FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

The Misandrists

The Misandrists / Crossing Europe / Bruce LaBruce

Frauen an vorderster Front

Eine Posse in einer lesbischen Erziehungsanstalt, in den Bergen mit Guerillakämpferinnen der PKK und die unglaubliche Geschichte der Leyla Imret: Die Heldinnen des Crossing Europe Filmfestivals sind eigenwillig.

Von Maria Motter

Crossing Europe 2017

25. bis 30. April

Alle Infos auch auf crossingeurope.at

An einem Mittwoch um 23 Uhr ins Kino zu gehen, das fühlt sich extravagant an. Aber nur, wenn man zuvor nicht schon aus einem anderen Linzer Kinosaal kommt und weiter in den Ursulinensaal im OK spaziert. Dort findet sich für die Uhrzeit eine beachtliche Zahl Neugieriger ein. Die Late-Night-Show am Crossing Europe hatte gestern der Kanadier Bruce LaBruce mit seinem jüngsten Streich „The Misandrists“ – extravagant ist hier zutreffend! „Wer hat Angst vor der lesbischen Intifada?“ oder „Bruce LaBruce’s Campy Feminist Satire“ waren nur zwei der Überschriften zu Kritiken während der Berlinale. Das verspricht Spaß und Unterhaltung, also auf ins Matriarchat!

„Les Misandrists“

Golden, wie es die Burschenschaft Hysteria hierzulande einfordert, wird es zwar nicht, aber schon in der ersten Einstellung trägt ein Mädchen, das der jungen Charlotte Roche ähnlich sieht, eine rote Baskenmütze wie Hysteria-Mitglied Stefanie Sargnagel und küsst ein anderes Mädchen. Capes sind auch wunderbare Kleidungsstücke. Willkommen in einem Internat auf einem verstaubten Juwel von Location, wo eine Oberin mit ihren Schützlingen einen geheimen Plan verfolgt. Ein Geheimnis haben auch zwei der Schülerinnen: Sie verstecken einen verwundeten jungen Mann im Keller.

The Misandrists

The Misandrists / Crossing Europe

„Les Misandrists“ ist eine postmoderne Posse oder auch einfach nur eine Softporn-Persiflage, reich an Dialogen, die sich über Gender-Theorie und feministischen Diskurs lustig machen und den einen oder anderen Gag liefern („Don’t quote Schopenhauer to me!“), und durchkomponiert fotografiert. Der Film lief auch auf der Berlinale und ist damit eine weitere Bestätigung für die Beobachtung, dass Überblendungen jetzt wieder mehr als angesagt sind. „Remember girls: The closest way to a man’s heart is through his chest“, mahnt die Oberin und wie wird das für den jungen Mann ausgehen? Den Regisseur Bruce LaBruce verortet Markus Keuschnigg, der Kurator der Programmschiene „Nachtsicht“, vor dem Filmbeginn: Der Mann ist Queercore zugeordnet worden. Das wiederum war ein Sprößling der Punk-Subkultur in Toronto, Mitte der 1980er Jahre. 2008 war Bruce LaBruce persönlich in Linz bei der Nachtsicht am Crossing Europe zugegen. Diesmal schickt er nur „Les Misandrists“: Seine ersponnene Female Liberation Army inszeniert er sorgfältig verträumt, manche könnten auch sagen ein bisserl fad.

„Gulîstan, Land of Roses“

Die Optik besticht auch zuallererst in der Dokumentation „Gulîstan, Land of Roses“. Die Filmemacherin Zaynê Akyol begleitet in der kanadisch-deutschen Koproduktion eine Gruppe Guerillakämpferinnen der PKK bis zur Front gegen Daesh, den sogenannten Islamischen Staat. Die Landschaft könnte karger nicht sein, die Protagonistinnen sind Schönheiten. Bei ihren Vorbereitungen auf die Kämpfe in den kurdischen Gebieten im Irak leben die jungen Frauen in einfachsten Verhältnissen in den Bergen, ihre schönen langen Haare waschen sie in Eimern. Krieg, das ist auch über weite Strecken Warten. Abends im Kreis zusammensitzend, erklärt die Anführende, dass jedes Land eine eigene Bombe hätte. Am Heimtückischsten wären die russischen Bomben.

Gulistan Land O f Roses

Gulistan Land O f Roses / Crossing Europe

Beklemmend legen die Interviews mit den selbst organisierten Kriegerinnen offen, wie sehr diese Frauen für ein freies Kurdistan einstehen und man bekommt eine Ahnung davon, was Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der kurdischen Gesellschaft bedeuten könnte. Es sind Kurdinnen und Kurden gewesen, die etwa in den vergangenen Monaten nur wenige Kilometer von der türkischen Staatsgrenze entfernt Daesh-Kämpfer zurückgedrängt haben. Von ihrer Mutter konnte sich eine der Kämpferinnen nicht verabschieden. Unmöglich, der Mutter am letzten Tag zuhause zu sagen, was sie vorhatte.

„Dil Leyla“

Kurdinnen und Kurden, das sind auch jene Leute, die in österreichischen und deutschen Städten an Samstagen in den Fußgängerzonen gegen die Verfolgung ihres Volkes durch den türkischen Staat demonstrieren. Leyla Imrat war fünf, als sie ihr Vater aus der Türkei nach Deutschland zu seiner Schwester bringt. Panzer sind gegen ihr Haus gefahren, daran kann sie sich noch heute erinnern. Und daran, dass ihr Vater über sie gesagt hat, er würde nicht einhundert Söhne gegen seine Tochter tauschen. Nach zwei Jahrzehnten in Deutschland entschließt sich Leyla Imrat, in ihr Geburtsland zurückzukehren. Der Vater ist tot, die Mutter schwer gefoltert worden, die Geschwister erwachsen. Mit 26 Jahren tritt Leyla Imrat in ihrer Geburtsstadt Cizre zur Wahl um das Bürgermeisteramt an und gewinnt. Was als beeindruckendes Porträt einer Bürgermeisterin beginnt, entwickelt sich zum Polit-Thriller: Der Dokumentarfilm „Dil Leyla“ von Asli Özarslan ist außerordentlich bemerkenswert und so spannend.

Dil Leyla

Dil Leyla / Crossing Europe

15000 Bäume lässt Imrat in Cizre pflanzen, bei den Parlamentswahlen im Sommer 2015 legt die prokurdische HDP enorm zu und erreichte 12,7 Prozent. Die Hoffnung auf Demokratie und Gleichheit in der Türkei wird jäh unterbrochen. In Cizre rollen Panzer. „Ich kann dieses Volk nicht lassen, weil es nicht um mich geht“, sagt Leyla Imrat im Film, „Ich fühle mich verantwortlich für diese Menschen“. Im Herbst 2015, während Zentraleuropa mit der sogenannten Flüchtlingskrise beschäftigt ist, führt die Türkei Krieg gegen kurdische Städte. Für die Türkei war Imrats liebender Vater ein PKK-Terrorist. Nachdem ich „Dil Leyla“ gesehen habe, wollte ich mich nach Leyla Imrat erkundigen. Am Crossing Europe erzählt die österreichische Verleiherin des Films, dass sie lebt. Nähere Umstände sind nicht bekannt, Imret musste untertauchen. Regisseurin Asli Özarslan lebt zurzeit in Istanbul.

mehr Film:

Aktuell: