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Voodoo Jürgens

Christian Stipkovits / Radio FM4

„Heit sprech ma olle Sätz verkehrt“

Voodoo Jürgens spielte ein FM4 Überraschungskonzert in einer fast zu gut passenden Location.

Von Boris Jordan

Es ist lau. Wahrscheinlich ist es gerade in der Stadt nirgendwo und zum ersten Mal seit langem so lau. Ich überlege, wie es in Tulln sein muss. So wie im Sommer am Land, dem lauen, gut riechenden, versöhnlichen Land, nicht dem langweiligen, uninspirierenden Land. Von dort kommt er, der derzeitige Prinz des Dialektlieds und er gastiert zum ersten Mal in Wien, seit er seinen Anspruch auf den Thron mit 5 Amadeus-Nominierungen angemeldet hatte. Jetzt, als Preisträger, gibt er weiter den Unermüdlichen und Umtriebigen, der sich alles anschaut und bei möglichst vielem mitmacht.

Ich stelle Voodoo Jürgens eine kleine, private Aufgabe: ich höre „Schnitzler in Hollywood“, das vielleicht traurigste Lied vom vielleicht besten österreichischen Songwriter, Georg Kreisler, hier mit einem Ausmaß an Tragik und Profanität, Sentimentalität und Lakonie, Drama und Witz, das seinesgleichen sucht, selbst in der an diesen Dingen so reichen, heimischen Kunstliedtradition. Mal sehen ob ich es am Abend noch im Ohr habe.

Die gefühlt ersten 1.000 KonzertbesucherInnen haben sich um sieben zum FM4 Überraschungskonzert eingefunden, sie holen sich einen Eintrittsstempel und verlieren sich im Biergarten, wie viele es wirklich sind, lässt sich deshalb nur schwer sagen. Die Sonne scheint schräg auf die Wartenden, der vielleicht beste Österreicher singt, dass „das Leben am Leben vorbei“ geht. Bald werden wir Tote ausgraben.

Gartenzwergironie

Das Schutzhaus „Zukunft“ auf der Schmelz, einer traditionellen ArbeiterInnengegend im 15. Bezirk, ist die Überlocation für unseren Prinzen, die beste, die die KollegInnen vom FM4-Marketing, die all diese Dinge bedenken und organisieren, seit langem gefunden haben. Der vielleicht größte Biergarten ganz Wiens, ein Kastaniengastgarten inmitten einer Schrebergartensiedlung, dazu eine Veranstaltungshalle für 900 Leute, in der schon Kurt Ostbahn und Kruder & Dorfmeister gastiert haben. Am Sonntag davor waren der Nino aus Wien, Ernst Molden, Robert Rotifer und andere dort zu Gast, um Sigi Marons Geburtstag zu begehen.

Das Schutzhaus ist ein, möchte man meinen, professioneller geführter Abfüllbetrieb. Große Mengen Ausflügler werden hier jedes Wochenende verköstigt. Da kann man erwarten, dass man ein paar mehr Kunden auch noch schupft. Wenn allerdings erwartbare 1000 Leute mehr vor der Türe stehen, hätte man gastronomisch schon reagieren können – nichts da: So wartet man im Biergarten 40 Minuten, bis die Bestellung aufgenommen wird, sichtlich überfordert herumruderndes Personal wird mit Speisekarten bedroht.

FM4 Überraschungskonzerte

Ein Konzert irgendwo in Österreich, ohne jegliche Vorankündigung und bei freiem Eintritt. Bei fleißigem Zuhören wird dir dein Radiogerät zwar ein paar Tage vor dem Konzert verraten, WER spielen wird. Aber WO? Und vor allem WANN?

Für das nächste Überraschungskonzert stehen zumindest die Protagonisten schon fest: Die Antilopen Gang.

Vielleicht passt diese gemütliche Landatmosphäre ja besser zum gemütlichen Landkind Voodoo Jürgens, als ihm das lieb sein kann. Vom shabby Chic von einst, der das Schutzhaus auch eine Zeitlang zum Geheimtipp der alternativen Veranstalter gemacht hatte, ist wenig zu sehen. Das Personal muss demütigende Textilprint-Diskontertracht tragen. Es werden riesige Mengen glitzerndes Bier durch die Gegend getragen, (für wen das wohl ist?) und überall stehen ironische Gartenzwerge neben ironischen Trachtenjankern und ironischen Plastikblumensträußen. Ob es anders aussieht, wenn Gabalier oder die Seer hier spielen? Ob es in Tulln so aussieht?

Man sieht haufenweise Man-Buns und Hornbrillen, teure Radfahruniformen und Funktionsoutfits, die übliche Wiener Mischung aus vegan, elan, urban.

Die Landgasthaus-Atmosphäre des Schutzhauses veranlasst einen seltsamen Ruck in Richtung echte Realität, in die ironische Grundhaltung des Städters, die er immer im Biergarten oder beim Heurigen oder wenn von großen Wagenrädern die Rede ist, die als Deckenlampen umfunktioniert werden, bekommt. Geharnischt und immunisiert durch die vorgebliche Ironiedistanz stehen die selben Gartenzwerge an der selben Stelle wie schon immer und ein Schelm, wer sich da nun besser, oder sich vor Landhippies abzugrenzen bemüßigt fühlt.

Eine junge Frau sieht mit Dutt und einem von Hand selbstgenähtem, härenen Sackkleid – abgesehen vom abwesenden Hut – genau so aus, wie meine Großmutter im Söllandl Anno 1927 - es fällt hier recht schwer, irgendeine Ironie auszumachen, weshalb man jetzt nun wohl auch die „true love waits“ Bewegung bei FM4 Überraschungskonzerten erwarten muss. Neben mir murmelt einer „Amish“. Der größte Österreicher singt „Jedes verzweifelte Wort ist zu klein. Lass’ mers halt sein“. Ob es in Tulln auch so aussieht?

Enter Voodoo

Die „Ansa Panier“ (wienerisch für „Sonntagskleidung“) eröffnet mit einem sentimentalen Twenties Tango, in dem ganz Wien „nach einer Medizin sucht“ , nach deren Erlangen, so verspricht Voodoo „werden wieder G’schichtln druckt, die das Wirtshaus ausspuckt“. Das ist ein Auftakt, der das alles nicht besser beschreiben könnte: Zeitloser, unspektakulär-konservativer Begleitblues a la Waits oder Tigerlillies, mit allen dazu gehörigen Merkmalen, von Upright Bass zur Al Kooper-Orgel, mit Geige und Akkordeon, die in Wien ja Vorschrift sind. Innovationsdruck darf man dieser gemütlich sägenden Band nicht vorwerfen, sie ist ein reiner Rasenrollteppich für Voodoos unnachahmlichen, jungenhaften Charme.

Nichts soll ablenken vom Frontmann, der gut gelaunt zwischen Sänger und Alleinunterhalter hin und her springt, charmant und abgründig, witzig und sentimental. Manchmal kann man diesem netten Typen seine Street-Wise-Geschichten und seine altersweise, vor Erfahrung strotzende Staßenlyrik nicht ganz glauben - aber man tut es: Ohne etwas vergleichbares zu kennen, lässt sich die ebenso gut gelaunte Fanmenge in ein Wien entführen, das vor 100 Jahren so gewesen sein muss: Wuchtelschieber und Gschichtldrucker, Schiffschaukelanschupfer und Bierversilberer, schwere weiche Jungs und verzweifelte Dirnen mit großen Herzen, speibende Sandler und palavernde Hausmeister, kugelrunde Russen, rangelnde Bankerten und kudernde Dirndln, die die Buben „ausrichten“, kleine Betrügereien für die man keinen Richter braucht.

„Nachbarskinder“ , das Live-Only Geschenk „A oage Hackn“ (Postler, Totengräber, Fleischhacker, Polizist usw., mit der Conclusio, dass eigentlich eh jede „Hackn“ zu „oarg“ ist für uns weinselige Musikerseelen), „Gitti“ , „Au Weh“ , „In deiner Nähe“ (hier darf der größte Österreicher einwerfen: „Und ich hätt’ jemand so gern geküsst.“), Voodoos Orsolics’ Tribute, „Kumma Net (mit die G’faülten Schmäh)“ aus dem gemeinsamen Liedzyklus mit Stefanie Sargnagel und, netterweise früher als vorgesehen - weil im Publikum ein „Kind ins Bett muss“ -, lässt er uns schwitzende Menge schließlich auch noch Tote ausgraben, und alle Sätze verkehrt sprechen. Nach einer Mini Reggae Einlage („Austrian Vibration – Negative!“) gehört uns am Ende die ganze Welt. Und dann noch die Ode an seine Heimatstadt, seine beste Nummer - glückliches Tulln, wenn es bei dir so aussieht und einer von dir so darüber reden kann.

„Das Publikum liegt auf den Knien“ singt der beste alte Österreicher am Heimweg, ganz als ob er dabei gewesen wäre. Das nächste FM4 Überraschungskonzert findet woweissichnicht und wannweissichnicht, aber dafür sicher statt … und ich weiß mit wem: Die Antilopen Gang wird sich die Ehre geben – registrieren nicht vergessen!

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