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Buchcover "Violante"

Czernin, Miramax

„It’s not blood. It’s red.“

Dieses Zitat klingt wie von Tarantino und ist von Godard: Judith Nika Pfeifers Erzählung „Violante“ ist erfrischenderweise voll mit Twittermeldungen, Song- und Literaturzitaten und politischen Obszönitäten. Und das, obwohl die Handlung eigentlich auf einem italienischen Krimi aus dem 16. Jahrhundert basiert.

von Lisa Schneider

Die Montagetechnik oder „Cut Up“-Methode in der Literatur ist seit dem Dadaismus, spätestens seit der Beat Generation mit Vertretern wie William S. Burroughs en vogue. Eine fragmentartige Zusammenstückelung von Wort- und Satzfetzen, die sich luftig lesen lässt, aber Erzählstrenge braucht, um die LeserInnen mithineinzuziehen. Dass Twitter als Medium mit begrenzter Zeichenzahl pro Tweet sich hervorragend auch für diese Form der Literatur handelt, hat sich die österreichische Autorin Judith Nika Pfeifer zunutze gemacht.

Während ihres Stipendiatsaufenthalts in der Casa Litterarum in Paliano, Italien, stieß sie auf ein von Stendhal überliefertes Manuskript: dem französischen Schriftsteller (1783-1842) wurde eine Gerichtsakte, der Fall der Violante, zugespielt.

Ein kostbares Stück, weil dies die einzige Überlieferung eines untypischen Kriminalfalles in Rom, Mitte des 16. Jahrhunderts darstellt.

#es_wird_etwaskompliziertaberwirschaffendas

Violante, jung, schön und Herzogin, wird im Auftrag ihres Ehemannes ermordet. Er bezichtigt sie der Untreue, die sie bis an ihr Ende verneint. Die Kuriosität der Geschichte besteht nicht im „Ehrenmord“ einer Frau durch ihren Mann - das war, so haben es uns nicht nur die Medici gezeigt, kein Unikum - sondern, dass die Mörder verurteilt und ebenso getötet wurden.

Buchcover "Violante"

Czernin

Die Erzählung „Violante“ ist im Czernin Verlag erschienen.

Die Geschichte geht aber sogar noch weiter: Der nachfolgende Papst ließ die Mörder - obwohl schon tot - rehabilitieren, von ihren Sünden freisprechen. Er war es auch, er die Akten vernichten ließ, und nur ein Exemplar bei sich behielt. Es hat den Weg zu Stendhal - und jetzt in die Hände von Judith Nika Pfeifer gefunden.

Das Netz aus Intrigen, das verwickelte Machtgeflecht hat sie gefesselt, erzählt die junge Autorin, es war spannend, im Archiv zu sitzen und langsam die Zusammenhänge zu erklären. Die nächste Frage war, wie sich der Stoff in eine zeitlose Hülle würde packen lassen, weil Zeit, so Pfeifer, ist nicht der Mittelpunkt der Geschichte. Ganz entkommen kann man dem gegenwärtigen Kontext nicht, das weiß die Autorin. Durch die Einbindung sozialer Medien verankert sie ihre Geschichte gleichzeitig in der Gegenwart.

Eine Geschichte lebt von dem Blickwinkel, aus dem sie erzählt wird. „Violante“, wie nicht nur die Protagonistin, sondern auch die Erzählung heißt, kommt bei Stendhal genau zweimal zu Wort, bei Judith Nika Pfeifer ist sie der Dreh- und Angelpunkt. Um ihrem Anspruch einer zeitlos erzählten Story gerecht zu werden, ist es aber keine Erzählung aus Sicht der Hauptperson, sondern eine multiperspektivische Angelegenheit. Die Familie Carafa, ein schillernder Haufen an Intriganten, Betrügern, selbstverliebten Heuchlern und schwachen jungen Männern; der Onkel-Papst, der Strenge zeigt, aber scheinbar etwas zu verstecken hat; Violantes Mann, der sie so wahnsinnig liebt, und trotzdem töten lässt. Sie alle erzählen die Geschichte, und als wäre das nicht genug, dürfen Amy Winehouse, Franz Ferdinand, Christoph Waltz und Goethe miterzählen.

nezeitlang #vom_glück_bevorzugt

Judith Nika Pfeifer stattet ihre Geschichte mit Song- und Literaturzitaten aus, mit Trump’schen Sagern und filmischem Vokabular. Pussy grabbing, und Franz Ferdinand, die dir erklären, „I’m gonna make somebody love me“. OK Go, die ihre Weisheit mit uns teilen „We solve problems with bigger problems“ oder aber Dostojewskij der schon wusste „Geld ist gedruckte Freiheit“.


OK Go lösen in „Violante“ ihre „problems with bigger problems“.

Dass sie, wenn sie nicht gerade im Archiv geforscht hat, gerne Quentin Tarantino-Filme geschaut hat, bezeugen nicht nur die vielen Blutspritzer. Szenen werden oft wie im Drehbuch beschrieben, Klappe auf, was tut sich im Vorder- was im Hintergrund. Die Geschichte schüttelt durch den filmischen Blick und die oft nicht lineare Erzählweise jede Form von Statik ab.

Quentin Tarantino

France Cannes

Am liebsten schaut Judith Nika Pfeifer Filme von Quentin Tarantino und Jean-Luc Godard. Das merkt man auch in „Violante“.

„Postfaktisch“ ist so ein schöner Begriff, der momentan scheinbar überall auftaucht. Die Schlange beißt sich, ungewollt oder nicht, in den Schwanz: der erwähnte Trump’sche Sager, den Pfeifer alten, grapschenden Männern während einer Silvesterparty in den Mund legt, bekommt mit dem Lieblingsdiskussionsthema des amerikanischen Präsidenten, „Fake News“, eine neue Wendung. Die Autorin sagt sympathischer Weise im Interview, wenn sie sich jetzt abgeklärt geben wollen würde, würde sie einfach sagen, „postfaktisch“ ist auch nicht mehr als ein Modewort.

Judith Nika Pfeifer hat, bevor sie geschrieben hat, im Marketing gearbeitet und weiß, wie man nicht ganz so schöne brauchbare Fakten zu angenehm verarbeitbaren Aussagen macht. Diese Technik ist aber allerdings nicht postmodern oder postfaktisch, sondern so alt wie die Menschheit.

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