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Hendrik Otremba

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Mein kalter Schweiß

Beklemmung und Gift: „Über uns der Schaum“ - der beunruhigende Debütroman von Hendrik Otremba.

von Philipp L’heritier

„Detektive“ nennt sich eines der Stücke auf dem im Jahr 2016 erschienenen dritten Album der deutschen Postpunk-Band Messer. Gerade hat Hendrik Otremba, Sänger der Gruppe, ein Buch veröffentlicht, das lose unter der Bezeichnung „Kriminalroman“ durchgehen kann.

Neben seiner Tätigkeit bei Messer ist Otremba zudem bildender Künstler und Journalist, mit seinem ersten Buch hat er ein weit verzweigtes, verspiegeltes Labyrinth errichtet: „Über uns der Schaum“ heißt der Roman, der Titel ist einem wieder anderen Song der Platte entnommen, die den guten Namen „Jalousie“ trägt.

Angst und Bange

Ein verstohlener Blick durch die Lamellen der Jalousie, hinein in die Wohnung gegenüber. Beklemmung, das Gefühl von Verfolgung und Bespitzelung: Auch wenn sich die Motivwelten von Roman und Album immer wieder kreuzen und die jeweiligen Texte passagenweise auch in denselben Zeiträumen entstanden sind, will Hendrik Otremba beide Arbeiten als separate Kunstwerke verstanden wissen, die unabhängig voneinander funktionieren.

Cover Schaum von Hendrik Otremba

Verbrecher Verlag

„Über uns der Schaum“ von Hendrik Otremba ist im Verbrecher Verlag erschienen.

Nicht das Buch zur Platte, nicht die Platte zum Buch. „Über uns der Schaum“ ist die Dekonstruktion des Formats „Krimi“, dabei die verschachtelte Durcharbeitung alter Schablonen und Klischees, düster, kaputt, beunruhigend. Hauptfigur und Ich-Erzähler Joseph Weynberg ist ein zerstörter Antiheld klassischer Prägung, so lernen wir ihn kennen:

„Ich bin Weynberg, ich fahre Auto wie ein junger Gott, und ich ficke wie ein junger Gott. Ich breche Nasen und Herzen, wenn mir einer dumm kommt, mach ich ihn kaputt. Mir kann keiner was, ich brauche keine Lehrer, ich dulde keine Schüler, ich brauche niemanden.“

Solche Dinge denkt Joseph Weynberg. Er ist Privatdetektiv, genre-gerecht ist er in Wahrheit aber komplett fertig und am Ende. Er ist drogensüchtig, mit der rätselhaften Substanz Protobin, wohl ein dem Heroin verwandtes, brandgefährliches Zeug, putscht er sich bis ans Limit auf und richtet sich zugrunde.

Er liegt in dreckigen Zimmern auf speckigen Matratzen und schwitzt viel, das Haar klebt ihm auf der Stirn. Er spricht gerne von seinem Glied, denkt an Samen und Penetration. Die Kohle ist naturgemäß immer knapp, aber Hauptsache interessante, gute Gedanken haben. Solche beispielsweise: „Ich hätte ein blöder Dichter werden sollen, dann würde ich wenigstens mit Stil verarmen. Wann ist man eigentlich Dichter? Wenn man arm ist und die Worte sich reimen. Die Sätze versuche ich mir zu merken.“

Krimidekonstruktion

„Über uns der Schaum“ ist an der Oberfläche zwar ein Krimi, das Buch hantiert mit Suspense und Mysterie, steht oft auch hochelektrisch unter Spannung – doch: Ist hier ein Kriminalfall tatsächlich wichtig?

Hendrik Otremba mischt vielmehr die Muster des Hard-Boiled-Romans und der Pulp Fiction mit Elementen von Science-Fiction und Surrealismus. Der Handlungszeitraum bleibt undatiert, der Ort der Handlung ist namenlos. Später dann wird eine fiktive Stadt als Fluchtpunkt auftauchen.

Es gibt in „Über uns der Schaum“ keine Computer, keine Handys. Weynberg gleitet durch Dreck und Schrott, dann wieder durch klinisches, ungreifbares, anonymes Szenario. Er prügelt sich, schießt Typen die Schädeldecke weg, braust mit dem Motorrad durch die Gegend. Detektiv Weynberg trifft auf eine Frau, die seiner verlorenen Liebe Hedy wie ein Klon gleicht. Es muss Liebe werden, eine schwierige.

„Sie ähnelt Hedy so sehr, nicht nur in ihrem Aussehen, auch in der Art wie sie sich bewegt. Hedy. Ich bemerke dir Tränen in meinen Augen. Die Luft bleibt mir weg, ein Schmerz drückt auf dei Brust, es pocht hinten in meinem Kopf.“

Das Trägermaterial Kriminalroman ist hier Boden für sprachliches Experiment und dunkle Existenzphilosophie. Sex, Gewalt, Angst, Schmerz, Perversion und das große Versprechen vom Glück der Liebe. Immer wieder mit giftigem Witz gewürzt, meist jedoch erschütternd. Es ist ein kompliziertes Leben - es kann nicht gut gehen, wir wissen es.

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