FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Kaffeefilter

CC-BY 2.0 / John Lodder / flickr.com/jlodder

EU-Filterpflicht für Soziale Netze wackelt

Am Dienstag stimmte der Kulturausschuss im EU-Parlament mit überraschend großer Mehrheit gegen Upload-Filter. Noch im März hatte der Ausschuss die Filterpflicht für Internetkonzerne befürwortet.

von Erich Möchel

Die EU-Copyrightnovelle ist nicht der einzige aktuelle Entwurf zur digitalen Agenda, der massiv in die Kritik geraten ist. Auch die bereits weiter fortgeschrittene Richtlinie für audiovisuelle Medien enthält dieselbe, viel kritisierte Vorab-Filterpflicht für Inhalte von Benutzern.Am Dienstag stimmte nun der hier federführende Kulturausschuss überraschend gegen eine solche Pflicht für Upload-Filter. Beobachter werten das als Vorentscheidung auch über die Filter in der Copyrightnovelle.

Noch im März hatte nämlich derselbe Kulturausschuss (CULT) in seinen Änderungsanträge nichts an den Filterparagraphen auszusetzen gehabt. Der offenbare Sinneswandel dürfte auf die zuletzt immer lauteren Proteste europäischer Internetfirmen zurückzuführen sein. Davor hatten Experten wiederholt darauf hingewiesen, dass die geplante Filterpflicht die Quasi-Monopole von Konzernen wie Google oder Facebook noch zementieren würde, die Entwicklung neuer Webservices in Europa würde damit im Keim erstickt.

Copyright

CC

Von „faireren“ Bedingungen für die Kreatoren, wie die EU-Kommission behauptet, kann nicht die Rede sein. Die Kreatoren - also die Urheber - kommen im Kommissionsentwurf kaum vor, es ist auch dezidiert nicht vorgesehen, dass die Autoren an den erwarteten Lizenzeinnahmen der Verlage beteiligt werden.

Internetfilter für „TV ohne Grenzen“

Mitte März hatte der Rechtsausschuss mit der Demontage des Kommissionsentwurfs begonnen, Berichterstatterin ist Therese Comodini Cachia (EPP)

Mit einer deutlichen Mehrheit von 19 zu sieben stimmte der Kulturausschuss am Dienstag gegen eine solche Filterpflicht und legte damit die Position des EU-Parlaments gegenüber dem Ministerrat fest, der mit entscheiden wird. Diese Richtlinie für audiovisuelle Medien, die nun ihr fünftes Update erfährt, hieß ursprünglich „Fernsehen ohne Grenzen“, dann darüber reguliert die EU seit dem Jahr 1989 Satellitenfernsehen, das naturgemäß grenzüberschreitend ist.

Diese TV-Richtlinie wurde zwar bald danach in „audiovisuelle Medien“ umbenannt und mehrmals novelliert, zuletzt wurde sie 2010 um Streaming-Dienste wie Netflix erweitert. Nun sollen Videosharing-Plattformen wie YouTube ebenfalls über „Fernsehen ohne Grenzen“ geregelt werden. Wie jede TV-Regulation enthält auch diese Richtlinie Kapitel zum Jugendschutz. In dessen Namen sollten die Betreiber von Videoplattformen im Internet nun verpflichtet werden, dass nur vorgefilterte und gesichtete Inhalte der Benutzer veröffentlicht dürfen.

Filter als Abrechnungssysteme für Verlage

EU Filterpflicht

CC

Das Amendment zu Rezital 34 der Copyrightrichtlinie im Kulturausschuss beschreibt das Einsetzen des geplanten „Leistungsschutzrechts“, sobald ein Printprodukt in der Trefferliste aufscheint. Auch einzeilige Snippets sollen in dieser „Lex Google“ nach dem Willen von CULT kostenpflichtig werden.

Während es in der Richtlinie „Audiovisuelle Dienste“ um Filter zum Schutz der Jugend vor für sie ungeeigneten Videos geht, werden die Filter in der Copyrightnovelle gleich zum Abrechnungsmodell umfunktioniert. Da auch kürzeste Textschnipsel samt Links zu Medienartikeln kostenpflichtig werden sollen, müssten Suchmaschinenbetreiber wie Google mit sämtlichen Medien kostenpflichtige Lizenzverträge abschließen. Für jede Auflistung eines Medienangebots unter den Suchergebnissen müssten Internetfirmen dann zusätzlich bezahlen. Diese geplante „neue“ Regelung, die eben nicht die neuen technischen Gegebenheiten, sondern das Geschäftsmodell der Printverlage aus den frühen 90er Jahren abbildet, würde sich natürlich nicht auf Quasi-Monopole wie Google beschränken.

Start-Ups müssten Filtersysteme von Google kaufen

„Egal ob eine Plattform überhaupt solche lizenzpflichtige Inhalte enthält, sind die Betreiber gezwungen, Vertragsverhältnisse mit einer unbekannten Anzahl von Rechteinhabern um hunderttausende Euros einzugehen“, so Lenard Koschwitz, Europadirektor des Interessensverbands „Allied for Startups“. Digitales Unternehmertum sei schon jetzt ein Hochrisikogeschäft, die geplanten Voraussetzungen machten es nahezu unmöglich, in der digitalen Sphäre zu reüssieren.

Paradoxerweise müssten Start-Ups die für Uploadfilter nötige Software von den führenden Großkonzernen kaufen, schrieb Koschwitz in einem Gastkommentar für Euractiv. Konzernen wie Google oder Facebook, die der Gesetzgeber nun als Medien einstufen und so regulieren wolle, würden damit enorme Umsätze auf dem Tablett serviert. Tatsächlich verfügt nur ein halbes Dutzend profitabler Internetkonzerne über derartige fortgeschrittene Technologien, deren Effizienz bei der Klassifikation von Inhalten nicht zu beurteilen ist, da sie zu den am besten gehüteten Firmengeheimnissen gehören.

Explodierende Änderungsanträge

Amendments

CC

Die Änerungsanträge im federführenden Binnenmarktausschuss (IMCO), Berichterstatterin ist Catherine Stihler (SPE). Davor hatte schon der Rechtsausschuss (JURI) einige der strittigsten Punkte entschärft.

Seit dem Start einer regelrechten Demontage durch den Rechtsausschuss im März hat der noch unter Ex-Kommissar Günther Oettinger erstellte Kommissionsentwurf zur Copyrightnovelle alleine 576 Änderungsanträge im federführenden Binnennmarktauschuss zu verzeichnen. Dazu kommen die Amendments von fünf weiteren damit befassten Ausschüssen, hier liegen noch nicht alle Ergebnisse vor. CULT hat 78, der Rechtausschuss JURI 75 abgeliefert, insgesamt dürften es also rund um rekordverdächtige 1.000 werden. Soviele Änderungsanträge sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass der betreffende Entwurf schon vom Ansatz her sozusagen „voll daneben“ liegt.

IT Regeln von Auto- und Printkonzernen

Musterbeispiele dafür waren die Telekomnovelle von 2010 und die 2005 nach drei Anläufen kläglich gescheiterte Richtlinie zu Softwarepatenten. Diese beiden Vorhaben haben mit der Copyrightnovelle ein wichtiges Merkmal gemein: Sie betreffen allesamt Informationstechnologien (IT) in weiterem Sinne. In allen dreien steht jedoch nicht die IT im Zentrum, sondern Partialinteressen IT-fremder, alteingesessener Automobil- und Printkonzerne.

Die in IT-Kreisen boshafterweise als „holzverarbeitende Medienindustrie“ apostrophierte Verlegerlobby hatte zusammen mit der Musikindustrie schon damals versucht, Filterpflichten samt „Netzsperren“ zur Wahrung von Copyrights der Print- und Musikkonzerne in eine Richtlinie für den Telekom-Markt zu reklamieren. Die Softwarepatentrichtlinie wiederum kam überhaupt nur auf Wunsch der Autoindustrie zustande, die für ihre ohnehin durch Eigentumsrechte, Copyrights und als Geschäftsgeheimnis geschützte Autosoftware obendrein noch Patentschutz wollte.

Die Sonderwünsche der Verlagskonzerne wurden 2010 von den Parlamentariern abgelehnt, da sie der Meinung waren, dass eine Regelung für Printkonzerne in einem Telekomgesetz nichts zu suchen habe. Warum die Autoindustrie ihre eigene Software unbedingt mit Sonderregeln gegen jede Einsichtnahme von Dritten absichern wollte, zeigt vielleicht der milliardenschwere organisierte Betrug mit Software zur Manipulation von Abgaswerten im Volkswagen-Konzern.

Fazit und Ausblick

Diese beiden Vorhaben haben mit der Copyrightnovelle ein wichtiges Merkmal gemein: Sie betreffen allesamt Informationstechnologien (IT) in weiterem Sinne. In allen dreien steht jedoch nicht die IT im Zentrum, sondern Partialinteressen IT-fremder, alteingesessener Automobil- und Printkonzerne.Der nächste Schritte werden Sichtung, Ordnung und Aggregierung der vielen Amendments sein, um daraus dann eine Vorlage zu erstellen, auf der die Vetrsion zur erste Lesung im Parlament basiert.

Die fünfte Update Richtlinie für „audivisuelle Medien“, die nach Ansicht der Kritiker eher „Fernsehen ohne Grenzen 5.0“ heißen sollte ist zwar schon weiter fortgeschritten, doch diese TV -Richtlinie enthalte noch einen erheblichen Anteil an Komödiantentum, für Maßstäbe der Kommission sei das durchaus als Innovation zu werten sei, spottete Joe McNamee, Direktor des Dachverbands „European Digital Rights“ in einer Aussendung am Dienstag. In der vom Parlament erstellten Version wird „Video“ nämlich so definiert, dass auch animierte Gifs darunter fallen, „benutzergenerierte Videos“ wiederum so, dass sie weder von Benutzern generiert noch Videos sein müssen.

mehr Netzpolitik:

Aktuell: