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NIHILS

Livia Alcalde

FM4 Artist of the Week

„I can’t can’t kill it“

NIHILS sind von Tirol nach Berlin gegangen, haben ihr Leben umgekrempelt und ihren Sound gleich mit. Nach zwei Jahrzehnten gemeinsamer Geschichte haben sie jetzt ihr Debütalbum „Perspectives“ herausgebracht.

von Lisa Schneider

Um das, was die Band NIHILS ausmacht, zu verstehen, muss man zurück zur Quelle gehen. In diesem Fall ein Tiroler Gewässer in Waidring, einer 2000-Seelengemeinde eingezwickt zwischen Wiesen, Bergen und Seen. Ramon Riezouw und Thomas Lackner lernen sich im Kindergarten kennen, und gemeinsam geht’s dann auch schnell in den ersten Klavierunterricht. Später peppen sie die klassischen, tasteninstrumentlastigen Schulauftritte mit ein bisschen Percussionwerkzeug auf. Im Nachhinein ist ihnen das zwar peinlich, damals hat‘s aber sicherlich gefetzt. Schließlich stößt auch Florian Nothegger an der Gitarre dazu, sowie der mittlerweile ausgeschiedene Dominik Brunner am Bass. Das Quartett ist komplett, erste Singles werden aufgenommen, wie etwa 2011 “Set My Sail”, Indiepop-Gezwitscher, das nach Sonne, Badewiese und Softeis klingt.

Mit der Single „Help Our Souls“ (2014) geht’s dann das erste Mal in Richtung Disco, ein sauberer Dance-Hit, der sich auch dank Remixes 22 Millionen Mal allein auf Spotify hat streamen lassen.

NIHILS

Gabriel Hyden

Abrechnung nach der Castingshow

Seit ihrem Auftritt bei einer Castingshow stehen die NIHILS dem Musikbusiness teils zynisch gegenüber: „Die Große Chance“ für die Band war es, herauszufinden, dass ihnen das „Trara und Winke-Winke im Rahmen eines solchen Contests dann doch eher fern liegt“. Aber: „Man will seine Musik machen, und in Tirol gibt es keine ausufernden Möglichkeiten. Da probiert man eben alles einmal aus.“

Interessanterweise spiegeln sich diese ersten und auch spätere, ähnliche Erfahrungen in der ersten Single, die vom Debütalbum „Perspectives“ veröffentlicht wurde, „Not A Man Of Violence“. Ein stampfender, gut bissiger Song, der „unseren Kampf im Musikbusiness“ beschreibt. NIHILS wedeln hier aber nicht mit der Selbstmitleidsfahne, vielmehr fragen sie sich: In welche Richtung muss ich mich eigentlich verbiegen, bis es schmerzvoll knackst? Auch die schöne Zeile „I can’t can’t kill it“ stammt aus diesem Stück, in der man das Feuer spürt, das in NIHILS seit jeher brennt, ihr Projekt voranzutreiben, egal, was da kommen mag.

Du bist so wunderbar, Berlin

Das Tiroler Heimatnest ist zu überschaubar und wenig reizvoll, was die musikalischen Ambitionen angeht und auf Wien wird kein Auge geworfen. Drummer Thomas erzählt, dass die Band in Wien „leider“ schon zu viele Leute kennt, die Bookingagenturen, die Labelchefs und natürlich die Venues und die anderen MusikerInnen. Das ist alles kein Vor- oder Nachteil, aber für das, was NIHILS planen, einfach nicht der richtige Ausgangspunkt. Schnell ist es klar, es geht in die Hipster-Metropole per se, in das dampfende, schrille, schlaflose Berlin. Auch da wirft Thomas kurz dazwischen: „Wir wissen schon, der Hype um Berlin ist enorm. Mittlerweile sagen ja viele, man soll schon lieber eher nach Leipzig gehen, weil Berlin nicht mehr das ist, was es vielleicht vor fünf Jahren war“. Aber für ihren Neustart außerhalb Österreichs haben NIHILS ihr perfektes für sie noch unbeschriebenes Blatt gefunden. Sie kennen niemanden und es kennt sie keiner, alles auf Anfang, alles neu.

Ramon, Thomas und Flo leben in Berlin in einer Künstler-WG, ganz so wie zu Anfangszeiten etwa auch die Libertines. Statt Drogen gibt’s da aber „Migrations“ von Bonobo am Plattenteller.

Neue Schale, alter Kern

Vor allem das Nachtleben Berlins, die flirrenden Elektronika, die in scheinbar jedem Club die Hauptmiete bezahlen, hinterlassen ihre Spuren in der Musik. Hinzu kommt der ebenso elektronik- und detailverliebte Produzent Niko Stössl (Motoboy, Crystal Castles), der erfolgreich versucht hat, den drei Musikern noch ganz andere Zugänge zu ihrer Musik zu verschaffen. „Mit Niko zu arbeiten, hat uns völlig neue Perspektiven eröffnet. Wir haben im Studio Verschiedenstes ausprobiert, zum Beispiel Zufallstechniken, wo zehn Minuten lang gejamt wird, und daraus entstand dann ein Song, was uns sehr geflasht hat.“ Davor sind NIHILS-Songs in ganz klassischer, analoger Piano-oder Gitarrenbegleitung entstanden, die Stimme angeschmiegt. Doch nicht nur neue Nummern haben es auf „Perspectives“ geschafft. Neben ihren Platten, Büchern und der Bettwäsche haben die drei auch Stücke mitgenommen, die sie schon jahrelang begleiten.

Einer davon, „eine Art Hymne für uns“, ist „Like Father Like Son“. Ein Song darüber, etwas beweisen zu wollen, obwohl man gar nicht muss. Aber es fühlt sich eben gut an, es trotzdem zu tun. Und auch ein Song, der schlicht mit Stimme und Klaviertasten funktionieren würde, jetzt aber ein brandneues, schickes elektronisches Kleid übergestülpt bekommen hat. Das ist aber nicht anhand von einem „zwanzigminütigen Loop gebaut worden, wie das heute so oft passiert, sondern für uns ist es wichtig, dass ein Song auch als Song passiert, sich oftmals aus einer dreiminütigen Vorlage entwickelt und erst in der Produktion mit gesampelten Vocals, mit Synthesizer-Bass, Tombs oder anderen Devices bereichert wird.“

A little soul, a little dance

Das Stück, das das neue Album eröffnen darf, und gleichzeitig den neuen Sound der NIHILS wie ein Bote verbreiten soll, ist „Put You Back Together“. Eine genussvolle Spielerei mit dezent-funky Uptempobeat, mit der sich die mittlerweile zum Trio geschrumpfte Band in Elektro-Berlin behaupten will. Die Idee der Symbiose zwischen organisch und anorganisch zieht sich durchs Album und der Kontrast zwischen teils hektisch hämmernden Beats und der schleppend-verträumten Stimme von Sänger Ramon wird aufgelockert durch eine schwermütig-soulige, trotzdem tanzbare Grundstimmung. „Das wollten wir auch. Wir wollen, dass die Leute etwa bei „Dreaming“ die Augen schließen und gleichzeitig tanzen können.“ „Dreaming“, die dritte Single, die am lautesten nach Pop ruft.

NIHILS sind nicht die erste Band, die sich von ihren frühen Vorbildern, den späten 2000er UK-Gitarrenbands, abwenden und jetzt lieber Größen im Elektro-Zirkus wie etwa SOHN oder Alexis Taylor huldigen. Ein Vorwurf könnte lauten, NIHILS wollten nur dem Zeitgeist entsprechen und noch auf den gerade so zischend schnell und erfolgreich dahingleitenden Zug Elektro aufspringen.

Live zu sehen gibt’s NIHILS momentan auf einer umfangreichen Österreich- und Deutschlandtour. Alle Infos findet ihr hier.

„Das, was andere MusikerInnen mit verschiedenen Projekten machen, machen wir gemeinsam. Wir sind gute Freunde, und immer geblieben, wir machen miteinander alle Änderungen durch. Wir haben nicht parallel jeder fünf Projekte, wo eines Marke ‚Indierock‘ ist und das andere Marke ‚Elektropop‘.“ Weil auch, wenn NIHILS für Monate, teils sogar Jahre quer über den Kontinent verstreut waren – Ramon hat etwa in Brighton Songwriting studiert – war es nie eine Frage, die Band aufzulösen.

Flo hat etwa während dieser Zeit – und tut das vor allem jetzt im Berliner Umfeld noch lieber – auch gerne elektronische Musik produziert, elektronischer noch als die, die wir jetzt von NIHILS zu hören bekommen. Jeder der drei Musiker hat seine Ideen und probiert, der Output kommt aber immer der Band zugute. „Das Projekt NIHILS ist das, was dich voranträgt, der Glaube daran, das ist auch der ausschlaggebende Grund dafür, dass wir jetzt da sind, wo wir sind. Es ist wie eine Vision, die man immer im Kopf hat, die man immer verfolgen will, man hat einfach die zwei Leute gefunden, mit denen man die nächsten zehn Jahre arbeiten, touren, spielen will.“ Der Zusammenhalt und das gemeinsame Wachsen mit ihrer Musik, das ist das, was NIHILS ausmacht.

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