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Logan Browing als Sam White in "Dear White People"

Adam Rose/Netflix

In Serie

Der Campus der Gegensätze

Von Alltagsrassismus an amerikanischen Elite-Universitäten, der Suche nach der eigenen Identität und der Frage: Wie kämpfe ich gegen stereotype Rollenbilder an? Die Serie „Dear White People“ erzählt keine neuen Geschichten, und trotzdem ist sie aktueller denn je.

von Lisa Schneider

Für einen richtigen Skandal in der Serienwelt braucht es mittlerweile schon einen sehr krassen Aufhänger. Dem Online-Streamingdienst ist mit seiner Eigenproduktion „Dear White People“ ein ebensolcher Coup gelungen: als vor einigen Wochen die ersten Trailer in Umlauf kamen, gab es laute Aufschreie aus Kritiker- und Userreihen. Einer dieser sehr oft geteilten Tweets lautete: „Netflix announced a new anti-white show (Dear White People) that promotes white genocide. I cancelled my account, do the same. #NoNetflix."

Autor und Regisseur Justin Simien, dessen gleichnamige Filmversion 2014 auf dem Sundance Festival große Erfolge feierte, antwortet - ganz, wie es der Serie entspricht - zynisch: „For me, it was really profound, encouraging in a weird way. It just brought attention to the series. Thanks, white supremacists, you really helped me promote my show. I’m a little grateful, I guess, to the insanity.“

Was steckt wirklich hinter „Dear White People“?

Die fiktive Winchester University ist eine der besten des Landes: ein modernes, liberales, weltoffenes Sammelbecken der jungen Elite Amerikas. Schwarze bilden einen kleinen Teil der studentischen Körperschaft. Was nicht in dieses wunderschöne Bild passt, ist Alltagsrassismus. Und doch wartet er geduldig an jeder Ecke: „Wait, you look like ... Beyoncé! No, like Storm from The X-Men! Or wait ... what are you?“

Filmplakat "Dear White People" (2014)

Signature Entertainment

Die Serie „Dear White People“ basiert auf der Vorlage des gleichnamigen Films von Justin Simien (2014).

Mit klimpernd-heiterem Talkover werden wir in die Serie eingeführt, der Campus wird vorgestellt, und schon die beschwingt-ironische Erzählart verrät: Wir befinden uns nicht im Drama-Setting, sondern definitiv in einer Satire-Comedy-Show. Die schwarze Studentin Samantha White (gespielt von Logan Browning) betreibt eine Campus-Radiosendung namens „Dear White People“ und analysiert im Rahmen derer regelmäßig on air die komplexen „race relations“ an ihrer Uni.

In der ersten Folge ereignet sich ein Vorfall, der die schwarze Studentenschaft wachrütteln wird: eine Gruppe weißer Studenten, die meisten davon Angehörige des Satiremagazins „Pastiche“ (zu verstehen als eine Art medialer Gegenspieler von Sam’s Radiosendung), veranstalten eine Halloweenparty. Das Motto ist „black face“. Weiße Studenten feiern also mit schwarz angemalten Gesichern, bis die schwarze Studentenschaft davon Wind bekommt und die Feier auseinandernimmt. Auch dieses Ereignis greift Sam natürlich in ihrer Sendung auf: „Dear white people, here’s a list of acceptable Halloween costumes: pirate, slutty nurse, any of our first 43 presidents. Top of the list of unacceptable costumes: me.“

Mikrokosmos Campus

Justin Simien hat sich nicht umsonst den Campus als den Ort des Geschehens ausgesucht: an wenig anderen Orten gibt es sonst die Möglichkeit, Menschen verschiedenster Hintergründe beim Zusammenleben zu beobachten – in einer Lebensphase, in der sie oft selbst noch nicht wissen, wo sie hingehören. Die meisten der StudentInnen kommen aus der gehobenen Mittelklasse. Egal, welche Hautfarbe also, der soziale Background ist größtenteils derselbe. Sam, die bissige Protagonistin, hat einen weißen und einen schwarzen Elternteil - was ihr von einigen MitstudentInnen als Vorteil gegenüber „wirklich“ schwarzen Personen ausgelegt wird.

Sam White

Netflix

Sam steht wie ein wütender Terrier, der sich am Hosenbein festgebissen hat, für Bürgerrechte ein, für sichere Plätze in und rund um den Campus und für eine höhere administrative Sensibilität schwarzen StudentInnen gegenüber. Geheim hält sie aber ihre Beziehung zu Gabe (John Patrick Amedori), einem weißen, gutmütigen jungen Mann.

Das Aufdecken dieser Beziehung ist auch einer der Momente, in denen die Serie leider etwas deplatziert auf ihren Comedy-Anspruch pocht: Oh my god, wie furchtbar, dass Sam, die eigentlich auf ihren Facebook-Post „Don’t date the oppressor!“ so viele Likes bekommen hat, jetzt selbst mit einem von ihnen ins Bett steigt. Diese Art von Stereotypisierung ist dem Comedy-Anspruch geschuldet.

Szene im Gemeinschaftsraum aus "Dear White People"

Netflix

Dass Gabe aber später von Sam zu Versammlungen der schwarzen Studentenschaft mitgenommen wird, bewirkt das Aufwerfen spannender – und ungeklärter Fragen. Wie sollen die schwarzen StudentInnen mit dem weißen neuen Freund ihrer Anführerin umgehen, der eigentlich nur helfen will? Trotzig? Entgegenkommend?

Radikal oder seriös?

Sam’s aggressive, ja radikale Aufforderung an ihre MitstudentInnen, sich zur Wehr zu setzen, erreicht ihren Höhepunkt, als ein Campuspolizist eine Waffe auf den schwarzen Studenten Reggie Green richtet - und es dafür vorerst keine Konsequenzen für den Waffenträger gibt.

Im Gegensatz dazu betreiben etwa Sams ehemalige Freundin Coco Conners (Antoinette Robertson) und Troy Fairbanks (Brandon P. Bell), der Sohn des schwarzen Dekans (auch eine spannende Konstellation, da der schwarze Dekan trotz des Konflikts seines Sohnes auf der Seite der weißen Studentenschaft bleibt) eine indirekte Politik. Sie wollen das System von innen heraus aufbrechen, in Form „seriöser Politik“ - und nicht wie Sam den nächsten Sitzstreik ausrufen.

Szene aus "Dear White People"

Netflix

Eine Frage der eigenen Identität

Das Wort „Label“ kommt sehr häufig vor - trotzdem wäre es falsch zu behaupten, „Dear White People“ sei eine Serie, die sich nur mit „race relations“ auseinandersetzt. Neben der politischen Agenda stellt sich die Serie vor allem die Frage nach der eigenen Identität, die auch beinhaltet, welche politischen und sozialen Umstände uns prägen und uns zu dem machen, wer wir sind – oder wer wir glauben, zu sein.

Die erste Staffel von „Dear White People“ ist via Netflix zu sehen.

Auch, wenn die erste Staffel von „Dear White People“ vor den Präsidentschaftswahlen 2016 fertig gedreht worden ist, könnte die Thematik hinsichtlich vieler Aussagen des amerikanischen Präsidenten Trump nicht aktueller sein. Ein Seriencharakter etwa formuliert die „auch durch die Präsidentschaft Obamas nicht überwundene Rassendiskriminierung“.

Hohe Diversität

Ebenso wie chronologisch zerstückelte Serien „How To Get Away With Murder“ oder „Big Little Lies“ erzählt „Dear White People“ ein gemeinschaftsaufrüttelndes Ereignis aus verschiedenen Perspektiven. Jede Folge wird aus der Sicht einer anderen Figur erzählt, und dieser Erzählweise ist die Diversität der Serie geschuldet.

Diverse Rassismusvorwürfe gegen die Serie sind lächerlich. Und ihre grundlegenden Aussagen so ungemütlich wie zeitgemäß: „Dear White People. You made me hate myself when I was a child, and now I hate you. That’s my secret shame.“

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