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Bilder vom Donaufestival

David Visnjic

Festivalradio

Kontaminierung durch Liebe

Musikalischer Zauberberg: Alt und Neu, Kanon und Aufbruch, Narkose und Ekstase. Das Donaufestival in Krems öffnet das Labyrinth. Gas, Scritti Politti, mehr, viel mehr.

von Philipp L’heritier

Wolfgang Voigt hat seinen Laptop angesteckt, es fließt Musik heraus. Zart, weich, leise. Das neu aufgestellte Donaufestival Krems hat 2017 als Art euphoriserenden und mehrdeutigen Slogan den Satz „Du steckst mich an“ ausgegeben.

Thomas Edlinger, der neue künstlerische Leiter des Festivals und Intendant der Herzen – wir kennen ihn, das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, unter anderem als Mitverantwortlichen der sonntäglichen FM4-Sendung „Im Sumpf“ – hat sich dabei freilich etwas gedacht: Anstecken – man kann das wohl in mehreren Sinnen lesen. Krankheit, Strom, Erregung.

Am Freitag, dem Eröffnungstag des Festivals, hat das schon gut funktioniert, das mit dem Kribbeln und der wohl temperierten Ekstase, auf die Krankheit warten wir noch. Edlinger hat ein vielseitiges Programm zusammengestellt, es lebt von Brüchen und Reibungen, eine Jonglage der Styles und Zeiten, die Mischung macht die Musik bzw. den Salat.

Bilder vom Donaufestival

David Visnjic

Sote with Tarik Barri, Arash Bolouri & Behourz Pashaei

Neben Musiken, die beispielsweise den Dancefloor des Morgen überprüfen, stehen im Line-Up des Donaufestivals 2017 Acts, die Kanon bedeuten und Legende geschrieben haben. Am Freitag ist das unter anderem der Kölner Techno-Impressario Wolfgang Voigt gewesen. Elektronischer Dichterfürst und Andy Warhol der Bassdrum.

Der Wald lebt

Am frühen Abend hat sich Voigt im ihm angemessenen Ambiente der Kremser Minoritenkirche mit seinem Projekt Gas eingefunden. Kaum sichtbar, im Superdunkel am linken Bühnenrand im schwachen Licht des Monitors lässt er laufen.

Man muss das schon so sagen: Gas ist die beste Musik. Voigt ist einer der Köpfe hinter dem Kölner Avantgarde-Techno-Label Kompakt, theorieschwangerer Ideologiespender, Ästhet. Unter unzähligen Namen wie Grungerman, Wassermann oder Profan hat er in den letzten Jahrzehnten elektronische Musik jeder Farbe veröffentlicht, die Unternehmung Gas ist seine wichtigste.

Zwischen 1996 und 2000 sind vier Alben von Gas erschienen, ewiggültige Klassiker des Ambient, langweilig werden sie nie. In die Ewigkeit zerdehnte Samples aus der Geschichte der klassischen Musik, etwa von Richard Wagner oder Gustav Mahler mischen sich hier mit feinstofflichem Knistern, dem weihevollen Geist von in Melasse eingelegtem Dub und dem Rauschen des Waldes.

Zum Donaufestival hat Wolfgang Voigt sein eben erschienenes, fünftes Album „Narkopop“ mitgebracht. Der Titel stimmt. Die Platte schließt nahtlos an die Vorgängerarbeiten von Gas an und es ist gut so.

Viel geschieht nicht, wenn bei seinen Konzerten Menschen voller Wonne kurz wegschlafen, wird das Voigt auch nicht gestört haben. Visuals im Bühnenhintergrund zeigen Düsterwald, Gebäum und Zauberzweig, man wird hineingesogen, abgesehen davon ist Hypnose. Eine theoretische Experience, ein Erfahren des Vorhandenseins von Kunst, eine Massage von Bauch und Ego. Lauter hätte es sein müssen.

Bilder vom Donaufestival

David Visnjic

DJ /rupture an der „Bar“

Dekonstruktion on the Dancefloor

Da ein Festival nicht nur Inhalt und Programm bedeutet, sondern auch Rahmung und Begleitfeeling, hat man dieses Jahr beim Donaufestival das Festivalhauptgelände im besten Sinne aufpoliert: Neben den Konzerten und Performances - mehr dazu demnächst - kann man nun in einer schick slick in dystopisches Schwarz-Rot gekleideten Festivalzentrale, nennen wir sie: Bar, würdevoll, später weniger würdevoll, abhängen, ein Getränk nehmen, sprechen.

Dazu läuft Musik von Bar-DJs des Premium-Segments, am Freitag zum Beispiel waren das der Berliner Pop-Journalist Jens Balzer, er weiß viel und weiß es, und der Global-Dance-Theoretiker DJ /rupture. Kunst und Euphorie, einmal ein Glas Moloko, bitte.

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David Visnjic

Elysia Crampton

Lauter, dann doch: Die Musikerin Elysia Crampton war in Halle 2 am Festivalgelände Königin von Drones, gebrochenen Beats und Voodoo. Sie spielte das gute Instrument Keytar, das Umhängekeyboard, das man aus dem Zusammenhang „Modern Talking" kennt. Der Produzent M.E.S.H. zeigte wie man Techno zersetzt und dabei doch tanzbar bleibt, das Duo Group a tat Ähnliches, ähnlich erregend, wenn auch eher im Zusammenhang Kunstschule und Verstörungshumor angesiedelt. Alles sehr gut.

Hoffnungen und Befürchtungen hingegen erfüllten sich beim Auftritt von Scritti Politti. Der walisische Musiker, Soulboy und Schmeichler Green Gartside widmet sich mit diesem Projekt schon gut 40 Jahre der Übersetzung von politischer Agenda und Revolutionsgeist in supersmoothesten Pop.

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David Visnjic

M.E.S.H.

Die guten, alten Lieder

Auf Platte schmelzend, brenzlig und wichtig, in der Live-Darbietung etwas ohne Drang und unbedingtes Begehren. Eine goldene Stimme hat er aber schon noch, Green Gartside, mit seinen 60 Jahren. Ein paar Herzen öffneten sich für schöne, schöne Lieder, denen der Saft ein wenig fehlte.

Cool-Dad-Rock von weichen Männern, mit Sunshine-Reggae und Marximus im Bauch. Geschmackvolle Altersverwaltung mit bescheidener Grazie, jedoch ohne Not. But I appreciate the fact that he’s doing it.

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David Visnjic

Scritti Politti

Bei aller ausgeklügelten Neujustierung und bei allem geilem Neudenken – ein bisschen trägt das Donaufestival auch den guten Geist vergangener Tage des Festivals weiter und bewahrt altes Feuer. Schnitzelsemmel muss Schnitzelsemmel bleiben. Während es drinnen dröhnt und süß brummt, raucht man draußen, nachdem man sich von einem guten Menschen die Zigarette anstecken hat lassen.

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