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Algiers - Bandfoto

Matador Rec

Algiers sind nicht einverstanden

Eine der interessantesten Polit-Bands unserer Tage im Interview zum neuen Album “The Underside Of Power“.

Von Christian Lehner

Hitze auf der Dachterrasse des Hotels in Berlin. Hitze in der Musik und den Texten von Algiers. „Eigentlich kann ich Hitze nicht ausstehen!“, sagt Sänger Franklin James Fisher und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Aber du kommst doch aus Atlanta in Georgia. Das ist eine der heißesten Städte der USA!“, entgegne ich. „Eben.“, sagt Fischer mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Die Musik von Algiers ist wie ein Flächenbrand, der die Gesellschaft erfasst hat: heiß, fiebrig, verzehrend. Hardcore, Punk und Garagenrock treffen auf Gospel- und Soul. Den Sound begreift das Trio, das für die Albumaufnahmen um Ex-Bloc-Party-Drummer Matt Tong verstärkt wurde, ebenso als politisches Statement, wie ihre Texte, die antirassistische und linke Positionen vertreten. Man muss sich eine Mischung aus TV On The Radio, Rage Against The Machine, Ho99o9 und The Ronettes vorstellen - und ist dann immer noch nicht dort, wo Algiers lärmen und wüten.

Das zweite Album der 2011 in Atlanta gegründeten Band heißt „The Underside Of Power“. Es tönt wie die Begleitmusik zur Black Lives Matter-Bewegung und zu Occupy. Und wie der Soundtrack zur Austreibung individueller und kollektiver Seelenpein. Wir haben Sänger- und Songschreiber Franklin James Fisher und Gitarristen Lee Tesche an einem heißen Tag in Berlin zum Interview getroffen.

Euer Stil ist sehr speziell. Ich habe irgendwo die Bezeichnung „Dystopian Soul“ gelesen. Könnt ihr damit etwas anfangen?

Franklin: Je mehr Begriffe Journalisten und Fans verwenden, desto mehr denken wir darüber nach. Das ist schon interessant. Wir vereinen so viele Einflüsse, dass ich das jetzt gar nicht aufzählen kann. Die Schnittmenge aus unseren Prägungen und Interessen ist der bestimmende Pool. Als Überbegriff würde ich es wohl Post-Punk nennen, denn das zentrale Element von Post-Punk war die Zusammenführung von sich scheinbar widersprechenden Genres. Dazu kommt, dass ich Afroamerikaner bin und auch in dieser Musiktradition singe. Afropunk ist ein weiterer Begriff, mit dem wir häufig bedacht werden.

Ihr kommt aus den Südstaaten. Hat euch das musikalisch geprägt?

Lee: Man wächst mit einem Gefühl auf, dass etwas fehlt, weil so viel Raum da ist, so viele Ödnis, so wenig bespielte Orte, die deinen Interessen entsprechen. Wir haben diese Lücken mit der Gründung der Band gefüllt. Wäre ich in einer der Großstädte an den Küsten aufgewachsen, würde ich vielleicht alleine an irgendeinem Synth herumdrehen. Als Fundament unserer Musik sehe ich die DIY/Hardcore/Musiktape-Szene, die seit den achtziger Jahren eine Infrastruktur von Labels, Clubs und Bands etabliert hat.

Franklin: Wie wir alle, war Lee in mehreren Bands, bevor wir Algiers gründeten. Er und unser Bassist Ryan Mahan kennen sich seit Kindheitstagen. Lee trat immer auch als Kurator in Erscheinung. Als Ex-Fugazi-Drummer Brandan Canty für die Doku Burn To Shine jemanden für Atlanta suchte, hat Lee den Host gemacht. Das Konzept war toll: lokale Bands spielen in zum Abriss freigegebenen Bruchbuden und zerstören sie anschließend. Für Atlanta waren die Black Lips, Deerhunter, aber auch alte Soul-Acts wie The Mighty Hannibal dabei.

Algiers in Berlin

Christian Lehner

Algiers beim FM4-Interview in Berlin

Ihr seid ganz klar eine politische Band. Seid ihr aber eine „socialist“ Band? Dieser Begriff gilt in den USA ja durchaus als radikal.

Franklin: Wir stehen definitiv für das, was Sozialismus bedeutet und das in einem strikt demokratischen Zusammenhang. Ich bin sehr skeptisch, was Institutionen oder Parteien betrifft. Ich mag es nicht, wenn Organisationen für mich sprechen, bloß weil ich Mitglied bin. Wenn sie für etwas eintreten, wogegen ich bin, wird man aufgrund der Mitgliedschaft trotzdem damit assoziiert. Das gefällt mir nicht. Deshalb gibt es bei uns auch keine Sympathiebekundungen für Parteien oder Politiker.

Because I’ve seen the underside of power
It’s just a game that can’t go on
It could break down any hour
I’ve seen their faces and I’ve known them all. - Algiers „The Underside Of Power“

Die Wut, der Schmerz, die Erschöpfung in eurer Musik, das ist eine große Anklage. Es geht euch offensichtlich um Dekonstruktion und nicht um salbungsvolle Versöhnungsgesten.

Franklin: Es geht schon auch um diesen Ort des Widerstandes und der Gerechtigkeit. Das ist ein vielleicht imaginärer Ort im Vergleich zur Realität. Daher auch der Bandname Algiers als Metapher für den antikolonialistischen Aufstand und den Film gleichen Namens, den großartigen Soundtrack dazu, der von Ennio Morricone stammt (The Battle of Algiers, Anm.), aber auch für unsere Ideen, die sich oft widersprechen, die aber an diesem Ort zusammenkommen können.

Lee: Für uns ist dieser Ort auch als Band notwendig, denn wir leben mittlerweile alle in verschiedenen Städten und sehr weit voneinander entfernt.

Wer befindet sich derzeit in den USA auf der „Underside Of Power“, was ja der Titel eures neuen Albums ist?

Franklin: Alle, die nicht weiß, männlich und reich sind. Alle, denen man sagt, dass mit ihren Körpern etwas nicht stimmt, oder wie sie ihr Leben zu führen haben. Alle, die kein Dach über dem Kopf haben, deren Leben ausgebeutet werden, die alleinerziehend sind, oder gerade wieder in Gefahr stehen, ihre Krankenversicherung zu verlieren. Wenn man es genau betrachtet, fallen sehr viele Menschen in diese Kategorien – nicht nur in den USA, sondern weltweit.

Algiers - The Underside Of Power

Matador Rec

„The Underside Of Power“ von Algiers erscheint am 23. Juni auf Matador/Beggars/Indigo.

Mehr Infos: Algiers

Das Album beginnt mit dem Song „Walk Like A Panther“ und Samples von Reden der Black Panther Party.

Lee: Der Songtitel führt zunächst auf eine falsche Spur. Man denkt vielleicht an Eleganz oder Coolness, aber wir hören gleich zu Beginn eine Brandrede von Fred Hampton, dem Vorsitzenden der Black Panther Party in Illinois, der noch sehr jung von den Cops erschossen wurde.

Franklin: In dem Song geht es darum, nicht zu jenem kapitalistischen Schwein zu werden, von dem die Black Panther Party in vielen Reden und Aufsätzen gesprochen hat und das uns alle bis heute in die Tiefe zieht.

Die Rezeption der Black Panther Party ist bis heute die von radikalen und militanten Nationalisten, dabei wurde die Gruppe ursprünglich zum Zweck der Selbstverteidigung gegründet.

Franklin: Seit der Gründung der USA werden Schwarze immer wieder Opfer von Polizeiübergriffen. Wie wir wissen, hat sich an dieser Situation nichts geändert. Mitte der 60’s dachten sich einige Schwarze in Kalifornien: „Wenn uns die Cops nicht beschützen, müssen wir es selbst tun“. Es ging ihnen aber auch darum, Alternativen zu den erbärmlichen Lebensumständen in den Communities zu entwickeln. Die Mythen vom uniformierten Schwarzen mit der Knarre überlagern bis heute die zahlreichen sozialen Programme, die die Black Panthers ins Leben gerufen haben, wie zum Beispiel die Community-Küchen zur Ernährung von Kids. Die Prämisse von J. Edgar Hoover und dem FBI lautete damals, den Ruf der BPP (Black Panther Party, Anm.) zu ruinieren und um jeden Preis einen „schwarzen Messias“ zu verhindern. Interessant war, dass die führenden Köpfe der Bürgerrechtsbewegung immer dann als gefährlich eingestuft wurden, sobald sie nicht mehr nur über den Rassismus, sondern generell über Klassenprobleme und Solidarität unter allen Menschen gesprochen haben. Dann war ihr Leben in Gefahr.

Ist dieser latente Rassismus auch mit ein Grund für die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten?

Franklin: Ich sehe Trump als das Resultat einer Reihe von Entwicklungen, die nach Ende des 2. Weltkrieges eingesetzt haben. Seit der McCarthy-Ära leiden die USA an einem Kommunismus-Wahn, der so ziemlich alle Bereiche der Gesellschaft ergriffen hat und der eine tödliche Verbindung mit dem Rassismus eingegangen ist. Addiere das mit aktuellen Entwicklungen wie der Hyperindividualisierung des Menschen, die uns zu gestressten Narzissten macht, dem anhaltenden Konsumfetischismus, das Scheitern von Obama, der bei bestem Willen nur ganz wenig erreicht hat und der daraus resultierenden Apathie und du landest irgendwann zwangsläufig bei Trump. Was aber viele scheinbar vergessen haben: die USA waren bereits davor ein Land mit Tendenzen zum Faschismus. Wir leben im Zeitalter des großen Unbehagens: alles scheint sich aufzulösen, aber niemand weiß, was kommen wird.

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