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Szene aus der Serie GLOW

Netflix

Fang das Licht

Die neue Netflix-Dramedy „GLOW“ öffnet das Herz. In grellen Farben, mit Fleischhammer, mit Seziermesser.

von Philipp L’heritier

Frauen-Wrestling in den Achtziger-Jahren. Das hat als Sales-Pitch vermutlich schon gereicht. Und so bringt die letzte Woche veröffentlichte erste Staffel der neuen Netflix-Show „GLOW“ (immer in Großbuchstaben) auch die erwartbaren Föhnwellen und die schrille Aerobic-Wear, cheesy Synthesizer-Jams und Powerballaden von Journey. Aufgekrempelte Sakko-Ärmel über türkisen T-Shirts und einen Roboter, der Kokain serviert.

Zu sagen, „GLOW“ sei die Show für den Sommer und der Feelgood-Hit der Saison, wäre eine stumpfe Untertreibung. Es stimmt schon: „GLOW“ glüht und sprüht vor Leben, die Serie aber ist mehr als bloßer greller Retro-Karneval. Lachen, weinen, vor Freude einen Fist Pump machen und das Leben als „Yeah!“ begreifen.

Szene aus der Serie GLOW

Netflix

Wie es leuchtet

In zehn knappen, 30-minütigen Episoden erzählt die Serie von der Entstehung der ersten weiblichen Wrestling-Gruppe im Los Angeles der mittleren Achtziger: „Gorgeous Ladies of Wrestling". GLOW - mit so einem Namen hat man fast schon gewonnen.

Auch im echten Leben ist die real existierende Idee GLOW in den Achtzigern in Gang gekommen – die Show orientiert sich aber nur sehr lose an tatsächlichen Begebenheiten. Vielmehr entwirft „GLOW“ ein überzeichnetes Bild, das die Klischees und die Stereotypen überhöht, dann aber genauso hinter den farbenprächtigen Oberflächen und Charakteren der Wahrheit im Bauch und den Gefühlen nachspürt.

Das Show-Wrestling lebt bekanntermaßen vom Rollenspiel und cartoonhaften Figuren, die Serie „GLOW “ ist hier meisterlich in der Überlagerung der Ebenen: im Ring, auf der Bühne, im echten Leben? Wollen wir nur eine Rolle spielen? Wie ist das so, wenn wir uns mit voller Absicht dazu entscheiden, bloß ein Stereotyp zu erfüllen? „GLOW“ ist sehr lustig und es ist eine Show über Selbstermächtigung.

Szene aus der Serie GLOW

Netflix

We Can Do It

Das von vorne bis hinten großartige Kern-Ensemble besteht aus rund einem Dutzend Frauen und zwei Männern. An der Spitze: die immer sehr gute Alison Brie („Mad Men“, „BoJack Horseman“, „Community“) als strauchelnde Schauspielerin Ruth Wilder.

Gleich in der ersten Szene von „GLOW“ liest Ruth im Rahmen eines Castings den für einen Mann vorgesehenen Part – Rollen-Typus mächtiger Tough-Guy. Der Frau in der Szene würde wie gewohnt bloß der Part der Sekretärin zukommen, die mit einem Satz einen Telefonanruf ankündigen darf. Für Frauen gäbe es keine guten Rollen, so Ruth. Und subtil ist „GLOW“ nur selten und so macht die Serie sogleich klar, dass es diese Rollen geben kann und erfindet sie eben selbst.

In „GLOW“ ist Wrestling noch nicht Glam und nicht pralles Showbiz – die Serie zeichnet die langsame, holprige Entwicklung der Idee nach, diesen Quatsch jetzt eben mal mit Frauen zu probieren. Vom Casting über ungelenke Trainingsversuche im heruntergekommenen Gym hin zu behelfsmäßig zusammengetackerten ersten Auftritten vor Publikum. Letzteres ist meist nur mäßig interessiert.

Die meisten der Frauen, die sich in der Serie für GLOW bewerben sind gescheiterte Schauspielerinnen, Wannabe-Models, Außenseiterinnen, Orientierungslose. Vielleicht mal ein paar Dollar mitnehmen und dann halt schauen, wie’s weitergeht. Was das alles werden soll, weiß keiner so recht.

Normaler Sexismus

Marc Maron gibt den abgehalfterten Regisseur der Unternehmung: ein kettenrauchender, schmieriger Macho und Sexist alter Schule, immer mit gut Kokain im Schnauzbart und im menschlichen Umgang mit keinem Filter versehen. Dabei freilich selbst geprügelt und irgendwo hinten drin doch mit ein bisschen goldenem Herzen ausgestattet.

Szene aus der Serie GLOW

Netflix

Sam Sylvia heißt diese Figur sehr richtig, vor der Übernahme des Projekts GLOW ist er als C-Movie-Regisseur von Trash-Klassikern wie „Blood Disco“ mäßig – in sehr engen Insiderkreisen – erfolgreich gewesen, GLOW will er jetzt als ein rund um die Wrestling-Einlagen gestricktes, großes, dystopisches Eroto-Sci-Fi-Epos inszenieren.

Doch das ist zu ambitioniert gedacht. Die simpelsten Typisierungen müssen als Backstory reichen: Ein indischstämmiges Mitglied der Truppe wird zur Terroristen-Karikatur namens „Beirut“. Ein gut auftoupiertes, großkotziges Partygirl wird zur Früh-80er-Madonna-Kopie namens „Melrose“, einer resoluten Afroamerikanerin wird ein Pelzmantel umgehängt und sie selbst zur so genannten „Welfare Queen“ – eine selbsternannte, kaum bescheidene Königin, die sich vom Sozialstaat versorgen lässt.

„GLOW“ ist Showbiz-Satire und Sozial-Kommentar und die Geschichte von Freundschaft und dem Jagen der Träume. Plakativ und vielschichtig, albern und herzerwärmend.

Image-Engineering

Für Hauptfigur Ruth lässt sich lange keine geeignete Rolle finden. Zunächst scheint sie zu durchschnittlich, zu girl next door. Bald stellt sich doch heraus, dass sie mit dem Ehemann ihrer besten Freundin Debbie geschlafen hat und so wird sie mit dem Label „Homewrecker“ bedacht.

Der Konflikt zwischen Ruth und Debbie ist einer der Hauptmotoren der Show, eher zufällig wird auch Debbie, in der Serie ein verglühtes Sopa-Opera-Sternchen, Teil des Teams von GLOW – und schnell sein Star. Ruth und Debbie - Antagonistinnen, im Leben, auf der Bühne, dann doch Zweck-Partnerinnen und Komplizinnen im Job, in der gemeinsamen Vergangeneheit brodelt es. In Szene gesetzt wird Debbie als optimistisch-kerniges, blondes All-American-Girl mit USA-Flagge am Trikot. Ihr Name: Liberty Bell.

Oft trägt „GLOW“ in Sachen emotionalem Lockreiz dick auf – meist aber ist das Schmalz eine Stärke der Serie: Wir meinen hier nicht selten, uns tatsächlich in einer unbekümmerten Achtziger-Komödie zu befinden und nicht bloß in einer ironisierenden Nachstellung.

Die Trainingsmontagen, die Fights sind tatsächlich mitreißend, sie lassen Wrestling spannender erscheinen als Wrestling. Es wird erfahrbar. Auch, wenn wir um den gemachten Charakter der Veranstaltung wissen. Der Balanceakt zwischen Meta-Bespiegelung und Trash, dem Ernstmeinen der Gefühle und dem Abklopfen des großen Herzens ist ein schwerer Seiltanz, meistens glückt er.

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