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Lost Highway

Concorde

Eine fremde und seltsame Welt

Eine persönliche Liebeserklärung an drei filmische Meisterwerke von David Lynch.

Von Christian Fuchs

Ich muss den unlängst gekauften Teppich mit dem gezackten „Black Lodge“-Muster nicht gleich wieder einmotten. Und auch das riesige „Twin Peaks“ Poster in meinem Gang darf hängen bleiben. Die ersten Folgen der 2017 angelaufenen, von Fans hysterisch erwarteten dritten Staffel der legendären Mysteryserie enttäuschen nicht. Zumindest wenn man, wie meine Wenigkeit, eingefleischter Fan von David Lynch ist.

Twin Peaks“ anno 2017 wirkt beinahe wie das Gesamtwerk des unverwechselbaren Regisseurs auf die Essenz zusammengeschmolzen, inklusiver surrealer und selbstreferentieller Verweise bis zurück zu seinem wahnwitzigen Spielfilmdebüt „Eraserhead“ und seinen abstrakten Kurzfilmen. Keinerlei Kompromisse an moderne Serien-Sehgewohnheiten erlaubt sich der 71-jährige Filmemacher. Keine Annäherung an Neueinsteiger. Keine Zugeständnisse an zugezogene Gäste in Lynchville. Alte Freunde und Weggefährten werden von David Lynch dagegen mit irrlichternden Fernsehmomenten belohnt, die in ihrer Radikalität derzeit wohl alleine dastehen.

Twin Peaks

Showtime

Schönheit und Schattenseiten

Ich gestehe: Ich bin genau so ein Lynchianer. Wenn bei mir im Treppenhaus eine Lampe defekt flackert, finde ich das sofort lynchesk. Ebenso wenn in meiner alten Wohnung der Herzkörper seltsam gluckerte oder gar die Gastherme unheimlich brummte. Aus Filmen wie „Eraserhead“ oder „Lost Highway“ habe ich gelernt: Solche Geräusche sind Zeichen, Signale. Sie stehen für das Unheimliche, für die Paranoia und den Schrecken, der hinter unserem ganz normalen Alltag schlummert.

Fast alle Filme von David Lynch handeln von der Oberfläche und dem, was dahinter brodelt, brummt, wuchert. Manchmal, wie in „Blue Velvet“ oder „Twin Peaks“ ist die Fassade höchst idyllisch, erinnert an eine kitschige Postkarte aus den fünfziger Jahren. In anderen Streifen wie der sinistren Hollywood-Studie „Mulholland Drive“ ahnt man bereits die Gefahr im Hintergrund, aber zunächst ist da jede Menge Glitzer zu sehen. Lynch scheint besessen von diesen vermeintlichen Kontrasten: von der Reinheit und Naivität, von Eleganz und Schönheit, der er auch als Fotograf, Innenarchitekt und bildender Künstler huldigt, aber eben auch von den unvermeidlichen Schattenseiten. Über drei persönliche Alltime-Lieblingsfilme möchte ich aus diesem Anlass hier ausführlicher schwärmen.

Die reine Liebe und das personifizierte Böse: “Blue Velvet”

In den achtziger Jahren drehte sich das Kino erstmals ganz intensiv um die Oberfläche. Um den schönen Schein, die strahlende, blankpolierte Fassade. Nebenbei tobte die Postmoderne und niemand glaubte plötzlich mehr an das Echte, Authentische. Wer im Film oder in der Wirklichkeit „I Love You“ sagte, zitierte bloß ganze Dekaden von Hollywood-Melodramen und Kitsch-Epen. „I Love You“, protestierten damals Künstler aller Arten, sei nicht mehr möglich, höchstens noch mit ironischem Beigeschmack.

Dann kam 1986 David Lynch mit „Blue Velvet“. Ein Film, der vermeintlich perfekt in die Dekade passte, weil sich die traumwandlerischen Bilder gar nicht um Realismus bemühen. In Wirklichkeit erzählt dieses abgründige Kleinstadt-Märchen aber von den ganz großen, unverfälschten Gefühlen. Und von dem, was unter der vielbeschworenen Oberfläche liegt.

Gleich am Anfang taucht die Kamera vom gleißenden Tageslicht unter die Erde, zeigt das Gewimmel der Ameisen und Würmer. Dieses Gewimmel, sagt David Lynch, steckt hinter jeder Idylle. Hinter unserem aufgeräumten Alltag lauern konstant das Chaos und der Horror. In „Blue Velvet“ hat der Schrecken auch ein Gesicht: das von Dennis Hopper als psychopathischer Frank.

Blue Velvet

MGM

Nur die reine Liebe kann das Böse überwinden. Auch sie hat ein Gesicht, das von Laura Dern als naiver Engel Sandy. Dazwischen stehen die Zerissenen: Kyle McLachlan, der spätere Agent Cooper, als junger Hobbydetektiv Jeffrey, der einem finsteren Verbrechen auf die Spur kommt und Isabella Rosselini als obsessive Nachtclubsängerin Dorothy.

Licht und Dunkel, Liebe und Hass und keine Spur von Ironie. „Blue Velvet“ setzt der postmodernen Leere eine glühende Vision der Unschuld gegenüber. Nebenbei erfindet David Lynch das Thrillergenre neu, verpackt Gewalt, Sex und Voyeurismus in ein Werk, das im Niemandsland von Hollywood und Avantgarde vieles überstrahlt. Ein Film über abgeschnittene Ohren und mechanische Rotkehlchen, ein fremder, seltsamer Film über eine fremde, seltsame Welt - die zufällig die unsere ist. Der beste Streifen der Achtziger und nebenbei vielleicht einer der größten Filme aller Zeiten.

Pures Körperkino: „Lost Highway“

Der Saxophonspieler Fred (Bill Pullman) wird unter dem Verdacht verhaftet, seine Frau Renée (Patricia Arquette) auf bestialische Weise ermordet zu haben. Abgeurteilt wartet er in der Todeszelle auf seine Hinrichtung. Dann passiert eine unglaubliche Transformation: Die Wachen finden den jungen Automechaniker Pete (Balthazar Getty) hinter Gittern vor, Fred ist verschwunden.

Der Polizei bleibt nichts übrig, als den völlig verwirrten Jugendlichen zu entlassen. Pete, der eine Lücke in seiner Erinnerung hat, verliebt sich in die blonde Alice (noch einmal Arquette), die in Gangsterkreisen verkehrt. Als das Mädchen ihren neuen Freund in einen tödlichen Überfall verwickelt, gehen weitere bizarre Verwandlungen vor sich.

Eigentlich macht es überhaupt keinen Sinn, die Handlung von „Lost Highway“ in ein paar Sätzen zusammenzufassen, denn dem Gezeigten ist ohnehin nicht zu trauen. David Lynch kündigt die üblichen Vereinbarungen mit dem Betrachter auf. Kein Anfang, kein Ende, Personen verwandeln sich einfach in andere Personen, jede lineare Struktur löst sich auf.

Lost Highway

Concorde

Und doch kristallisiert sich aus all diesen Verwirrspielen ein schlichter tragischer Kern heraus. Es geht um „bad, bad problems“ (David Lynch) die Fred und Renée plagen, sexuelle Frustration, Eifersucht, Misstrauen, die nahezu völlige Entfremdung beider Partner voneinander. Probleme, die in etlichen Beziehungsdramen zur Sprache gebracht werden. An diesem Verbalisieren zweifelt Lynch aber, weil Film für ihn einfach das Medium des Sehens, der Bewegung und des Agierens ist. Wir fühlen stattdessen körperlich die Krise des gutsituierten Paars, die Lynch in ein höchst bedrohliches Spiel der Bilder und Sounds verpackt.

Mehr noch, in „Lost Highway“ nimmt das Unterbewusste, Verdrängte irgendwann physische Gestalt an. Fred begegnet bei einer Party den dunklen Aspekten seines eigenen Unterbewusstseins in der Person eines weiß geschminkten „Mystery Man“; eine Metapher für das Böse im Menschen ist Fleisch geworden. Aber auch die schönen Traumbilder des Musikers nehmen reale Gestalt an: Sein junges, viriles Alter Ego Pete (das möglicherweise nur eine Seite seiner schizophrenen Persönlichkeit ist) trifft auf Alice, die verführerische Doubletten-Variante seiner Frau. Beklemmender sind männliche Projektionen selten im Kino vorgeführt worden.

Boulevard of Broken Dreams: „Mulholland Drive“

Los Angeles bei Nacht. Langsam fährt eine schwarze Limousine durch die schlecht beleuchteten Hollywood Hills. Die Scheinwerfer streifen kurz ein Straßenschild. „Mulholland Drive“ flackert da in fetten Lettern auf, dann verschwindet die Tafel wieder in der Dunkelheit. Die hypnotische Kino-Reise, die mit dieser nächtlichen Autofahrt beginnt, führt bald zu Destinationen, die auf keiner Straßenkarte eingezeichnet sind. Wir befinden uns in einem irrealen Reich, das gleich hinter dem Boulevard of Broken Dreams beginnt.

Mit „Mulholland Drive“ begibt sich der faszinierendste Langzeit-Exzentriker des US-Kinos 2001 wieder zurück auf den „Lost Highway“. Auf eine Reise ohne konventionelles Ziel. Nicht nur, dass keine der ultra-mysteriösen Nebenhandlungen aufgeklärt wird. Es gibt irgendwann auch keinen Haupt-Plot mehr. Personen verwandeln sich einfach, lineare Strukturen lösen sich auf. Zurück bleibt ein Visionenrausch, der lange nach dem Verlassen des Kinos noch das Unterbewusstsein vernebelt. Und ein Wort: „Silencio“.

Im (Alb-)Traum-Universum dieses Films leben Charaktere, die wie sarkastische Karikaturen aus dem echten Hollywood-Dschungel wirken. Die naive Jungschauspielerin Betty (Naomi Watts) etwa, die aus der Provinz nach L.A. kommt, um Karriere zu machen. Oder der tarantino-artige Regisseur Adam (Justin „The Leftovers“ Theroux), dessen hippes Filmprojekt von finsteren Kräften sabotiert wird. Und eine verwirrte Femme Fatale, die sich Rita nennt (Laura Harring) und nach einem schweren Autounfall bei Betty Unterschlupf findet.

Mulholland Drive

Concorde

Um diese tragenden Figuren, die auf verwirrende Weise miteinander verstrickt sind, reihen sich seltsame Freaks und Auftragskiller, Mafiosi und abgetakelte Schauspieler. Der kleine Mann aus der schwarzen „Twin Peaks“-Hütte darf vor blutrotem Vorhang einen Gastauftritt absolvieren und sogar ein waschechter Cowboy wartet in den Hügeln von Hollywood. Nichts ist eben unmöglich in einem David-Lynch-Film.

Von prätentiösem Pseudo-Kunstkino haben einige Skeptiker beim seinerzeitigen Start gesprochen, vor Kurzem wurde „Mulholland Drive“ von einem Kritiker-Poll zum besten Film des 21ten Jahrhunderts gewählt. Jedenfalls findet man darin so viel samtige Eleganz und traurigen Glamour, schwülstige Erotik und wundersame Abseitigkeiten, dass es einen im Kino nur so raushebt aus dem fahlen Alltag. Ach ja, urkomisch ist dieser Film auch noch. Wirklich furchterregend. Und dann ist da noch die Musik von Angelo Badalamenti. Wer braucht schon so etwas Altmodisches wie eine schlüssige Handlung? Dream, Baby, Dream.

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