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Ein Georgier in Berlin

Zaza Burchuladze wühlt in „Touristenfrühstück“ in der Schatzkiste der Erinnerungen. Da geht es um eine verlorene sowjetischen Kindheit, eine postsowjetischen Jugend und fehlende Beleidigungen in Berlin.

Von Anna Katharina Laggner

Als „Touristenfrühstück“, erfährt man in „Touristenfrühstück“, hat man in der Sowjetunion die billigsten aller Nahrungsmittelkonserven bezeichnet. Etwas, das Zaza Burchuladze, beziehungsweise der Ich-Erzähler in „Touristenfrühstück“ nie zu sich genommen hat. Denn in seiner Kindheit haben die Großmütter (eine davon „elefantengroß“) die Familie mit herrlichsten Kuchen und Torten versorgt und hat die strategische Position eines Großvaters für einen nie enden wollenden Strom an Delikatessen gesorgt. Hocheffizient in der Annahme von Schmiergeldern, wurde dem Sowjetfunktionär ein Mal pro Woche zwei Taschen Essen („Trüffelpilze und Krabbenfleisch“) zugestellt.

Vor zwei Jahren hat Zaza Burchuladze in seinem zynisch bitteren Roman „adibas“ über Tbilissi im Sommer 2008 geschrieben, als es einen kurzen, heftigen Krieg in Georgien, konkret in Südossetien, gab. Doch in „adibas“ schert sich die Tifliser Jugend, diese südkaukasische Jeunesse Dorée, nur darum, hip auszusehen, hippe Musik zu hören und auf hippen Parties dreckigen Sex zu haben. Zaza Burchuladze hat in lakonischem, distanziertem, fast affektiertem Stil die Leere der Oberflächlichkeit durchpflügt. Wiederholt hat der Autor die georgisch-orthodoxe Kirche kritisiert. Nachdem er in Tbilissi von Unbekannten tätlich angegriffen wurde, lebt Zaza Burchuladze heute in Berlin.

Buchcover "Touristenfrühstück"

Blumenbar Verlag

„Touristenfrühstück“ - übersetzt aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani ist im Aufbau Verlag unter der Marke blumenbar erschienen.

In jener Stadt, von der es in „Touristenfrühstück“ heißt, sie stehe wie eine Notdienstapotheke rund um die Uhr allen offen. Hier wird der Ich-Erzähler nicht mehr mit Haute Cusine versorgt, sondern bekommt Tabletten gegen seine Hepatitis C-Erkrankung zu seiner großen Verwunderung ebenfalls geschenkt. Dennoch, etwas fehlt. Am meisten die Erniedrigungen; „in Tbilissi waren sie Teil meines natürlichen Zustands und begleiteten mich, zu Hause oder unterwegs, auf Schritt und Tritt.“

In Tbilissi würde einen jeder, ob Passant oder Familienmitglied ständig beleidigen und erniedrigen. Das sei im politisch korrekten Berlin ein Luxus.

Es ist schwer zu sagen, worum es in „Touristenfrühstück“ geht, beziehungsweise nicht geht, denn alles ist dem Autor Anlass zu Assoziationen, zu lose zusammenhängenden Szenen der Erinnerung. Ein Tulpenverkäufer am Görlitzer Bahnhof führt Burchuladze zu einem Gemetzel im April 1989, bei dem in Tbilissi rund zwanzig Menschen ums Leben gekommen sind und weiter zur Melancholie und dem allgegenwärtigen Singen in Georgien. Er erzählt von einer über 100-jährigen Großmutter, die zusammen mit einer Videokassette von „Dirty Dancing“ begraben wurde, von einem als „Frauenauto“ bezeichneten Peugeot 207, das sich in eine Rakete verwandelt und dem Ich-Erzähler ein dauerhaftes Hüftleiden beschert hat und davon, dass er in einer Humana-Filiale krepieren möchte.

Zaza Burchuladze spielt mit dem realen und dem imaginären Ich, mit den Identitäten als Vater, Autor, Fremder, Ehemann, Freund, öffentliche Figur. Sie alle verschmelzen und ko-existieren durch den Wahrnehmungsfilter einer vergangenen, einer verlorenen sowjetischen Kindheit und postsowjetischen Jugend. In welchen inneren Paralleluniversen sich der Exilant in der Fremde befindet, das muss man erst einmal derart detailreich, skurril und, ja: kurzweilig beschreiben.

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