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Zwei Mädchen im Turnsaal, viele Bälle fliegen. Filmstill aus siebzehn

© Orbrock Film

Einmal Gefühlschaos, bitte!

Monja Arts Spielfilmdebüt „Siebzehn“ überrascht und entzückt, weil es mit dem klassischen Coming-of-age-Strickmustern bricht.

Von Maria Motter

Abgeklärtheit kann man Monja Art nicht vorwerfen. „Die Vergangenheit ist oft realer in unserem Kopf als die Gegenwart“, sagt die österreichische Regisseurin und Drehbuchautorin bei einem Publikumsgespräch auf der Diagonale in Graz. Auch in ihrem ersten Kinofilm „Siebzehn“ spielt sich so einiges zu allererst in den Köpfen ab. Teenage Love, Teenage Kicks, gedreht in Niederösterreich.

Es gibt eine Szene in „Siebzehn“, in der die Hauptdarstellerin Paula am Beifahrersitz im Oldtimer ihres Französischlehrers sitzt und auf der Landstraße nach Wien zu einem Sprachwettbewerb chauffiert wird. Auf der Rückbank ist eine Lehrerin als Anstandswauwau mit von der Partie. Paula bemerkt, dass es eigenartig wäre, anzunehmen, dass da etwas mit ihrem Lehrer laufen könnte, wo sie doch genauso gut etwas mit der Lehrerin haben könnte. Angetan von dem Gedanken und dem Kompliment lehnt sich die Lehrerin (Martina Poel) zurück. Der Französischlehrer, jung und schön und schüchtern wie ein unfreiwilliges Austauschkind, schaut noch weit unsicherer, als man es für möglich gehalten hätte. Paula lächelt zufrieden. Und man wünscht sich: Jetzt noch das Fenster runterkurbeln! Und dann kurbelt sie das Fenster runter und es ist ein Moment von Freiheit, wie ihn nur Kino vermitteln kann, und schlicht perfekt.

Teenage Kicks in Lanzkirchen

Dabei arbeitet Monja Art mit ihrem Film konsequent Erwartungshaltungen entgegen. Coming-Of-Age-Filme sind schließlich sehr beliebt, um zugleich Coming-Outs zu erzählen und die Tristesse des Aufwachsens in der Provinz in Tableaus zu rahmen. Auch „Siebzehn“ spielt im grünen Nirgendwo und Liebe ist das Motiv, aber in all ihren Facetten. Die Paula in „Siebzehn“ ist vielen anderen Coming-Of-Age-Charakteren eine Gewissheit voraus. Klar steht die auf Frauen, das wissen in der Schule alle anderen Mädchen. Zu den Burschen scheint es noch nicht durchgedrungen zu sein.

Zwei Mädchen in einer Bar. Filmstill aus Siebzehn

© Orbrock Film

In weißen Blusen und mit kurzen Röcken, für die Mädchen in jeder angelsächsischen High School gemahnt würden, sitzen die Schulkolleginnen in den letzten Stunden vor den Sommerferien in der Klasse. Es gibt die Jahrgangs-Bitch, den erwähnten Französischlehrer, Paulas egoistische Schwester und einen Vater, mit dem etwas ist. Die Abwesenheit der Mutter wird in einem Detail geklärt, bei der Eckbank in der Küche steht ein gerahmtes Porträt. Paula zur Seite stehen eine beste Freundin und ein bester Freund, es ist ein Dreiergespann in der letzten Reihe vom Schulbus. Charlotte hingegen fährt mit ihrem festen Freund im Auto mit. Charlotte ist die, die verstohlen fast immerzu zu Paula schaut.

Ausgezeichnet mit dem Max-Ophüls-Preis

„Siebzehn“ ist sinnlich, ohne auszustellen, und harmlos, aber schon auch ein bisschen aufregend. „Sensibel und entschlossen inszeniert, erzählt dieser wunderbare Film von der ersten oder auch der zweiten Liebe, tiefen Sehnsüchten, der inneren Unsicherheit und der Suche nach der eigenen Identität“, schwärmte die Jury beim Festival Max-Ophüls-Preis und zeichnete „Siebzehn“ als besten Film aus. Dazu gab es beim Festival in Saarbrücken für Elisabeth Wabitsch und ihre Rolle als Paula den Preis als beste Nachwuchsdarstellerin. Und spiel‘ mal glaubwürdig die Jahrgangs-Bitch! Alexandra Schmidt macht das mit einer Konsequenz, dass einem Peter Jacksons Drama „Heavenly Creatures“ wieder in den Sinn kommt. Mit ihr betritt die Unberechenbarkeit jeden Raum. Ein Fuß schlenkert kurz, als die Klassenbitch und Paula auf einem Internatsbett sitzen.

Filmstill: "Siebzehn"

© Orbrock Film

500 Jugendliche gecastet

Monja Art hat 500 (!) Jugendliche für „Siebzehn“ gecastet. Und sie hat dabei nicht nur tolle SchauspielerInnen gefunden, sondern beim Castingprozess eine Geschichte der New York Times verwendet. Die Geschichte „To Fall in Love with Anyone, Do This“ basiert auf einem Experiment des Psychologen Arthur Aron.

„To Fall in Love with Anyone, Do This“
Mandy Lee Catron von der New York Times hat sich an das Experiment erinnert und es versucht. Mit einem Resultat, das ihr Herz doch schneller schlagen ließ: Es klappt! Die Geschichte war eine der erfolgreichsten der New York Times und ist inzwischen auch eine App.

Der hat vor über zwanzig Jahren 36 Fragen zusammengestellt, die Unbekannte einander stellen sollten, um sich ineinander zu verlieben. Auch die KandidatInnen beim Casting bekamen die Fragen und stellten sie einander. Es sind Fragen wie: „Was hast du zuletzt für dich allein gesungen? Und was für jemand anderen?“ und „Was ist zu ernst, um darüber zu scherzen“. So erfährt man in kurzer Zeit viel über einen anderen Menschen.

Dass sich bei den Dreharbeiten tatsächlich jemand verliebt hat, ist nicht überliefert. „Siebzehn“ ist ein Ausflug in ein Teenagerleben am Land in schön verträumter, poetischer Bildsprache mit einer tollen Hauptdarstellerin, mit der anderen DarstellerInnen mithalten können. Monja Art spielt mit dem Gedanken, auch ihren nächsten Spielfilm einem bestimmten Alter zu widmen. Vielleicht wird es 27.

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