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Ethan Hawke als Chet Baker in "Born to be blue"

Thimfilm

Cool Cat Chet

Alles andere als ein dröges Biopic: „Born to be Blue“ erzählt von Sucht, Jazz und Selbstzerstörung. Chet Baker, den legendären Mann mit der Trompete, gibt Ethan Hawke. Und hat uns Hakwe schon jemals enttäuscht? Eben.

Von Pia Reiser

Eine haarige Spinne, die langsam aus der dunklen Öffnung einer Trompete kriecht. Traumdeuter mit Hang zur Psychoanalyse reiben sich wahrscheinlich die Hände bei diesem Bild, mit dem Robert Budreau „Born to be Blue“ eröffnet. Chet Baker, der tragische, jedoch stets fesch gekampelte Held seines Films liegt zu diesem Zeitpunkt zusammengekrümmt auf dem Boden eines italienischen Gefängnisses. Ihm gegenüber die (imaginierte) Trompete, in die wir, gemeinsam mit Baker, wie in einen hypnotischen Abgrund starren. Als die Spinne auftaucht, macht Baker genau das, was wider jede Logik und jeden Instinkt spricht, er streckt die Hand in Richtung Insekt und Trompete aus.

Bevor ein Gefängniswärter den in Gefängnissen wohl eher selten gehörten Satz „You’ve got a visitor from Hollywood“ ausspricht und damit die Szene in die Realität zurückholt, bringt Budreau in der wortlosen Sequenz schon aufs Tableau, wovon „Born to be blue“ erzählen will. Eine mit Bedeutung aufgeladene Trompete, Drogen, ein tragischer Held und ein Hauch Mysterium - vor allem aber vermeidet „Born to be Blue“ diese aseptische „die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“-Atmosphäre, mit denen sich Biopics bzw. Filme, die sich um reale Personen drehen, so gerne stolz schmücken.

In Schwarz/Weiß-Bildern sehen wir Chet Baker, den coolen Hegel an der Trompete, einen Jazzclub in New York betreten, umkreist und umkreischt von jungen Frauen. Eine der Frauen geht mit Baker nach Hause und - gerade als man sich über einen Prä-Heroin-Konsum-Dialog aus der Kategorie cheesy wundert - da sind die Bilder plötzlich wieder in Farbe. Man ist auf einem Filmset, gedreht wird ein Film mit Chet Baker als Chet Baker. Ein Film, der in Wirklichkeit nie über die Planungsphase hinaus gekommen ist.

Ethan Hawke und Carmen Ejogo in "Born to be blue"

Thimfilm

Da ist sie nocheinmal, die verblüffende und gewitzte Erinnerung des Films daran, dass er eine „re-imagination“, keine „true story“ ist. Von den umjubelten Tagen des legendären Jazz-Musikers in den 1950er Jahren erzählt „Born to be Blue“ nur an dieser Stelle, als Baker, kritisch beäugt von Miles Davis, mit seinem Trompetenspiel für Furore sorgt.

There’s a little white cat on the coast who’s gonna eat you up, mit diesen Worten soll Charlie Parker Musiker wie Davis oder Dizzy Gillespie vor Chet Baker gewarnt haben. Der weiße junge Mann mit der Trompete, der aussah wie ein Filmstar, verträumt, entrückt und unausgeschlafen wie James Dean, Montgomery Clift oder Saal Mine und der ein enges weißes T-Shirt trug wie Marion Brando. In „Born to be Blue“ spielt Ethan Hawke den Musiker mit dem verschmutzen Gesichtsausdruck, dessen kindliche Ausstrahlung und Schönheit später von jahrelangem Drogenkonsum überzeichnet wurde. Hawke ist immer am besten, wenn er nervöse Figuren spielt und auch Baker ist fahrig, unruhig, rastlos. Bald auch: zahnlos. Nach einer nächtlichen Attacke fehlen dem Musiker beinah alle Zähne, er muss lernen, mit der Zahnprothese zu spielen.

Ethan Hawke als Chet Baker in "Born to be Blue"

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„Born to be Blue“ startet am 9. Juni 2017 in den österreichischen Kinos

Anstatt biografische Fakten nachzuspielen, erzählt „Born to be Blue“ eine Geschichte über einen Künstler, einen Süchtigen, einen, dem der Ruhm egal ist, der aber gern die Anerkennung von Miles Davis hätte. Nicht nur die Konventionen eines Biopics ignoriert „Born to be Blue“, es setzt auch nicht zum klassischen Narrativ eines Künstler-Comebacks an. Zwar dreht sich der Film hauptsächlich um die Zeit, als Chet Baker versucht, clean zu werden und wieder Musik machen zu können, doch „Born to be Blue“ setzt auf Auslassungen, als auf ständige Erklärungen.

Stellenweise ist der Film so fahrig wie seine Hauptfigur und Hawke brilliert als Getriebener mit jungenhaftem Charme. Der Film ist eine melancholische Ballade, die gegen Ende dann doch ein paar Künstlerklischees nicht ganz umschiffen kann, doch was macht das schon, wenn Ethan Hawke irgendwann „My Funny Valentine“ flüstersingt.

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