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Ásgeir

Ásgeir

Viel mehr als ein leises Echo

Die Abendröte, das Nachleuchten des Tages. „Afterglow“ ist das zweite Album des isländischen Künstlers Ásgeir. Es emanzipiert sich von seinem sehr erfolgreichen Vorgänger, ohne dabei die vielversprechenden Zutaten völlig auszutauschen.

von Lisa Schneider

Würde man in isländischen Haushalten herumstöbern, man fände in jedem zehnten Ásgeirs 2012 veröffentlichtes Debütalbum „In The Silence“. Das Erstlingswerk des damals knapp Zwanzigjährigen war das meistverkaufte Debüt eines/einer isländischen Künstler/in überhaupt, hat Sigur Rós und Björk hinter sich gelassen.

Ásgeir Trausti Einarsson gibt nicht besonders gerne Interviews. Die zurückhaltenden, in sehr gutem, aber nicht akzentfreiem Englisch gesprochenen Antworten zeugen von einer Medienscheu, die das romantische Bild vom in sich gekehrten Isländer nicht besser unterstreichen könnte. Drei Jahre war der junge Künstler ununterbrochen unterwegs, kurz nachdem sein Debütalbum einen Senkrechtstart hinlegte. Interviews, Liveshows, Interviews, Interviews. Wie leicht man sich selbst, seine Identität, auf so einer langen Reise verliert, darüber sinniert er im Interview kurz – wenn er nicht wie sonst die vorgefertigten Antworten einstudiert herunterpredigt. „You come back home and you don’t really know, why you’re making music or why you love it.“

Die Antwort hinterlässt einerseits eine angenehme Erleichterung ob ihrer Ehrlichkeit, andererseits erstauntes Aufhorchen. Das wolltest du doch, oder? Den Erfolg, die Tour. Die Leute, die mit dir über deine Musik sprechen wollen. Ásgeir hat jedenfalls seinen Weg gefunden, um sich wieder zu sammeln. Die wichtigste Voraussetzung dafür war, zuhause zu sein.

Ásgeir

Ásgeir

Musik aus ungeordneten Gedanken

Unterwegs gab es keine Zeit, neue Songs zu schreiben. Ásgeir erzählt, er habe immer an den Moment gedacht, an dem er nach Hause kommt und seine besten Melodien zu Papier bringt. Aber so passierte das nicht. „I was expecting it to be much more, than anything could be. I know I was trying too hard. I always enjoyed simpleness in music, letting the song tell you what it needs around it, and not telling the song what it needs, forcing it to expand.“

Cover Album "Afterglow"

Embassy Of Music

„Afterglow“ erscheint via Embassy Of Music.

Nachdem die Phase des ununterbrochenen Unterwegsseins endlich vorüber war, begannen die Gedanken langsam wieder zu keimen. Ásgeir ging mit keiner Vision ins Studio, mit keinem roten Faden, der sich durch das „schwierige zweite Album“ ziehen sollte. Es war eher ein wirrer Haufen an Ideen, den er mitbrachte, und es war ein langer Prozess, bis daraus „Afterglow“ wurde. „Next time, when I feel like I have a whole album and I’m happy with all the songs, I’m just gonna say ‚Stop, this is it‘.“ Denn wer zu lange zweifelt, verwirft schlussendlich alles wieder.

Mit dieser Einstellung hätte es die erste der neuen Singles, „Unbound“, gar nicht gegeben. Das Album war eigentlich schon fertig und „Unbound“ kam quasi in den letzten Minuten der Aufnahme dazu. Ein Song über die Notwendigkeit der Gegenwart, über das Überwinden der Gedanken, etwas zu ändern, was schon längst geschehen ist. Es ist die letzte Single, die es aufs Album dieses ewigen Tüftlers und Zweiflers geschafft hat und die erste, die an die Öffentlichkeit gelangt.

Der gitarrenlastige, warme Folkkörper von „In The Silence“ – der etwa mit Bon Ivers erstem Geniestreich „For Emma, Forever Ago“ verglichen wurde - ist jetzt mit einer Eiskruste überzogen. Eine knusprige Schicht aus kühler Laptop-Elektronik, die ganz in der Manier von James Blake, Pionier auf diesem Gebiet, aufgebaut ist.

Zieht man den Vergleich zwischen Bon Ivers „22, A Million“ und „Afterglow“, sieht man auch hier wieder eine ähnliche Tendenz. Asgeir verzichtet zwar auf den Vocoder, den neuen besten Freund von Justin Vernon, aber sonst ist in beiden aktuellen Alben eine so dichte Mischung von Intimität und Maschinellem, zwischen organisch und anorganisch zu spüren, man hört beinahe die Spannung knistern. Die satte Wärme der früheren, folklastigeren Songs findet man nicht mehr in der Songstruktur, sondern in den Texten. Wie ein Tagebuch, in das man schnell hineinlesen darf, immer nur häppchenweise, ein, zwei, drei Zeilen.

Mehr als Ghostwriter

Die Texte schreibt Ásgeir nicht selbst. Das verwundert bei einem jungen Popstar. Und doch wieder nicht so sehr, wenn man an sein sehr familiäres Aufwachsen in einem 40-Seelen-Dorf denkt, wo der Zusammenhalt allgegenwärtig war. Für die Zeilen der erwähnten ersten Single „Unbound“ etwa, zeichnet sein Bruder verantwortlich, für weitere ein guter Freund. Für die meisten aber, und das ist eines der Bänder, die das erste und zweite Album zusammenhalten, sein Vater, der Dichter Einar Georg Einarsson. Es sind voneinander getrennte Geschichten, die auch getrennt von einander entstehen. Die Musik kommt zuerst. Dann der Text.

„In The Silence“ wurde 2012 zuerst nur in isländischer Sprache veröffentlicht. Mithilfe des Musikerkollegen John Grant, der Ásgeir auch mit auf Tour genommen hat, wurden die Songs ins Englische übertragen. Das zweite Album ist von Anfang an auf Englisch erschienen, nur ein isländischer Song ist dazwischen hineingeschlüpft. „I first didn’t think of it as an album track, but people reminded me of this song, and I said there was something about it. So I picked it up again, it was all in Icelandic and it kind of felt as if it didn’t need any translation.“ Der Titel des Songs „Fennir Yfir“ bedeutet so viel wie Schnee, oder mehr noch, die eingeschränkte Sicht, wenn Schnee fällt. Es fällt Ásgeir schwer, die genaue Bedeutung im Englischen zu erläutern. Was neugierig darauf macht, wie sich das zweite Album auf Isländisch angehört hätte.

„Afterglow“ lautet nicht nur der Albumtitel, sondern auch die Eröffnungsnummer. Wie ein nach vorne preschender Reiter tönen die hellen Klaviertasten den Schatten entgegen, die sich seiner bemächtigen wollen „Wonderland, wonderland / Wonderland is at hand / Lustre inside this heart of mine / Chasing away the shadows.“

Keine Schatten sind mehr übrig: „Afterglow“ ist entgegen seines Namens viel mehr als nur ein leises Echo. Und darauf wird sich nicht nur der Großteil der isländischen Bevölkerung einigen können.

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