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Die irische Autorin Jess Kidd im Portrait

(c) Michael Farenden

Geisterhafte Mördersuche

Die Suche nach der Wahrheit zwischen Toten und Mördern. Der irischen Autorin Jess Kidd ist mit „Der Freund der Toten“ ein unglaublich guter und schaurig-schöner Debütroman gelungen.

von Andreas Gstettner-Brugger

Es ist eine stürmische Nacht. Im Wald nahe eines kleinen irischen Dorfes wird eine Frau kaltblütig ermordet.

„Sein letzter Schlag nahm ihr die Sehkraft. Sie lag am Rande der Welt, wünschte sich endlich, es möge vorbei sein. Sie drehte das zertrümmerte Gesicht ihrem wunderschönen Jungen zu, meinte, ihn noch immer sehen zu können, sogar durch die Dunkelheit, eine matt schimmernde Rose des Waldes.“

Wie durch ein Wunder überlebt ihr neugeborener Sohn. Sechsundzwanzig Jahre später kehrt der Waisenjunge Mahoney zurück in sein Heimatdorf Mulderrig, um herauszufinden, was in jener Nacht wirklich passiert ist.

Die Geister die ich nicht rief

Es ist wie ein Stich in ein Wespennest, als der Hippie und Gelegenheitsdieb Mahoney im verschlafenen irischen Mulderrig ankommt. Die schrulligen Dorfbewohner mustern ihn argwöhnisch und wittern sofort, dass dieser junge, gutaussehende Bursche große Unannehmlichkeiten mit sich bringt. Einzig in der alten und scharfzüngigen Dame Mrs Cauley, einer ehemaligen Schauspielerin und Enfant terrible des Dorfes, findet er eine Verbündete. Sie ist überzeugt davon, dass Mahoney Mutter ermordet wurde und will mit ihm die Wahrheit ans Licht bringen. Dabei soll vor allem Mahoneys „Gabe“ ihnen helfen, denn seit seiner Kindheit sieht er tote Menschen. Ein Phänomen, das ihm sehr zusetzt und immer wieder kalt erwischt.

„Mahoney hatte vergessen, dass es so sein kann. Dass die Einzelheiten manchmal bildhaft zurückkommen und sich ihm einbrennen. Der schwache Glanz auf einer Haarlocke im Nacken eines bis auf die Sehnen durchtrennten Halses. Oder der matte Schwung einer blutleeren Wange über vor Gift bitteren Lippen oder der bleiche Halbmond eines Fingernagels an einer ertrunkenen und aufgedunsenen Hand. Und wenn du wieder hinschaust, nichts.“

Und so hecken Mahoney und Mrs Cauley einen gerissenen Plan aus, um das ganze Dorf aufzurütteln und den Mörder aus seinem Versteck zu locken. Ein gefährliches Unterfangen.

Von Toten, Mördern und Wäldern

Die irische Autorin Jess Kidd ist eine meisterhafte Erzählerin.

Buchcover "Der Freund der Toten" von Jess Kidd

Dumont Verlag

Der meisterhafte Debütroman „Der Freund der Toten“ der irischen Autorin Jess Kiddist in deutscher Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann im DumontVerlag erschienen.

Man entwickelt durch ihren präzisen und kunstvollen Stil sofort eine Beziehung zu ihren liebevoll und detailliert gezeichneten Charakteren. Mit schwarzem Humor und analytischem Scharfsinn blickt sie auf ein Dorf, das die Vergangenheit lieber ruhen lassen will und sogar vor einem möglichen Verbrechen die Augen verschließt. Dabei urteilt sie nicht, sondern macht die Beweggründe jeder einzelnen Figur nachvollziehbar.

Auch die Verschränkung von Geistergeschichte und Kriminalroman gelingt Jess Kidd sensationell. Wir zittern mit Mahoney, wenn er seinen geisterhaften Erscheinungen begegnet und entwickeln mit der aufwieglerischen alten Mrs Cauley unseren detektivischen Spürsinn. Nie wird hier platt mit Geister-Klischees gearbeitet, sondern die irische Autorin entwickelt mit meisterhaftem Feingefühl eine traumhafte, übersinnliche und manchmal bis zum Zerreißen gespannte Spannung.

„Denn weder verändern sich die Toten, noch wachsen sie. Sie sind bloß Echos der Geschichte ihres eigenen Lebens, falsch herum gesungen. Sie sind das Muster auf den geschlossenen Augenliedern, nachdem du etwas Helles gesehen hast. Sie sind doppelt belichtete Filme. Sie sind nicht wirklich da, weshalb Ursache und Wirkung für sie keine Bedeutung haben.“

Die fieberhafte Wahrheitssuche wird immer wieder durch Rückblenden auf die mörderischen Geschehnisse unterbrochen, bis alles auf einen unweigerlichen Höhepunkt zusteuert. Eingebettet ist die Geschichte in die wilde irische Landschaft, der Jess Kidd durch ihre poetische Sprache Leben einhaucht und sie zu einer eigenen Figur in ihrem Roman werden lässt.

„Diese Wälder sind noch immer ein Bollwerk. Ihre Blätterdächer saugen jeden sanften grauen Himmel auf, und ihre Wurzeln pflügen sich tief in die dunkle Erde, umfangen uralte Knochen und befingern verlorene Goldmünzen. Sie werfen ihre Äste hoch wie wilde Tänzer, wenn von der Bucht ein Sturm aufzieht.“

„Der Freund der Toten“ von Jess Kidd ist durch und durch ein Gänsehautbuch und großes Lesevergnügen, von der ersten bis zur letzten Seite.

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