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Die Fantasie leben

Tom Robbins, einer der witzigsten und durchgeknalltesten Autoren der USA, hat seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben. Spannend, lustig und lehrreich, ein fantastisches Reich aus Fakten und Fiktion.

von Andreas Gstettner-Brugger

Tom und ich haben etwas gemeinsam. Wir beide haben als Kleinkinder schon gerne getrunken. Bei mir war es picksüßer Hustensaft, der mir das zweifelhafte Vergnügen beschert hat, den Magen ausgepumpt zu bekommen (da haben meine Eltern durchaus vernünftig reagiert, sonst hätte ich wohl einen lebenslangen Herzfehler davongetragen).

Drei Menschen, mit denen Tom Robbins gerne verwechselt wird und mit denen er nicht im Entferntesten etwas zu tun hat:

  • Tim Robbins ... US Schauspieler, der lange mit Susan Sarandon verheiratet war
  • Tony Robbins ... Autor von NLP-geprägten Coaching-Wundertütenanleitungen
  • John Robbins ... Autor und Umweltaktivist, der sich gerne oben ohne fotografieren lässt

Bei Tom war es im zarten Alter von sieben oder acht Monaten ein Fläschchen Mercurochrom, eine kirschrote Tinktur zur Sterilisation und Heilung von Schnittwunden. Zum Glück verteilte er davon mehr über seinen kleinen Babykörper, als er tatsächlich schluckte, denn in der Einöde von Bowling Rock in den Appalachen North Carolinas zur Zeit der Weltwirtschaftskrise in den 1930ern gab es keine Notaufnahme.

Mit dieser kleinen Anekdote von „Tibetischer Pfirsichstrudel. Die wahre Geschichte eines fantastischen Lebens“ beginnt einer der witzigsten und verrücktesten Gegenwartsautoren der USA die Aufzeichnung seiner Lebenserinnerungen, wobei er das Buch nicht als Autobiographie verstanden haben will, „Gott behüte!“ wie der heute 81-jährige Tom Robbins selbst es ausdrückt.

Es ist vielmehr ein Sammelsurium an kleinen und großen Geschichten, herausgegriffen aus einem rebellenhaften Leben jenseits von Pflichterfüllung und Mainstream eines sich stark wandelnden Amerikas. Wie in seinen Romanen folgt der Autor nur selten einer chronologischen Struktur, sondern würfelt Zeit, Ort und Personen gerne wild durcheinander und schafft es trotzdem, ein stringentes, in sich schlüssiges Gesamtbild zu erzeugen.

Vom Tommy Rotten ...

War es eine mystische Vorahnung oder bloß reiner Zufall, aber schon im Kindesalter hat ihm seine Mutter den liebevollen Spitznamen „Tommy Rotten“ gegeben. Das war lange bevor uns sein Bruder im Geiste Johnny Rotten den englischen Punk um die Ohren ballerte. Und trotzdem war Tommy ein sensibler Junge, eine kleine künstlerische Seele, der lieber Puppentheater organisierte, als sich mit Altersgenossen zu balgen. Sprachverliebt diktierte er seiner Mutter, schon bevor er schreiben konnte, kleine Geschichten und bekam Wutausbrüche, wenn sie gut gemeint ein paar Sätze nachbesserte. Etwas, was seine Lektoren heute noch zu spüren bekommen.

Außerdem lernt der kleine Tommy Rotten in Blowing Rock durch die im Sommer immer wiederkehrenden, reichen Touristen, die seinen Heimatort in ein Paradies verwandeln und mit dem Kaltwetterumschwung im Herbst als trostlos-karge Wüste zurücklassen, etwas essentielles:

„Während sein Gehirn unwillkürlich dem Bogen zwischen Glanz und Schäbigkeit und wieder zurück verfolgte, gewöhnte er sich an den Rhythmus der Veränderung, die Balance der Gegensätze, das Yang und Yin an Aufschwung und Niedergang des kosmischen Kürbis, und am Ende fand er so etwas wie Trost in dem Wissen, dass das Paradoxe der Motor ist, der das Universum antreibt. In den Romanen, die er als Erwachsener schreiben würde, war Transformation (zusammen mit Liberation und Zelebration) ein großes Thema.“

Bücher von Tom Robbins

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Bücher von Tom Robbins die man gelesen haben muss:

  • „Sissy - Schicksalsjahre einer Tramperin“
    ... Eine mit großen Daumen ausgestattete Tramperin tingelt durch das bunte Chaos der USA.
  • „Halbschlaf im Froschpyjama“
    ... Eine Börsenmaklerin versucht nach einem Wirtschaftscrash ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen und trifft dabei auf einen wiedergeborenen Affen und eine fettleibige Tarotkartenleserin.
  • „Völker dieser Welt, relaxt!“
    ... Der Roman über die CIA, die Jungfrau Maria und den schrägen Agent Switters der beide liebt, hasst und neu erfindet.

Bis dahin wächst Tom Robbins in dem ländlichen Amerika der fünfziger Jahre auf, das von Ödnis und Alltagsrassismus durchzogen ist, mit dem der Autor in seinen Memoiren hart ins Gericht geht. Seine ersten literarischen Gehversuche unternimmt er in der Schülerzeitung einer Militär-Schule, was wiederum ein Spiegel für den paradox-komischen Lebensweg von Tom Robbins ist.

... zum Kunstkritiker

Mit dem Wechsel auf die Washington and Lee Universität kommt Tom Robbins im Journalismus an, seinem Sprungbrett in die spätere Bohemien- und Kunstszene in New York und Seattle. Er schreibt über Theateraufführungen, Kunstausstellungen und Konzerte, obwohl er - wie er selbst einräumt - überhaupt keine Ahnung von dem Metier hat.

„Meine Rezensionen waren nur deshalb unorthodox, weil mir aufgrund meines unglaublichen Unwissens über die Dinge, die ich besprechen musste, keine andere Wahl blieb, als das einzige Ass zu spielen, das ich immer im Ärmel hatte, nämlich meine Fantasie.“

An einer Biographie über zwei bekannte Maler scheitert Tom Robbins, doch der literarische Funken war damit eindeutig entfacht und der erste Roman bahnt sich vorsichtig seinen Weg durch die fantasievollen Gehirnwindungen des zukünftigen Romanciers.

Erleuchtung, Hippies...

„Tibetischer Pfirsichstrudel. Die wahre Geschichte eines fantastischen Lebens“ ist eine wild-assoziative Erzählung eines verschlungenen Lebenswegs, gespickt mit witzigen Wortspielen und sprunghaften Reflexionen über die Entwicklung Amerikas. Neben den Kindheits- und Jugenderinnerungen dürfen die ersten Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Substanzen nicht fehlen. Während bei einem Schneesturm ein großer weißer, dreidimensional beleuchteter Golfball auf einer Werbetafel schon eine Erleuchtung bei Tom Robbins auslöst, ist die Einnahme des damals noch weitgehend unbekannten LSD nochmal ein ganz anderes Kaliber. Sprachbildlich wundervoll ausgedrückt durch die Verschmelzung mit der gewundenen DNA einer Margeriten-Blüte.

Buchcover Tom Robbins "Tibetischer Pfirsichstudel" Tom Robbins zu sehen mit Sonnenbrille und Stern-Pullover

Rowohlt Verlag

Tom Robbins „Tibetischer Pfirsichstrudel. Die wahre Geschichte eines fantastischen Lebens“ ist aus dem Englischen von Pociao übersetzt im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen.

„Ich habe nur wenigen Menschen davon erzählt, wohl wissend, dass selbst ein verständnisvoller Zuhörer mich höchstwahrscheinlich für einen Schwindler und Spinner halten würde. Diejenigen, denen ich zutraute, dass sie mir glauben würden, fragten unweigerlich: ‚Und wie war es da? Im Inneren einer Margerite?‘ Und meine Antwort lautet: ‚Wie in einer Kathedrale aus Mathematik und Honig.‘ Vieldeutig, ich weiß, aber besser kriege ich es nicht hin.“

Seine Beschreibungen der Kunstszene New Yorks und Seattles sind ebenso witzig wie ironisch und auch seine Reflexion über die Hippie-Bewegung, als dessen zeitgeistiger Leitautor er fälschlicherweise oftmals bezeichnet wird, ist sowohl kritisch als auch liebevoll und erklärt uns nebenbei noch, wie die Welt funktioniert.

„Haight-Ashbury triefte förmlich vor christlicher Nächstenliebe. Diese Kids, die frohlockend und in sich gekehrt zugleich waren, praktizierten das was ihre Eltern predigten. Der Haight war das Neue Testament: beseelt, aktiviert, bunt. Die Naivität war so dick, dass man einen Eisstiel brauchte, um sie wegzukratzen - aber so war es bei Jesus angeblich auch gewesen. Als ich viele Jahre später einmal in der wilden afrikanischen Savanne stand, kilometerweit entfernt von der Zivilisation, und ein Rudel Löwen auf der einen Seite des Horizonts und eine einsame Giraffe auf der der anderen betrachtete, sagte ich mir: ‚So war die Welt, geplant, alles andere ist ein Irrtum.‘ Dasselbe dachte ich in jenem Sommer der Liebe in San Francisco.“

... und die Liebe

Apropos Liebe: Auch die kommt in den Memoiren von Tom Robbins nicht zu kurz. Sei es in der warmherzigen Erzählung über seine langanhaltende Ehe oder auch Erwähnungen seiner romantischen Beziehungen, wobei die Beschreibung eines einzigen Kusses kunstvoll ausgedrückt zu einer eigenen kleinen Geschichte werden kann.

„Als sich unsere Lippen berührten, gingen Pfaue in Deckung, verloren Elefanten ihr Gedächtnis, entwickelten Kamele rasenden Durst, und längst ausgestorben geglaubte Dinosaurier tauchten plötzlich in den Abendnachrichten auf.“

Genau das ist die Stärke von „Tibetischer Pfirsichstrudel“, die mosaikartige Anordnung von Lebenserfahrungen, ausgedrückt in wundervollen Metaphern, gespickt mit selbstironischen Reflexionen und einem geschärften Blick auf die kulturellen Erscheinungen Amerikas. Ein Kompendium nicht nur des Sprachwitzes, sondern auch der charmanten Lebensweisheiten, unprätentiös und immer unterhaltsam.

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