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Kreuchen und Glauben

Auch im neuen Roman von Michael Stavarič treten wieder Tiere auf.

Von Anna Katharina Laggner

Vor zehn Jahren ist Michael Stavarič als der intellektuelle Shootingstar unter Österreichs Autorinnen und Autoren bezeichnet worden. Oft ereilt die Shootingstars nach der diesbezüglichen Rühmung ein schneller, bisweilen selbst verschuldeter, Abschuss und niemand erinnert sich mehr an sie. Nicht so ist es mit Stavarič. Er schreibt munter an seinen Kinderbüchern und Romanen und hat keine weithin bekannten Allüren. Tiere machen eine der wenigen Konstanten seiner Literatur aus. Bereits das Cover des Debütromans „stillborn“ zierte ein totes Eichhörnchen.

Nachdem sich in seinem letzten Roman „Königreich der Schatten“ zwei junge, mehr oder weniger aufstrebende Fleischhauers-Enkelkinder begegnet sind, tauchen in „Gotland“, dem soeben erschienen jüngsten Roman von Stavarič, tote Tauben und eine Ziege auf. Es wird ein Amsel-Opfer gebracht und den Ich-Erzähler überkommt in einer Verkleidung als Nashorn ein „erhabenes, beinahe schon göttliches Gefühl“.

Michael Stavarič, "Gotland", Luchterhand Literaturverlag, München 2017

Luchterhand

Michael Stavarič, „Gotland“, Luchterhand Literaturverlag, München 2017

Früh in „Gotland“ ist klar, dass es am Ende eine Vernehmung geben wird, dass irgendetwas passiert sein wird, das eine nähere Konsultation mit dem Ich-Erzähler nötig macht. Denn wiederholt taucht die Formulierung „Ich wurde später gefragt, ob...“ auf. Zunächst und ganz am Anfang des Buches ist da dieser Autor, der in einen nie dagewesenen Schreibfluss gerät, der ein wenig an das Märchen vom süßen Brei erinnert. Tausende, Abertausende Seiten an umwerfender Literatur produziert er. Es ist die stavaričsche Überspitzung des recht hippen Spiels mit dem realen und dem Autoren-Ich, denkt man. Aber bald schon (und ohne Zauberwort) wird die Sache fallen gelassen.

Danach beginnt eine in der Literatur recht normale Mutter-Sohn-Geschichte. Die Mutter ist Zahnärztin, der Sohn ihr symbiotisch verbunden. Die Gottesfurcht übermäßig, in jeder Lebenslage verlangt die Mutter nach dem passenden Bibelzitat und die christliche Schule ist naturgemäß mit Sex aufgeladen. Da wird gemutmaßt, dass der Turnlehrer etwas mit der Schulziege – es lebt tatsächlich eine Ziege im Schulhof – gehabt habe, da werden Kondome zur Anprobe verteilt und nach dem Schulgottesdienst rammt die Ziege den Hintern des Direktors. Alles beschrieben mit technischer Akkuratesse und großer Liebe zum Detail von einem reichlich naiven Ich-Erzähler.

Dieser Teil des Buches spielt in einem realen Raum, in dem ein Bub heranwächst und die Welt um sich begreift – nicht umsonst heißt dieser Teil Genesis. Doch im zweiten Teil, genannt „Das Buch Charles“ geht es tatsächlich nach Gotland, diesmal ohne Mutter. Dort herrscht Charles, ein Prophet, Sektenführer, Kommunardendiktator, man weiß es nicht genau, und noch mehr als im ersten Teil des Buches geht es hier um alles: um den Zusammenhang zwischen Intimrasur und Religion, um Whitney Houston, um die Mode in der Bibel und diesen Gott, der jeden Wunsch verweigert.

Doch worum es genau geht, kann man nicht sagen. Und worum es am Ende gehen wird, darf man nicht verraten. Sicher ist nur: „Gotland“ ist ein beherztes Buch, das Werk eines Phantasten mit deutlichem Hang zum Skurrilen.

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