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Die Rettung der Welt als Start-Up-Unternehmen

Andreas Stichmann erzählt in „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ eine popkulturell vollgeladene Geschichte über eine Gruppe von Weltverbesserern.

Von Christoph Sepin

Ich muss es zugeben: Was mein Interesse am neuen Roman des deutschen Autors Andreas Stichmann erweckt hat, war primär der Titel: „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ heißt das dritte Buch des Autors. Und wer Seapunk im Titel seines Romans hat, verdient es auch, zumindest angelesen zu werden.

Was ist Seapunk?

Bevor Seapunk zum eigenen Mikromusikgenre geworden ist, hat alles, wie so oft, mit einem Tweet angefangen.

Im Jahr 2011 hat der Brooklyner DJ Lil Internet die Kulturbewegung mit der folgenden Message auf Twitter ausgerufen: „SEAPUNK LEATHER JACKET WITH BARNACLES WHERE THE STUDS USED TO BE“. In kollaborativer Zusammenarbeit entstand aus dem Wort ein Musikstil, ausgehend von Musikern und Musikerinnen mit Namen wie Ultrademon, Unicorn Kid oder Zombelle.

Darin treffen Meeresgeräusche auf New Age Samples, verwaschene Synthesizer-Melodien auf zerstückelte Beats und 90er-Jahre-Trash-Techno-Ästhetik. Nach einem kurzen Höhepunkt in Internetcommunities spaltete sich die Bewegung in neue Subgenres wie Frostpunk oder Slimepunk auf und ist schlussendlich mit Artists wie Rihanna, Lady Gaga und Azealia Banks in den Mainstream geschwappt.

Bei „Seapunk“ handelt es sich um eine vor ein paar Jahren aus dem Internet herausgewachsenes Mikromusikgenre, das Elemente der Do-It-Yourself-Punk-Ästhetik mit nautischen Themen wie Delphinen, dem Ozean und Unterwassersounds mischt. Wird das in Stichmanns Roman behandelt? Ist das ein surrealer Ausflug in die tiefsten Tiefen des Meeres? Leider nicht. Denn mit dem Popkulturphänomen hat „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ leider wenig am Hut.

„Seapunk“ in Andreas Stichmanns Roman ist vielmehr das Alter Ego von einem der zentralen Charaktere des Buchs und gleichzeitig eine geplante sozialpolitische Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Status Quo zu verändern und irgendwie auch gleich die Welt zu retten.

Stichmanns Roman ist voll mit solchen Popkulturreferenzen, die teilweise eine neue Bedeutung annehmen, teilweise originalgetreu in seine Geschichte eingebaut werden. Wie „Star Trek“ zum Beispiel, dessen Erwähnung sich der Autor in seinem Buch nicht nehmen lässt.

„Der Seapunk existiert für den Schwarm. Das hat er sich in den letzten Wochen immer wieder einzuschärfen versucht. Als Mantra dazu hat er die letzten Worte von Mr. Spock gewählt: The needs of the many outweigh the needs of the few or the one. Das sitzt, wie es besser nicht sitzen könnte, gerade in Verbindung mit Spocks kühler Stimme.“

„Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ ist ein Roman über gesellschaftliche Außenseiter. Über Leute, die die Welt verbessern wollen, die sich nicht damit abfinden wollen, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Weil in dieser Welt, wie sie existiert, darin finden die Charaktere in Stichmanns Buch nie so richtig ihren Platz.

„Der Gast holt pseudointellektuell aus. Es gehe ihm um eine neue Art globalistischer Identität. Revolutionen seien Schnee von vorvorgestern, kein vernünftiger Mensch glaube mehr daran. Er wolle die Menschen dazu bringen, die bessere Welt als ein Start-up-Unternehmen zu begreifen. Als etwas, das gemeinsam gemanagt und beworben werden muss, aus dem Bestehenden heraus.“

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Andreas Stichmann: Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk. Rowohlt Verlag.

Andreas Stichmann startete seine literarische Karriere im Jahr 2008 mit dem Erzählband „Jackie in Silber“ und bekam dafür mehrere Literaturpreise. Mit seinem dritten Buch „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ ist Stichmann zurzeit auf Lesetour unterwegs. Mehr Informationen dazu finden sich auf der offiziellen Website des Autors.

Als zentralen Schauplatz seiner Geschichte hat sich Andreas Stichmann ein in die Jahre gekommenes alternatives Wohnprojekt namens Sonnenhof ausgesucht. Dort treffen die Hauptfiguren des Buchs zum ersten Mal aufeinander, dort erscheint der Millionenerbe David van Geelen zum ersten Mal unter seinem Alter Ego Sydney Seapunk. Und mit einem Plan: Er möchte seine eigene Entführung vortäuschen, um vier Millionen Euro zu bekommen, die dann neu investiert werden sollen. In den Sonnenhof zum Beispiel und ins Verbessern der Welt.

„Ingrid Meisner steigt missmutig aus. Die Flora kenne sie, die sei nun wirklich nicht spannend. Aber das will er ihr ja gerade zeigen! Die Rückwärtsgewandtheit, die von Orten wie diesem ausgeht. Der müde Antikapitalismus, der schon lange kein Potenzial mehr in sich birgt. Die Notwendigkeit einer neuartigen, bejahenden, spielerisch-futuristischen Bewegung. Einer Bewegung, die sagt: Wir lieben die Freiheit! Und die Welt!“

Andreas Stichmanns Sprache ist direkt und auf den Punkt gebracht. Teilweise fast zu direkt. Der Autor lässt sich nicht auf viele Metaphern ein und erzählt seine Geschichte in sachlicher Genauigkeit und teilweise Gezwungenheit.

Trotzdem: „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“ ist eine kurzweilige, auf ihr Ziel zu marschierende Geschichte mit Charakteren, die faszinieren und detailliert erklärt sind. Ein Buch fürs Lesen im Freien, idealerweise an einem warmen Sommertag, wie es sich für einen echten Seapunker gehört: natürlich am Strand.

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