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Moop Mama

Patrick Wally

Donauinselfest

Glanz und Euphoria

Der HipHop-Freitag auf der FM4 Bühne beim Donauinselfest 2017: goldene Bläser, silberne Stimmen und ein Publikum, das dem Headliner Moop Mama den Rücken kehrt.

von Florian Wörgötter

Das Wiener Donauinselfest geht in seine 34. Saison. Auch dieses Jahr steht der Freitag auf der FM4-planet.tt-Bühne im Zeichen der HipHop-Musik. Die Höhepunkte einer heißen Nacht auf der Insel: Little Simz, Akua Naru und Moop Mama.

Jugo Ürdens, Gerard & Co: Lärm für Schlager

32° C. Der erste Satz der Leistungsschau des frisch gegründeten Labels Futures Future lautet: „Habt Ihr Bock auf Schlager?“ Die Schönbrunner Gloriettenstürmer haben die Zukunft der Zukunft offenbar erkannt – die Kohle steckt in der Schlagermusik – und schmettern mit ironischem Unterton „Lass heute nacht dein Fenster für mich offen stehen“.

Danach besingt Labelkollege Edwin „Sylvia“ und ihre Kokosbusserl, die er später gemeinsam mit Mama Uschi im Publikum verteilt. Der charmanteste Anfütterungsversuch des Abends. Den vermeintlichen Rest besorgt Jugo Ürdens, Ottakrings neues Rap-Beautyface mit Stoppelglatze und GPS-Positionierung zwischen Akademiker- und Gastarbeiter-Milieu. Ein Satz aus dem Publikum: „Des is goa ned der Voodoo Jürgens.“

Zum Finale überrascht Special Guest Rapper Gerard, einer der beiden Köpfe des Labels Futures Future. Sein Song „Konichiwa“ ist ein Teaser für sein kommendes Album und empfiehlt Contenance, die er als frischgebackener Gründer wohl am ehesten braucht. Das Publikum bei 32 Grad Betriebstemperatur hat sie zweifelsohne. Noch.

Ali As: Für alle Brudingos

31° C. Der Rapper aus München träumt auf düsteren Trap-Beats vom glänzenden Stern, der seinen Namen trägt – der Mercedes Benz-Stern. Er bringt die Elite zum Tanzen – mit Schüssen auf ihre Schuhe. Denn er kauft ihre Produkte nicht – nur Hoodies und Chucks.

Der pakistanisch-stämmige Rapper paktiert auch mit den harten Jungs der deutschen Rap-Straßen wie Kollegah, Motrip und Fahrid Bang, wobei Ali As zu den Smarten seiner Zunft zählt. Das beweisen durchdachte Reime und sein Verkaufstalent. Mit Gratis-Geschenken locken er und DJ Scream das weit verstreute Publikum zum Gewinnspiel vor die Bühne. Teilnahmebedingung: „Erwähnt mich positiv auf Instagram, dann könnt ihr zwei alte CDs von mir gewinnen.“ Teilnehmerzahl: mindestens zwei.

SK Invitational: Born to shine

30° C. Die größte HipHop-Bigband Österreich SK Invitational bringt mit ihren Bläsern mehr Glanz auf die Bühne, als Ali As sich jemals Mercedes-Sterne klauen kann. Sechs goldene Horns, eine Violine, ein E-Piano mit verstohlen funky Hammond-Sounds, im Zentrum Mastermind und Kompositeur Stephan Kondert, der breitbeinig mit seinem E-Bass die opulenten Arrangements bändigt.

Am 2017 erschienenen Album „Golden Crown“ findet sich eine lange Liste an Rap-Vokalisten wie die US-Brüller M.O.P. oder Brand Nubian-Kopf Sadat X. Heute übernehmen das Mikrofon der in Wien lebende Rapper Jahson The Scientist, angeschlagen mit Krücke unterwegs, und Sängerin Lyllit, eine der begnadetsten Soulstimmen Österreichs. Am Ende entert auch der Linzer Average zum motivierten Finale die Bühne. Die Sonne kann untergehen.

Little Simz: Willkommen im Wunderland

29° C. Die zarte Britin Little Simz beweist mit ihrem DJ, dass HipHop auch in seiner Traditionsbesetzung 2.0 – „2 DJ-Controllers and a Mic“ noch immer effektiv sein kann. Schon Jay-Z hat das ansteckende Reimtalent des Grime-Leichtgewichts erkannt, das mit druckvollen Raps und weißen Tennissocken über die FM4-Bühne fegt.

Die Schauspielerin aus London entführt in das Loch des Kaninchenbaus ihres „Wonderlands“, ihrem persönlichen Zerrbild der ambivalenten Musikindustrie, geprägt von Vertrauensverlust und Einsamkeit. Doch erst diese Unvollkommenheit machte sie zu dem, was sie immer werden wollte.

Little Simz kann auch sanft, etwa wenn sie sich die babyblaue Fender-Gitarre umschnallt und zum „sloppy Lovesong-Shit“ intoniert, bis ihr der Gurt von der Schulter rutscht. Ja, das Mädchen mit dem Harley Davidson-Legacy-Shirt kann auch lachen. Das Set vollendet ihr Latino-Bouncer „Picture Perfect“ mit dem Fazit: „Wonderland is amazing.“

Akua Naru: Der Klang der Liebe

29° C. Die US-Rapperin Akua Naru und ihre Band verschmelzen Jazz, Rap und Poetry auf die entspannteste Tour des Abends. Dabei hat Akua Naru viel zu sagen: Barfuß mit Mantel und Hut propagiert sie Frauenrechte, erzählt von der schwarzen Schriftstellerin Toni Morrisson und betont im Bühnengraben die weltumspannende Einheit der HipHop-Bewegung: „Can you smell the Power?“. Ein Duft weht durch die Luft, den aber nicht jeder der vielen Zufallsgäste so inhaliert, wie die Heads, an die sich Akua Naru mit ihren „HipHop, HipHop“-Sprechchören richtet.

Die größere Schnittmenge findet sie bei der Frage: „Are Lovers in the House?“ Zum Schlafzimmersoul sollen alle die Feuerzeuge hochhalten. Grelle Smartphone-Displays bleiben klar in der Unterzahl. Der Saxofonist erklärt mit dem längsten Solo des Abends sein Liebesgeständnis, das aber mehr in Kuschelsex endet als im multiplen Orgasmus, auf den das Publikum bis zum Headliner warten muss. Doch Akua Naru hat recht: Hätte Liebe einen Sound, er würde klingen wie der ihre.

Moop Mama: Who let the Horns out?

Die bayrische 10-Kopf-Brassband Moop Mama wäre beinahe gar nicht gekommen. Im Stau am Weg von Hamburg nach Wien packten sie kurzerhand Tuba, Trompeten und Pauke in den Intercity und ließen die Technik zurück. Rapper Keno verspricht den Wienern in einer ausgedehnten Freestyle-Session „keine schlechte Zeit, auch wenn der Tourbus auf der Strecke bleibt.“ Gerade deshalb müsse der Abend ekstatisch werden. Und das gelingt der funky Blaskapelle Moop Mama einwandfrei, die erst auf der Konzertbühne ihre volle Größe erreicht.

Wo in den vergangenen Jahren Headliner wie Samy Deluxe, Nazar oder KRS-One standen, vibrieren heute 9 rot-kostümierte Bläser und Perkussionisten, die wie Zirkusartisten fliegend ihre Positionen tauschen, dezente Slapstick-Einlagen zeigen, manche ersetzen sogar die Gast-Raps des abwesenden Blumentopf.

Zeremonienmeister Keno beweist am Mikrofon hervorragende Entertainer-Qualitäten und vollen Körpereinsatz, überzeugt mit witzigen Zwischenmoderationen („Wie alt seid ihr? Ihr seid euch uneining! In der Demokratie müsst ihr Mehrheiten bilden!“), lässt sein Publikum den Chorus zu „Alle Kinder“ solange flüstern, bis es ihn selbst nicht mehr hört und fordert: „Dreht euch alle um! Bewegt eure fetten Ärsche!“ Das Publikum gehorcht, kehrt dem Headliner den Rücken. Als der Refrain eintritt: Kollektives Springen. Die Elefantenherde tobt. Staub. Ein Moshpit bildet die geforderte Mehrheit, mutiert zur Circle Pit-Spirale, in der alle im Kreis in die selbe Richtung laufen. Fans lassen sich von der Crowd auf Händen tragen. Ekstase!

Am Ende schlägt das Herz schneller, als jeder denken kann. Ein Lob auf den öffentlichen Verkehr.

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