere wird in Paraguay immer und überall getrunken: im Park, bei Veranstaltungen, in den Verkehrsmitteln. Was mir im Straßenbild als erstes aufgefallen ist, sind die Thermoskannen, die an einem Henkel baumelnd herumgetragen werden. Männer haben sie so selbstverständlich bei sich wie bei uns die Damen ihre Handtaschen.

Ein Trinkbecher aus Metall

Valerie Kattenfeld

„Tranquilo“ - immer mit der Ruhe in Paraguay

„Tranquilo - ruhig, war eines der ersten Wörter, die ich hier gelernt habe“ erzählt mir Brigitte aus Oberösterreich, die vor sechs Jahren nach Paraguay ausgewandert ist. Wir haben uns über eine gemeinsame Freundin auf Facebook kennengelernt. Nach vier Monaten chatten steht sie nun endlich vor mir: mit Leggings, gelbes Trägerleiberl, Brille und die langen, weißen Haare locker hochgesteckt.

Brigitte ist mit dem Paraguayaner Lucio verheiratet und bewirtschaftet mit ihm ein fast drei Hektar großes Grundstück. Ich darf eine Woche lang unterm Moskitonetz in der kleinen Holzhütte für Gäste schlafen und einen kleinen Teich als Badezimmer benutzen. Eines sollte ich aber beachten, wenn ich nachts ins Freie gehe: „Immer gut leuchten - es gibt hier die Tarantula-Spinne und Schlangen. Du brauchst keine Angst haben, nur wenn du auf die Spinne draufsteigst, das mag sie nicht so gern.“

Valerie vor einer Holzhütte

Valerie Kattenfeld

Brigitte hat ihren eigenen Humor, an den ich mich ebenso gewöhnen muss wie an ihre etwas altkluge Art. Als ich etwa zweifle, ob wir die selbstgemachte leicht angeschimmelte Groselia-Marmelade weiter essen sollten, darf ich mir einen Vortrag über die Zimperlichkeit der Wohlstandsgesellschaft anhören. „Wenn etwas noch gut riecht, wieso sollte man es dann nicht essen? Deinem Körper kannst du vertrauen.“ Der Schimmel wird ohne viel Aufsehen von Brigitte weggelöffelt. Ein Kontra-Statement zu dem Usus, Joghurts, die über dem Mindesthaltbarkeitsdatum sind, ungeöffnet wegzuwerfen.

Wissen, woher die Nahrung kommt

Hier auf dem Grundstück von Brigitte und Lucio wird jeden Monat etwas anderes reif: Maniok, Mais, Bohnen, Avocados, Erdnüsse, Litschi, Limetten und vieles mehr. Die Milch gibt es direkt von der Kuh vom Nachbarn. Paraguay eröffnet mir einen neuen Bezug zu Obst, das für mich bisher nur aus der Kiste im Supermarkt gekommen ist (von unseren Zwetschkenbäumen im Weinviertel mal abgesehen). Unzählige Früchte sehe ich das erste Mal in ihrem Originalzustand. Die Frucht der Ananas wird zwischen langen spitzen Blättern wie eine Blüte hervorgebracht. Noch unreife, tennisballgroße Wassermelonen liegen am Feld herum wie Kürbisse. Den ganzen Tag über hört man reife Mangos mit einem satten „Plump“ ins Laub fallen. Jeden Morgen bringe ich die nicht-matschigen zu Brigitte und wir schneiden sie in feine Scheiben. Diese werden auf ein Netz über dem Dach aufgelegt, um zu trocknen.

Freiwillige Helferinnen und Helfer sind bei Lucio und Brigitte das ganze Jahr über herzlich willkommen. Genauere Infos darüber auf ihrem workaway Profil

Während uns der klebrige Saft über die Finger rinnt, erzählt mir Brigitte, dass das Wort Paraguay am Anfang ihrer Emigration gestanden ist. „Ich wusste zuerst gar nicht, was das ist. Klar, in der Schule irgendwann mal davon gehört. Dann habe ich gegoogelt: Aha, ein Land in Südamerika. Von Gott oder dem Universum oder wie auch immer du das nennen möchtest, habe ich diesen Ruf bekommen. Der dann immer konkreter geworden ist. Schließlich hat er mich zu den Ureinwohnern geführt.“

Ältere Frau im Kleid

Valerie Kattenfeld

Brigitte

Die Ureinwohner Paraguays - eigentlich ein Nomadenvolk

Die Ureinwohner sind ursprünglich ein Nomadenvolk, werden aber durch den zunehmenden privaten Landbesitz daran gehindert, ihren Wegen zu folgen. Immer wieder gibt es Proteste, bei denen die Stämme das unrechtmäßig verkaufte Land von der Regierung zurückfordern, immer wieder werden sie vertröstet. Wenn sie dennoch auf privatem Land ihr Lager aufschlagen, gibt es brutale Räumungen - selbst dann, wenn der Besitzer gar nicht anwesend ist. Brigitte und Lucio reisen jedes Jahr mehrere Monate zu den Stämmen Angaite, Enxet und Ava Guarani, um sie bei der Bewirtschaftung von Land zu unterstützen.

Viele der Grundbesitzer stammen aus dem deutschsprachigen Raum. Nach Kanada, den USA und Australien ist Paraguay das viertbeliebteste Auswanderungsland bei den Österreicherinnen und Österreichern. Die Einreisebestimmungen sind locker: neben den üblichen Dokumenten muss man lediglich ein Kapital von 5000US$ vorweisen oder hier bereits ein Grundstück gekauft haben. Dabei empfiehlt sich allerdings eine rechtliche Prüfung, bevor man einen Vertrag unterschreibt. Beim nachmittäglichen Terere-trinken erzählt Lucio die Geschichte einer Bekannten, die von einem der Nachbarn betrogen wurde. Sie hatte ihm einen hohen Preis für das Grundstück bezahlt und Monate lang alles für die Auswanderung organisiert. Als sie mit einem Lastwagen voller Möbel und Sachen hier ankam, sagte er: „Grundstück? Haus? Du hast hier nichts. Du hast nur in meine Stiftung investiert.“

Die Nachbarschaft ist klar unterteilt - arm und reich gesellt sich nicht gern. Trotzdem fehlt es Lucio und Brigitte, die sich finanziell mit viel Improvisation von einem Monat zum nächsten hanteln an Nichts. „Die Natur schenkt uns immer die Fülle. Und auch mit dem Geld geht es sich immer aus. Erst wenn du anfängst nachzurechnen - dann ist es auf einmal zu wenig.“, sagt sie augenzwinkernd. Obwohl mir die Brigitte-Weisheiten in dieser Woche etwas zu viel des Guten sind: diese gehört zu denen, die ich mir sorgfältig einpacke und mitnehme.

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