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Am Heart Of Noise Festival: Samuel Kerridge

Daniel Jarosch

Festivalradio

Süßes Summen, wild Combination

Das Heart of Noise Festival in Innsbruck ist zu Ende. Auch am Samstag und Sonntag: Ambient, Flirren, Folklore, Beats, alles.

Von Philipp L’heritier

Die Abwechslung macht die Reibung. Nicht bloß hinsichtlich künstlerischer Programmierung, sondern freilich auch schlicht und schnöde in Bezug auf leise Variation der Locations.

So hat das Heart of Noise Festival Innsbruck vergangenes Wochenende nicht bloß drei Tage lang versucht, die Verbindungslinien zwischen E und U aufzuspüren, dabei gleichzeitig den Brüchen nachzuforschen – sondern hat auch – neben dem Hauptspielort Treibhaus da und dort punktuell 1, 2, 3 kleinere Nebenschauplätze bespielt. Fußnote, würzt jedoch nötig die Atmosphäre.

Beispielsweise hat da Musiker und Autor Hans Platzgumer im kuscheligen Ambiente des Stadtarchivs eine Lesung samt Konzert gegeben, am frühen Samstagabend dann wurde auf der Dachterrasse eines Hotels im Rahmen einer Rooftop-Party ausgemessen, was denn das alles so reinpasst in diese komische Klammer namens: DJ-Culture.

Am Heart Of Noise Festival: Restless Leg Syndrome

Daniel Jarosch

Restless Leg Syndrome

Der Wiener Experimentalkratzer Dieb13 holt Schab- und Quietsch-Geräusche aus dem Vinyl, während der darauffolgende DJ Cassawarrior das Publikum mit seiner bodenlosen Sammlung von ostafrikanischer Rumba, äthiopischem Jazz und Funk, ja, bezirzte.

Den Abschluss des wohligen Abend-Warm-Ups machte eine Crew, die ebenfalls die Beziehung zwischen Folklore und Pop herausarbeitet – nur anders. Das österreichische Turntable-Trio Restless Leg Syndrom. Beim Heart of Noise präsentierten die drei Herren – einzig an Plattenspielern – ihr aktuelles Album, in dem sich Samples aus Tiroler Volksmusik, Zither, Gebläse, HipHop und spröder Funk mischen. Das klingt bei Restless Leg Syndrome – immerhin an diesem Wochenende – nicht nach Novelty-Gag oder sensationsgeil. Bloß sensationell, voller Saft und Punch.

Kairo is Koming

Tatsächlich erhellend war das Sonntagsnachmittagsprogramm: Im Musikpavillon im Hofgarten wurde da von drei ägyptischen Künstlerinnen selten Gehörtes und Gesehenes in das idyllische Ambiente eines faul verregneten Parks gestellt. Bei freiem Eintritt.

#heartofnoise #poplife #kairoiskoming #bosaina ❤️😳

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Nadah El Shazly, Ola Saad, Bosaina – drei Namen, die man sich merken wird wollen. Ägyptischer Folk, überlagert, durchsetzt und zerstört durch und von Elektronik, Popmelodien. Dann wieder: die minimalste, schärfste Digital-Dosis, Techno in der Schwundstufe, Field Recordings.

Zum Abschluss: eine geil verstörende Performance im Performance-Sinne von Bosaina, dem Popstar des aktuell heiß hochkochenden „Kairo is Koming“-Movements. Synthetischer Endzeit-Flüsterpop inklusive Verkleidungen, „Girl, Interrupted“-Sanatorium-Reenactment und Publikums-Beteiligung: Die Männer im Publikum – nur die Männer – wurden mit Krankenpfleger-/Arzt-Kitteln ausgestattet, um so zurechtgemacht der als „krank“ und „Patientin“ inszenierten Künstlerin ihren männlichen Blick zu schenken. Und sich dessen bewusst zu werden. Harter Stoff, wunderliche Beklemmung.

Am Heart Of Noise Festival: Jenny Hval

Daniel Jarosch

Jenny Hval

Die großen und größeren Namen des Segments „Pop Life, neben der Spur“ haben sich dann aber auch am Samstag und am Sonntag im Treibhaus Innsbruck eingefunden. Wenn es an diesem Wochenende beim Heart of Noise neben Psychic TV am Freitag so etwas wie einen Popstar gegeben hat, dann ist das die norwegischen Künstlerin Jenny Hval gewesen.

Die hatte zwar ihr hervorragendes Album „Blood Bitch“ aus dem Vorjahr mit im Gepäck – groß interessiert an Reenactment bekannter Lieder und Hit-Vortrag hat sich Hval aber am Samstag nicht gezeigt. Das ist nicht schlecht. Fauch- und Hauchgeräusche, reduziert dargebracht, schiefer Synth-Pop aus der Folterkammer. Lieder über Politik, Kapitalismus, Körper und Verfall des Körpers. Blut. Perücken, ausgestopfte Stoff-Innereien als Requisiten, performativer Schabernack. Jenny Hval: in den Themen ernst, im Vortrag bei aller Sperrigkeit mit Witz gewürzt.

Music for very existent Dancefloors

Was am Rande des Dancefloors möglich ist, war beispielsweise bei den Auftritten der englischen Produzenten Samuel Kerridge, Ital Tek und Forest Swords zu erleben. Kerrdige: schwefeliger, eisenharter Industrial-Techno. Ital Tek: ausfransende, scharfkantige Poststep-Versuchsanordnungen. Forest Swords: digitaler Dub, tiefbassig, mit folkloristischen Spieluhr- und Hexenbeschwörungsgeräuschen unterfüttert.

Am Heart Of Noise Festival: William Basinski

Daniel Jarosch

William Basinski

Auch eine Art lose, schlaglichthafte Geschichtsschreibung der Ambient Music zog sich durch das Programm des Heart of Noise: Der altgediente New Yorker Künstler William Basinski huldigte mit seinem Auftritt vor allem den gemeinsamen Ambient-Arbeiten von Brian Eno und David Bowie, während der junge Produzent Huerco S. vornehmlich das süß brummende und pochende Erbe von frühen Ambient-Platten aus dem Umfeld des Kölner Labels Kompakt weiterdachte.

Gegen Ende des Festivals tauchte dann noch Kompakt-Impressasio Wolfgang Voigt selbst mit seinem wegweisenden Ambient-Projekt GAS auf der Bühne auf. Es rauschte im Walde. „Narkopop“ heißt das aktuelle Album von GAS. Stimmt.

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