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Dagrun Hintze

Mathias Güntner / www.mairisch.de

Was Theater und Fußball verbindet

„Ballbesitz“ ist ein weiteres Buch voller Fußball-Anekdoten - aber eins, das man gerne liest.

von Rainer Springenschmid

„Ich, der Fußball und mein Lieblingsverein in soundsoviel Anekdoten“ muss ein sehr erfolgreiches Konzept sein, betrachtet man die Masse an derartigen Veröffentlichungen in den letzten zehn, zwölf Jahren. Für die meisten gilt: kennst du eines, kennst du alle. „Ballbesitz – Männer, Frauen und Fußball“ von Dagrun Hintze sticht da positiv heraus – und das, obwohl der Claim „Eine Frau, die sich für Fußball interessiert und sogar ins Stadion geht“ im Jahr 2017 auch nicht mehr den Sensationswert hat wie 1987.

Das liegt einerseits an der Mission der Autorin: sie will Menschen zum Fußballfan bekehren, und zwar mit einer Kombination aus feministischer Haltung, fußballerischem Sachverstand und Selbstironie. Zum Anderen liegt es an den Mitteln der Theaterautorin, mit denen sie dieses Ziel verfolgt: Sprachgewandtheit und feiner Witz.

Fußball ist für Hintze großes Drama – nicht nur aus Fansicht, weil sie mit dem BVB mitjubelt und -leidet, sondern auch aus der Perspektive der Theatermacherin. "Die Feststellung, dass Fußball eine größere Nähe zu den Dionysien der griechischen Antike aufweist als die meisten Theateraufführungen, die ich besuche, mag eine Plattitüde sein, zutreffend ist sie dennoch.“ Das etwas umständliche Zitat täuscht: Dagrun Hintze kann erzählen, Pointen setzen, und sie weiß wovon sie schreibt. So wie in diesem E-Mail-Interview, das ich zu ihrem Buch mit ihr geführt habe.

Dagrun Hintze

Mathias Güntner / www.mairisch.de

Am Samstag steht Ihr Lieblingsballspielverein Borussia Dortmund im DFB-Pokal-Finale. Wird das der Höhepunkt der Saison oder das finale Kapitel eines tragischen Jahres? Unterscheidet sich da Ihre Fan-Sicht von Ihrem professionellen Blick?

Da gibt es gar keine Frage: „Professionell“ werde ich das Pokalfinale nicht betrachten können, das erlaubt mein schwarz-gelbes Herz einfach nicht. Und natürlich wünsche ich mir nach dieser heftigen Saison nichts mehr, als dass der BVB gewinnt. Es wäre ein verdienter und versöhnlicher Abschluss – wobei „versöhnlich“ vermutlich zu optimistisch ist, dieses Watzke-Tuchel-Drama macht einen ja nicht nur als BVB-Fan wahnsinnig.

Ich habe durchaus Angst, dass diese Querelen die Mannschaft beeinträchtigen werden. Schließlich trifft sie auf ein Frankfurter Team, in dem Eintracht herrscht, trotz lausiger Rückrunde.

Wie sind Sie eigentlich BVB-Fan geworden?

Mit dem BVB kam ich 1993 zum ersten Mal in Berührung: Ich war verliebt in einen jungen Schauspieler aus Dortmund, der mich – nachdem wir uns schon näher gekommen waren – unter fadenscheinigen Begründungen nicht mit nach Hause nahm. Später, als wir schon zusammenlebten, gestand er mir, dass er befürchtet hatte, seine BVB-Bettwäsche könnte mich abschrecken – was damals definitiv der Fall gewesen wäre.

Durch ihn habe ich nicht nur verstanden, wie leidenschaftlich und emotional Fußball sein kann, sondern seine Liebe zur Borussia hat sich quasi magisch auf mich übertragen. Auch wenn wir längst getrennt sind, verbindet uns das noch heute.

Wie kann man sich das vorstellen, als Ihre Liebe zum Fußball erwacht ist? Hat’s da auf einmal „Klick“ gemacht? Ist das langsam gewachsen?

Bis ich wirklich mit Haut und Haaren dabei war, hat’s bis zum Jahr 2000 gedauert, ganz konkret bis zum EM-Halbfinale Holland gegen Italien, bei dem Holland insgesamt fünf Elfmeter verschoss.

Dieses Strafstoßdesaster, bei dem ich nur zufällig vor dem Fernseher saß, änderte alles. Weil ich einfach nicht fassen konnte, was da passierte: Lauter Leute, die tagtäglich nichts anderes machten, als ihre Schusstechnik zu trainieren, trafen nicht vom Elfmeterpunkt – als wäre das ansteckend. Oder ein Fluch. Klingt vielleicht seltsam, aber seitdem beschäftige ich mich voller Begeisterung mit Fußball – auch weil mir damals zum ersten Mal die Parallelen zu meinem Beruf, zum Theater, aufgefallen sind.

Auch da gibt es manchmal Vorstellungen, bei denen der Wurm drin ist (oder, um es fußballerisch zu sagen: bei denen die Schauspieler Scheiße am Schuh haben), ohne dass man das genauer in Worte fassen könnte. Genauso können Vorstellungen aber auch magisch abheben, wenn alle im „Flow“ sind und es auf der Bühne nichts mehr gibt, was man falsch machen kann – auch das ist dann mit Worten nicht mehr zu beschreiben. Was ja wiederum auch für ein Spiel wie das 7:1 gegen Brasilien gilt.

Dass einem Fußballspiel oder einer Bundesliga-Saison dramatische Kraft innewohnt, das muss man einem Fan ja nicht erzählen. Und spätestens seit der öffentlich ausgetragenen Freundschaft zwischen Otto Rehhagel und Jürgen Flimm hat sich der Gedanke, dass man gleichzeitig Fußball- und Kultur-affin sein kann, durchaus verbreitet. Gibt es trotzdem noch Situationen, in denen Sie lieber nicht erwähnen, was Ihnen Fußball bedeutet? Oder in denen Menschen verstört reagieren?

Buchcover Dagrun Hintze - "Ballbesitz"

Mairisch Verlag / www.mairisch.de

„Ballbesitz“ von Dagrun Hintze ist beim Mairisch Verlag erschienen.

Theaterleute hatten’s in der Tat schon immer sehr mit dem Fußball, und inzwischen gilt es im Kulturkontext ja auch durchaus als hip, sich dafür zu interessieren. Ich würde meine Liebe zum Fußball niemals verschweigen, im Gegenteil: Kaum ein Thema eignet sich besser für Kommunikation zwischen Menschen, die ansonsten wenig Berührungspunkte haben. Und ich habe dadurch schon die wunderbarsten Begegnungen mit völlig Fremden erlebt.

Trotzdem gibt’s auch heute noch häufig einen Überraschungseffekt, wenn man sich als Frau mit Fußball auskennt. Und gerade Frauen, die im Kulturbereich arbeiten, reagieren manchmal noch durchaus verstört, weil sie das Ganze für primitiv halten, die Armen.

Das Buch heißt im Untertitel „Frauen, Männer und Fußball“ – eigentlich sollten doch im Jahr 2017 die „Schalke 05“ oder „Frauen und Abseits“-Witze schon längst in einem feuchten Keller verschimmeln. Warum fanden Sie es trotzdem notwendig, dem Thema ein Buch zu widmen? Hatte es auch etwas mit den Shitstorms gegen Claudia Neumann während der EM zu tun?

Durch das Buch begegne ich jetzt immer mehr Frauen mit echtem Fußballsachverstand, das finde ich toll. Und trotzdem scheint es alles andere als selbstverständlich zu sein – in dieser Ambivalenz bin ich selbst gefangen. Ich glaube ja auch, dass Frauen anders auf Fußball gucken als Männer, insofern fand ich es durchaus reizvoll, in meinem Buch von der weiblichen Perspektive auf dieses Spiel zu erzählen.

Und natürlich war der Shitstorm gegen Claudia Neumann noch mal eine Bestätigung dafür, dass das immer noch wichtig ist: Solange es solche Reaktionen auf Frauen im professionellen Fußballzusammenhang gibt, müssen wir darüber reden. Das ist nicht anders als beim Thema geschlechtergerechte Bezahlung.

Muss man als Frau Frauenfußball verteidigen?

Ja, man muss. Weil die Geschichte des Frauenfußballs voller Männer ist, die Frauen etwas verbieten wollten und sich die Deutungshoheit über „richtige Weiblichkeit“ angemaßt haben, da rollen sich einem heute noch die Zehnägel auf. Gleichzeitig muss ich bekennen, dass ich mich nicht wirklich für Frauenfußball interessiere. Was weniger mit der Qualität auf dem Platz zu tun hat, als vielmehr mit dem Fehlen der großen Erzählung. Wenn wir Männerfußball gucken, werden wir ja auch Teil eines kollektiven Narrativs, in dem all die mythischen Geschichten des Fußballs enthalten sind, die wir so lieben. Der Frauenfußball hat (noch) kein solches Narrativ, das braucht nun mal seine Zeit.

Stellen Sie sich vor, Ihr neues Stück wird am Wiener Burgtheater uraufgeführt, am selben Abend trifft der BVB im Champions League Finale auf den FC Liverpool. Sie haben Karten. Für beides. Was tun Sie?

Gut, dass Sie nach einem Stück von mir fragen, da fällt die Entscheidung leicht, weil ich bei eigenen Premieren immer so furchtbar nervös bin, dass ich es kaum ertrage, im Publikum zu sitzen. Ich bin also beim Fußballspiel. Und lasse mich zum Schlussapplaus im Theater einfliegen. Sprich: Ich müsste für diesen Anlass ein ziemlich langes Stück schreiben, damit sich das zeitlich auch ausgeht. Und hat das Burgtheater eigentlich einen Hubschrauber?

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