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Willi Resetarits

APA/GEORG HOCHMUTH

Willi Resetarits erhält den Amadeus für sein Lebenswerk

Willi Resetarits, auch bekannt als Ostbahn-Kurti, Mitbegründer von Asyl in Not und Obmann des Vereins Projekt Integrationshaus, wird bei den diesjährigen Amadeus Austrian Music Awards am Donnerstag mit dem Preis für sein Lebenswerk geehrt.

von Alexandra Augustin

Wie viel Zeit braucht es, um bestehende, verkrustete gesellschaftspolitische Situationen aufzubrechen? Wie oft kann man sich selbst neu erfinden, ohne seine Authentizität zu verlieren? Wo ist der eigene Platz in einer Welt, die stets im Wandel ist, und das öfter zum Schlechteren als zum Besseren?

Geht es nach Willi Resetarits, dann ist ein Leben genug, um mindestens fünf Leben darin unterzubringen. Er schafft es bis heute, die besten Dinge zu bewirken, und das mit genauso viel Humor wie Leidenschaft, mit Ausdauer und Besonnenheit. Sie fehlen heutzutage an vielen Orten, diese Menschen, die sämtliche Dialekte einer inhomogenen Gesellschaft beherrschen, um Menschen jeglicher Herkunft mit Kunst, Musik und Aktivismus zu berühren.

Die Amadeus Austrian Music Awards 2017

Alle Infos zum österreichischen Musikpreis auch auf amadeusawards.at

Resetarits ist für viele der „Ostbahn-Kurti“. Ein genialer Musiker, der bis heute in den unterschiedlichsten Konstellationen aktiv ist. Außerdem ein unermüdlicher Aktivist und ein Katalysator für das Gute. Ohne ihn wäre nicht nur die österreichische Musikgeschichte um viele Momente ärmer, sein künstlerischer Output ist seit jeher stark mit einem sozialen, gesellschaftskritischen und politischen Gedanken verbunden.

Schmetterlinge und das politische Jahrzehnt

Resetarits wurde 1948 als Sohn burgenlandkroatischer Eltern in Stinatz geboren. Als er drei Jahre alt war, zog die Familie nach Wien. Willi und seine Brüder Lukas und Peter wuchsen kroatisch sprechend auf. Der Wunsch, Lehrer zu werden, wurde bald gegen die Bühne getauscht, ein Wunsch, der ja eigentlich schon immer da war, wie er mir im FM4-Interview erzählt hat:

„Zum Singen hab ich schon im Mutterbauch begonnen. Meine Frau Mutter hat, als sie mit mir schwanger war, immer die Stinatzer Lieder gesungen. Die Lieder hab ich zwar mitgesungen, aber immer gleich in der zweiten Stimme. Ein untrügerisches Zeichen für großes Talent!“

Resetarits ist eben nicht nur Musikant, sondern auch ein großartiger Geschichtenerzähler.

1969 wurde er Mitglied bei der Politrockgruppe Schmetterlinge. Es war eine Zeit der Aufbruchsstimmung, die kulturpolitisch äußerst düster war: keine Bühnen, keine Veranstaltungslokale, nur ein paar versiffte Jazzclubs in den Städten. Bei einem Konzert der Schmetterlinge in einer Kirche in Kärnten entstand die Idee zur „Proletenpassion“.

„Da kam uns eine Idee. Man könnte die Geschichte der Arbeiterbewegung in Form einer Passion erzählen. Die Arbeiterklasse und ihr Leidensweg - das war der Ausgangspunkt. Wir wollten die Kämpfe dokumentieren und die Errungenschaften, die aus den Kämpfen resultieren. Gewissermaßen als Beispiel für die heutige Arbeiterklasse, weil man damals doch immer noch, wie vage auch immer, an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz glaubte. Es lagen Sprüche in der Luft wie: ‚Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.‘“ ("Interview mit Willi Resetarits, aus „Wienpop“)

Aus einer vagen Idee wurde ein Mammutwerk, das im Rahmen der Wiener Festwochen 1976 richtig groß aufgezogen worden ist: Unter der Regie von Dieter Haspel entstand innerhalb von zwei Jahren ein politisches Oratorium - ein Statement dafür, wie politisch und machtvoll Musik sein kann. Gemeinsam mit Studierenden und und HistorikerInnen entstand eine gesungene Erzählung in sechs Stationen, die sich mit Aufständen und revolutionären Bewegungen in einem Zeitraum von 500 Jahren beschäftigt: Revolutionen, Bauernkriege, Arbeiterbewegung, zwischen Luther und Hitler. Bis in die politische Zeit des Jahres 1976 wird der Bogen gespannt.

Das Anliegen der Schmetterlinge: Der „Geschichte der Herrschenden“ die „Geschichte der Beherrschten“ gegenüberzustellen.

„Wir wollten die Proletenpassion machen, weil wir der Meinung waren, jemand müsse das tun. Das hat sich übrigens während meiner ganzen Karriere als einziges Erfolgsmodell erwiesen: Etwas zu tun, weil man es tun muss - ohne Kalkül und ohne kommerzielle Hintergedanken.“ (Interview mit Willi Resetarits, aus „Wienpop“)

Arena-Besetzung 1976

Die Aufbruchsstimmung gipfelte schließlich in der dreimonatigen Arena-Besetzung. Der Großteil der Kulturgelder ging an Staatstheater und große Institutionen, nicht an die kleine freie Szene. Ein ganzjährig bespieltes Kulturgelände in Selbstverwaltung, warum nicht?

„Am letzten Tag, als die Gruppe Misthaufen ihr Stück aufgeführt hatte, da hab ich nach der Aufführung zu meinem Bruder gesagt, er soll doch einfach alle anderen fragen, ob wer Zeit hat. Dann spazieren wir unauffällig in die Arena hinein und machen eine Diskussion. Na stell dir vor! Da lehn ich mich an die große Türe an, plötzlich geht sie auf! Dann sind wir rein und haben unsere Tonanlage aufgestellt. Und sind nicht mehr gegangen!“ (FM4-Interview)

Lagerfeuer, Musik, Performance, Dikussionen, Maler, Literaten, Tausende BesucherInnen haben sich bis in den Spätherbst 1976 in der Wiener Arena versammelt: Der „Falter“ wurde dort gegründet. Eine starke Frauenbewegung entstand. Stars wie Al Cook und Leonard Cohen spielten Solidaritätskonzerte. Aus dem Nichts heraus entstand das erste selbstverwaltete Kulturzentrum Österreichs.

1977 erschienen alle Lieder der „Proletenpassion“ - gekürzt - auf drei Langspielplatten. Der Teil über die „Pariser Kommune“ wurde 1978 vom ORF verfilmt. Wie aktuell und brisant der Stoff heute noch ist, war bei der vergangenen Diagonale in Graz spürbar: Man konnte diesen Film erstmals auf Großleinwand sehen, über ein Stück Geschichte, das im Geschichtsunterricht meist totgeschwiegen wird. 2015 wurde die „Proletenpassion“ neu aufgeführt, diesmal unter der musikalischen Leitung von Eva Jantschitsch aka Gustav und dem Musiker Knarf Rellöm.

Ostbahn-Kurti

Als es mit den Schmetterlingen langsam zu Ende ging, erfand sich Restarits neu, im Wiener Dialekt: als Ostbahn-Kurti.
Wie aufmerksame Fans des Ostbahn-Kurti wissen, stammt die Figur eigentlich aus der Feder von Günther Brödl. Der Schriftsteller, Songtexter und Musikjournalist übertrug amerikanische Blues-, Country- und Rockklassiker verschiedener Künstler ins Wienerische, von Bruce Springsteen, der Steve Miller Band und Konsorten und legte sie seinem Ostbahn-Kurti in den Mund. Eine Kopfgeburt, der er ein eigenes Leben angedichtet hat.

Er entwarf eine Bandbiografie und er stellte Playlisten für fiktive Langspielplatten zusammen. Er mietete Konzerthallen, nur um in der leeren Halle lautstark seine Lieblingsplatten aufzulegen. Das Publikum musste draußen bleiben, denn Brödl deklarierte die Veranstaltungen spaßhalber als „ausverkauft“. Über Zeitungsanzeigen suchte er nach nie erschienenen Langspielplatten von Ostbahn-Kurti & der Chefpartie.

Anfang der 1980er Jahre fand Brödl schließlich seinen Partner in Crime. Resetarits hauchte den von Brödl erdachten Texten Leben ein. Ostbahn-Kurti und die Chefpartie spielten Konzerte in Gasthäusern, manchmal vor drei Zuschauern. Und später dann auf riesigen Bühnen. Das wohl legendärste: das Konzert am Ostbahn-XI-Platz in Wien-Simmering. Ostbahn Kurti & die Chefpartie und ein vierstündiger Konzert-Marathon:

Geschichte wird gemacht, es geht voran

Wo er herkommt, das hat der Willi nicht vergessen. Die einfachen Leut’, die Musikanten, die sind ihm heute immer noch lieber als andere Menschen. Die Strizzis und Hallodris, die Andersdenker. Resetartis ist außerdem Mitbegründer von Asyl in Not, SOS Mitmensch und Ehrenobmann des Vereins Projekt Integrationshaus. 

Auszeichnungen wie der Bruno-Kreisky-Preis für Menschenrechte und der Josef-Felder-Preis für Gemeinwohl und Zivilcourage als auch eine Verurteilung wegen „Aufrufs zur Wehrdienstverweigerung“ hat ihm das eingebracht. Die Entropie von Systemen und politischen Ereignissen beobachtet er bis heute kritisch. Das was ist, passiert nicht ohne Grund, sondern baut auf allen vorangegangen Ereignissen der Geschichte auf, die Menschen in diesem Land gemeinsam gemacht haben, wie er im FM4 Interview erzählt:

„Alles was passiert, verändert das was danach kommt. Die deutlich wahrnehmbare Ablehnung der schwarz-blauen Regierung von einem großen Teil der Gesellschaft ist da. Wären damals, ab dem  Jahr 2000 nicht jede Woche Tausende Menschen gegen die schwarz-blaue Regierung auf die Straßen gegangen, wer weiß, wie die letzte Bundespräsidentenwahl ausgegangen wäre. Der lange Atmen ist gefragt. Ich hab schon einen langen Atem ... seit sehr lange!“

Der FM4 Award beim Amadeus 2017

Wer den FM4 Award 2017 gewinnt, bleibt heuer aber bis zum Abend der Preisverleihung am 4. Mai ein Geheimnis. Die Verleihung der Amadeus Austrian Music Awards 2017 wird nicht nur bei uns im Radio in einer „Homebase Spezial“ zu hören sein, sondern auch in ORF eins zeitversetzt übertragen.

Ende April ist nun auch eine neue Platte erschienen, die Resetarits gemeinsam mit Ernst Molden und den Musikern Walther Soyka sowie Hannes Wirth gemacht hat, mit denen er seit 2009 zusammenarbeitet. Sie heißt ganz schlicht „Yeah“ und versammelt ebenso Liedgut im scharfzüngigsten Wiener Dialekt auf einem Album. Diesmal ganz real, als Willi, ohne viel Schnickschnack, geradlinig auf Tape aufgenommen in einem improvisierten Studio in einem Wohnzimmer einer gemieteten Villa in Triest.

Auch das kann er, der Willi Resetarits: einfach mal sein. Aber am besten hört man ihm sowieso selber zu, wenn er seine Geschichten selbst erzählt. Etwa im FM4-Gipfeltreffen, gemeinsam mit Voodoo Jürgens vom letzten Herbst.

Willi Resetarits und Voodoo Jürgens

Radio FM4 / Christian Stipkovits

Voodoo Jürgens und Willi Resetarits beim FM4-Gipfeltreffen

Der Lebenswerk-Amadeus für Willi Resetarits

Für die Entdeckung der „heilenden Kraft der Rockmusik“, von der Resetarits immer spricht, hat er sich selbst vor Jahrzehnten schon einen Doktortitel verliehen. Zu Recht. Und nun erhält er als Zuckerl den Amadeus für sein Lebenswerk. Wir gratulieren herzlich!

Habe die Ehre!

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