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Die Band Big Thief

Shervin Lainez

Der Song zum Sonntag

Alles über meine Mutter

Der Song zum Sonntag: Big Thief - „Mythological Beauty“

von Philipp L’heritier

Über die Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern gibt es zu wenige Lieder. Und die, die es gibt, handeln dann auch bevorzugt von der Rebellion im Kinderzimmer und davon, dass die Erwachsenen alle blöd sind. Um mit Wärme davon zu singen, muss man wohl erst ein bisschen älter werden.

Adrianne Lenker verhandelt in den Liedern ihrer Band Big Thief oft die kleinen, zerbrechlichen Interaktionen zwischen den Menschen, nicht selten in Hinblick auf familiäre Verbandelungen.

Big Thief "Capacity"-Albumcover

Saddle Creek

„Capacity“ von Big Thief

Gerade haben Big Thief unter dem Titel „Capacity“ ihr zweites Album veröffentlicht, das Cover ziert ein Schnappschuss aus dem Familienalbum, inklusive Baby.

Die Band aus Brooklyn widmet sich zartem Wald- und Wiesenfolk, leise, vom Wind verblasen, da und dort sachte Richtung Kammerpop und behutsamem Indierock geschoben. Ein vorsichtiges Betasten der Instrumente, Adrianne Lenkers Gesang ist ein Hauchen und Flüstern, dabei ausdrucksstark, selbstsicher. Sie öffnet mit ihren Liedern ein Fenster in ihr Innerstes, es sind intime, private Lieder.

Der Song „Mythological Beauty“ ist als Single zwar schon vor ein paar Wochen erschienen, ist dabei aber das emotionale Kernstück des Albums „Capacity“: wieder so ein filigranes Lied, das Adrianne Lenker aus dem hauseigenen Tagebuch gezogen hat.

Die „Mythological Beauty“ – das bezieht sich auf Lenkers Mutter. „Mythological Beauty“, das muss man auch einmal sagen. Adrianne Lenkers singt es gleich in der ersten Strophe. Ein vorsichtig gestreicheltes Schlagzeug, eine gezupfte Gitarre, viel mehr passiert nicht, das Lied gleitet und fließt.

Lenker erinnert sich hier an eine schmerzvolle Episode aus ihrer Kindheit: Beim unbeaufsichtigten Spielen mit Schrotteilen im Garten wurde sie von einem aus einem Baumhaus herabfallenden großen Eisennagel schwer verletzt.

Die Mutter war derweil im Haus. "Blood gushing from my head / You held me in the backseat with a dishrag, soaking up blood with your eyes / I was just five and you were twenty-seven praying, ’ Don’t let my baby die ’ ” .

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

In diesem Lied erkennt Lenker, die Erzählerin, ihre Mutter als Menschen und nicht bloß als Mutter. Sie singt davon, dass ihrer Mutter ihren ersten Sohn noch als Teenager bekommen hat. Sie singt davon, dass sie einen älteren Bruder hat, den sie nie getroffen hat.

Da sind aber keine Vorwürfe und keine Beschwerden. Es ist ein Begreifen, ein Lied über das Erwachsenwerden und die Turbulenzen, ein Lied, das verstanden hat.

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