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Angesteckt und eingestürzt

Am letzten Tag des ersten Donaufestival-Wochenendes wurde die körperliche Lesart des Festivalmottos „Du steckst mich an“ von den Profis gefeiert. Außerdem nackte Menschenschwärme in der Kirche und Sci-Fi-Lullabies.

Von David Pfister

„Du steckst mich an“, das Motto des Donaufestivals 2017 könnte auch ein Song aus der Frühphase der Einstürzenden Neubauten sein, als sie waidwund alles Musikalische zertrümmerten, was ihnen so entgegenkam, um dann die nächsten dreißig Jahre daraus eine neue Popmusik zu formulieren. Die körperliche Deutungsmöglichkeit der provokanten Festivalparole war aber auch abseits der Musikarbeiter Einstürzende Neubauten ein klar fühlbarer roter Faden. Die dringliche Spoken-Word-Protest-Noise-Raserei der amerikanischen Moor Mother erschütterte und begeisterte das von Pop-Disziplinen abgebrühte Donaufestivalpublikum wie kaum ein Auftritt in der langjährigen Geschichte des Festivals zuvor.

Bilder vom donaufestival

David Visnjic

„Habitat“ von Doris Uhlich

Staunend kam man auch aus der am Metaphysischen kratzenden Performance „Habitat“ von der österreichischen Choreografin und Performance-Künstlerin Doris Uhlich. Zwei Tage lang okkupierten 30 nackte PerformerInnen die säkularisierte Dominikanerkirche in Krems. Junge Körper, alte Körper, gesunde Körper, Körper, die gelitten haben. Wie Sterne und Planeten auf ihrer Umlaufbahn reagierten sie im Tanz und im körperlichen Kontakt miteinander und zur fantastischen elektronischen Ritual-Musik von Boris Kopeinig und Doris Uhlich. Die PerformerInnen zogen sich an, stießen sich ab, fanden sich wieder, um sich gleich darauf wieder zu verlieren. Ein unendliches Fest eines nackten Schwarms, dessen Schweiß riechbar, dessen Bewegungen spürbar waren. Der Menschenschwarm, das Publikum, die Architektur wurden für Momente ein Organismus, ein einziger Gesellschaftskörper.

Kommen wir wieder zurück zu den Einstürzenden Neubauten, die nicht nur aufgrund der Körperlichkeit in ihrer Musik die passenden Headliner des ersten Wochenendes waren. Die Neubauten können auch symptomatisch für den Umgang des Donaufestivals mit der näheren Pop-Geschichte gesehen werden. Denn kein Begreifen der Gegenwart ohne Blick in die Vergangenheit bzw. in Vergangenheiten, die noch immer nachwirken und die uns helfen unsere Gegenwart zu verstehen. Und dafür sind die chronischen „Infragesteller“ Einstürzende Neubauten rund um ihren charismatischen Sänger Blixa Bargeld natürlich perfekt geeignet. Bargeld, der ähnlich wie etwa David Bowie sein Leben durch permanente Inszenierung schon nahezu transzendent erhöht hat und damit zu einem alternativen Volkshelden wurde. Denn die größte Zuneigung und Sympathie, aber auch Abneigung erfahren die, die am wenigsten identisch sind mit ihrer Umgebung. Und damit sind wir auch schon beim Subtext des Festivals: der Empathie.

Bilder vom donaufestival

David Visnjic

Blixa Bargeld am Donaufestival

Apropos Weltraumpoet David Bowie; der wird als Zitat im Theaterstück „The Empire Strikes Back – Kingdom Of The Synthetic“ des israelischen Regisseurs Ariel Efraim Ashbel verwendet. In dem sentimentalen Spiel mit humoresken Zügen taumeln Männer und Frauen in Raumanzügen durch Klischees und referenzielle Momente der Science-Fiction-Geschichte. Eine mögliche Deutung scheint mir der Hinweis auf die Evolution in der Science-Fiction-Tradition von hoffnungsvoller Utopie zu hoffnungsloser Dystopie zu sein, die das Genre momentan bestimmt und damit auch eine gesellschaftliche Zustandsbestimmung ist.

Bilder vom donaufestival

David Visnjic

„The Empire Strikes Back – Kingdom Of The Synthetic“ von Ariel Efraim Ashbel

Utopie und Dystopie spielen im Kanon der Einstürzenden Neubauten zwar schon eine Rolle, aber nur eine sekundäre. Primär feiern die Neubauten in ihrem Werk stets den Moment, auch wenn das mit Hilfe der Vergangenheit passiert.

Letztes Jahr veröffentlichten sie eine sogenannte Greatest Hits Compilation und erinnerten damit mal wieder daran, wie humorvoll diese Band auch ist. Die Greatest Hits der Neubauten haben natürlich nichts mit einer klassischen Greatest-Hits-Zusammenstellung zu tun. Es handelt sich um eine Sammlung schöner Lieder ab dem Jahr 1989. Der größte Hit der Neubauten „Stella Maris“ fehlt beispielsweise, dafür rücken sie oft übersehene Kostbarkeiten wie „Susej“ in den Mittelpunkt.

Bilder vom donaufestival

David Visnjic

Und genau diese geschmackvolle Auswahl an Liedern spielten sie gestern Abend in Krems. Souverän, witzig und der eigenen Bedeutung bewusst. Der Focus lag auf den stillen Momenten und auf der Zurückhaltung. Also auf der zweiten Bandinkarnation ab den Neunziger Jahren, die ich aufgrund ihrer enorm bedachten Konzentration noch gehaltvoller empfinde als die Raserei in den Achtzigerjahren.

Wenn es aber erforderlich ist, wird noch immer, für kontrollierte Momente, gewütet und eingerissen. Die Einstürzenden Neubauten haben durch ständiges Wagen ihre impulsgebende Musik am Leben erhalten können. Ein eleganter Abschluss eines anmutigen ersten Donaufestival-Wochenendes.

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