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Der Spargel mit der Kettensäge

Für mich war Spargel immer ein Albtraum.

Von Todor Ovtcharov

Samstagmorgen, Anfang Juni. Die Spargelsaison ist fast zu Ende. Es regnet stark den ganzen Morgen, doch die Wolken ziehen sich langsam zurück. Die Felder rund um Gänserndorf, der größten Spargel- und Erdbeerzuchtregion Österreichs, schwimmen im Gatsch. Jeder weitere Schritt birgt die Gefahr, dass ich meine Schuhe verliere. Ich fühle mich, als wäre ich in „Im Westen nichts Neues“ oder ein Held aus einem Zeichentrickfilm, der versucht, auf Klebstoff zu gehen und danach seine Schuhe verliert. Das ist nur in Zeichentrickfilmen lustig.

Trotzdem finde ich die Situation interessant: Ich sehe zum ersten Mal in meinem Leben, wie Spargel wachsen. Ich kannte sie bisher nur aus dem Supermarkt. Zum ersten Mal sah ich Spargel mit 13 in Deutschland. In Bulgarien hatte es keinen gegeben.

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Für mich war Spargel ein Albtraum. In unserem Viertel in Sofia gab es einen Typen mit dem Spitznamen „Der Spargel“. Er hatte nichts Grünes oder Knackiges an sich. Trotz seines Spitznamens war er dick und hatte einen verrückten, vom Klebstoff-Schnüffeln roten Blick. Er griff regelmäßig Kinder an und durchsuchte sie. Er nahm uns das Taschengeld ab und gab uns „pädagogisch“ noch eine Watschen. Alle hatten Angst vor ihm und rannten weg, als sie ihn sahen. Seine Stimme war laut und schneidend wie eine Kettensäge. Diese Stimme jagte die Kinder bis nach Hause. Deshalb machten mir die Spargel im Supermarkt Angst. Ein bloßes Erwähnen brachte mich zum Zittern.

„Spargel und Erdbeeren werden mit der Hand gepflückt!“, erzählt mir eine Frau von der Gewerkschaft, die alles über Spargel weiß. Wir gehen durch die Felder mit einer Gruppe der Produktionsgewerkschaft. Die Gewerkschaftler sind da, um die Spargelpflücker über ihre Rechte und Mindestlöhne aufzuklären. Wir wissen nicht, ob wir am Samstag Feldarbeiter finden werden.

Das Spargelfeld ist mit weißen Überzügen bedeckt. Weiße Überzüge im braunen Gatsch, Arbeiter in grünen Overalls. Was für ein Bild. Die Arbeiter sind aus Rumänien. Sie sagen uns, dass fast alle Spargelpflücker in Österreich aus Rumänien sind. Wir geben ihnen Flyer, auf denen ihr Mindestlohn steht – 6 Euro die Stunde, netto. Ein Mensch, der wie der Spargelherrscher aussieht, kommt auf uns zu. Er sieht unsere Flyer. „Na, euch habe ich hier gebraucht!“, sagt er und schreit die Arbeiter an, dass sie weiter pflücken sollen. Sie beugen sich und ihre Arbeit geht weiter.

Einige von ihnen haben die Flyer in ihren Taschen, andere lassen sie auf dem Feld. Alle haben sichtlich Angst vor dem Spargelherrscher. Er hat sich entfernt und telefoniert. Er scheint erregt zu sein. An seiner Intonation kommt mir etwas sehr bekannt vor. Der Laut einer Kettensäge kommt in meinem Kopf hoch. Oh mein Gott! Das ist doch die Stimme vom Spargel! Der mir das Taschengeld als Kind abgenommen hat. Er kommt auf uns zu. Äußerlich schaut er ganz anders als der Spargel aus. Bis er anfängt zu schreien. „Geht weg vom Feld! Das ist Privateigentum!“ Die Kettensäge in seiner Stimme wird schneller. „Würde ich denen 6 Euro die Stunde zahlen, dann gäbe es keine Spargel! Ist euch das klar?“

Wir gehen weg vom Feld und putzen lange unsere Schuhe. Es scheint mir so, dass nicht nur Gatsch, sondern dass auch die Stimme vom Spargel daran klebt. „Frische Spargel und Erdbeeren aus dem Marchfeld“ steht auf dem Schild an der Straße nebenan.

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