Am Ziel und doch nicht angekommen

„No Shape“, das neue Album von Perfume Genius, ist ein Triumph über die Dämonen der Vergangenheit. Aber wie ist es mit jenen der Gegenwart?

Von Christian Lehner

Viele Jahre hatte Mike Hadreas aus Seattle mit den Dämonen seiner Jugend zu kämpfen. In der Familie gab es Gewalt, in der Highschool wurde der Homosexuelle als Tunte beschimpft, er griff zu Drogen und Alkohol. Außerdem leidet Hadreas an einer chronischen Autoimmunkrankheit. All das hat der junge Mann unter dem Pseudonym Perfume Genius auf drei Alben musikalisch aufgearbeitet. Doch nun ist Schluss mit der Trauerweide in Moll. „No Shape“ heißt das vierte Perfume Genius-Album und dort spielt Mike Hadreas groß auf.

Wo einst zarte Hände ihre Finger auf Klaviertasten legten, wo eine zerbrechliche Stimme gegen den Sturm des Lebens ankämpfte, ist jetzt Sturm und Drang. „Slip Away“ ist der Auftakt zum neuen Album, die erste Single, ein waschechtes Glam-Rock-Stück. Setzte sich unser Protagonist bereits am Vorgängeralbum „Too Bright“ etwas ab von seinen heiß geliebten Piano-Balladen, so feiert Perfume Genius auf seinem vierten Longplayer die große Pop-Grandezza. Versinnbildlicht ist das in „Slip Away“ und dem dazugehörigen Musikvideo.

Opulenter Pop

„Slip Away“ ist mein erster richtiger Pop-Song. Ich habe ihn nach der klassischen Strophe/Bridge/Refrain-Formel geschrieben. Der Sound sollte groß sein, so richtig over the top“

Der Dank von Perfume Genius gilt auch dem Produzenten Blake Mills (u.a. Alabama Shakes und John Legend). Er hat dem sonst alleine Arbeitenden dabei geholfen, im Studio den großen Pop-Traum zu realisieren. Doch auch lyrisch hat Perfume Genius einen Riesenschritt nach vorne gemacht. “Oh, ooh love/ They’ll never break the shape we take", heißt es in “Slip Away” selbstbewusst. Die Drogensucht ist überwunden, der Selbsthass auch, zumindest ein bisschen, die Liebe zum Boyfriend Alan wird ein Album lang gefeiert. Die beiden leben mit Hund Wanda in einem schmucken Häuschen in der Nähe von Seattle. Das Glück ist ein Vogerl, das dieses Mal nicht weitergeflogen ist.

“Auf dem Album stelle ich mir die Frage, wie man mit Glück umgeht? Was ist das eigentlich? Verdiene ich das überhaupt und so weiter? Und wie kann ich ein halbwegs sorgenfreies Leben führen in einer Welt, die dir als Schwulem gegenüber noch immer eher feindlich eingestellt ist?“

Das neue Perfume-Genius-Album zeigt, dass man das Ziel nicht unbedingt erreicht hat, nur weil man angekommen ist. Nicht nur die Vergangenheit wirft noch immer Schatten, auch in der Gegenwart ziehen dunkle Wolken über dem Paradies auf. Stichwort Trump. Stichwort Gesellschaftsklima. Mit Mike Pence haben die USA einen Vizepräsidenten, der den Ruf hat, Homosexualität als heilbare Krankheit zu betrachten.

Der Struggle geht weiter

„Man hatte es immer schwer als Mann in Stöckelschuhen. So rumzulaufen war nie bloß ein Zeichen der Selbstbestimmung, sondern immer auch Protest. Das ist wichtiger denn je. Aber ich gebe zu, dass ich Angst habe. Und ich hasse es. Manchmal ertappe ich mich dabei, mir zu überlegen, ob ich dies oder das wirklich anziehen kann, bevor ich das Haus verlasse. Es zeigt, wie tief diese Dinge in unser Leben eingreifen. Es ist einfach schrecklich, wie sich das Rad der Zeit zurückdreht.“

„No Shape“ ist eine Ode an das Leben und die Liebe mit gelegentlichen Fragezeichen dahinter. Die Bedrohung kommt dieses Mal von außen und nicht von innen. Es ist trotzdem ein richtiges Pop-Album zwischen Glam, Neo Soul und natürlich auch wieder) Balladen geworden. Ein Gewinn, nicht nur für den Urheber, sondern auch für uns, die ihm zuhören.