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Bildschirmfoto aus "Nex Machina"

Housemarque

The fast and the furious

Die Videospielhallen der 1980er waren die Geburtsstätten der Shoot’em ups. Ein finnisches Games-Entwicklerteam hat mit einem der damaligen Designer kooperiert und huldigt mit „Nex Machina“ nun der klassischen Arcade-Action.

von Robert Glashüttner

Die schönsten Momente beim Spielen sind jene, wo man selbst gar nicht merkt, wie involviert, motiviert und konzentriert man gerade ist. Bekommt man danach Fotos von sich selbst gezeigt, ist die Verblüffung darüber oft groß, wie sehr man da gerade vertieft war. Die eigene Mimik verrät deutlich, wie weit man in den jeweiligen digitalen Kaninchenbau vorgedrungen ist.

Videospiele schaffen dieses in der Psychologie als Flow-Zustand bezeichnete Phänomen viel öfter als andere Spielformen, weil Kommunikation, Kopplung und Feedback zwischen Spiel und SpielerIn hier besonders intensiv und ausgefeilt sein können. Schon früh in der Geschichte des Mediums ist das Potenzial von Flow stark ausgereizt worden: Die Videospielhallen (Arcades) der späten 1970er und frühen 80er Jahre waren die Heimat von heutigen All-Time-Klassikern wie „Pac-Man“, „Defender“ oder „Donkey Kong“ - Games, die spielerisch ebenso zugänglich wie herausfordernd gestaltet worden sind. Die Regeln sind leicht erlernt, doch das Meistern dieser Spiele erfordert viel Übung, Geduld und eine hohe Frustrationstoleranz.

Twin-Stick-Freuden

Ein besonders frenetischer Titel aus der Goldenen Ära der Arcade-Spiele ist das 1982 bei Williams Electronics erschienene, von Eugene Jarvis und Larry DeMar entwickelte „Robotron: 2084“. Es verfügt über eine für damalige Verhältnisse auffällig innovative Steuerung, bei der eine Person gleichzeitig mit zwei Joysticks spielt: einer bewegt die Spielfigur, der andere steuert die Richtung der abgefeuerten Schüsse. „Robotron“ ist grell, bunt und in jeder Hinsicht over the top. Es wird gerne herangezogen, wenn es wieder einmal darum geht, ein überdrehtes Laser-Neon-Pop-Explosionsbild der 80er Jahre zu zeichnen. Für die Gameskultur ist aber vor allem relevant: „Robotron“ hat den Twin-Stick-Shooter erfunden.

Bildschirmfoto aus "Robotron: 2084"

Williams Electronics

„Robotron: 2084“ (1982)

Ein Stop in den 2000er Jahren

Vor allem in den 90er Jahren ist es bei Action-Games mehr um 3D-Darstellung gegangen. Erst Ende 2003 hat sich unverhofft ein Mini-Game in den Xbox-Titel „Project Gotham Racing 2“ geschlichen: ein grelles, buntes, Laser-Neon-Explosionsspielchen namens „Geometry Wars“, bei dem ein kleines Schiffchen von Horden an geometrischen Formen flüchten und diese neutralisieren muss - ein Twin-Stick-Shooter der Marke „Robotron“. „Geometry Wars“ war ein Erfolg der Frühzeit der Konsolen-Downloadspiele und hat ein paar Fortsetzungen spendiert bekommen. Danach haben die Doppeljoysticks bzw. -sticks wieder ein paar Jahre Pause gemacht.

"Geometry Wars: Retro Evolved"

Bizarre Creations

„Geometry Wars: Retro Evolved“ (2003)

Die Spielhalle in der Playstation

Zehn Jahre nach „Geometry Wars“, Ende 2013, erscheint zur Markteinführung der Playstation 4 ein Download-Titel, der zeigt, wie ein ungezähmtes Arcade-Game 30 Jahre nach der Goldenen Ära aussieht: „Resogun“ ist eine aufwendige Neuinterpretation des Spielhallen-Klassikers „Asteroids“ und macht des verantwortliche finnische Spielestudio Housemarque zur großen Hoffnung, was Neo-Arcade-Games auf der Konsole angeht.

Cablepunk

Im Vorjahr verkündet Housemarque, dass sie für ihr nächstes Spiel mit Eugene Jarvis, Arcade-Gamedesigner und unter anderem Autor von „Robotron: 2084“, zusammenarbeiten. In der Konzeptions- und frühen Gestaltungsphase lautet der Arbeitstitel des Spiels passenderweise „Jarvis Project“. Nach einigen Monaten bekommt das Game mit „Nex Machina“ einen offiziellen Namen und auch ein spielerisches Konzept: Es soll eine klare Hommage an „Robotron“ und damit den klassischsten aller Twin-Stick-Shooter werden.

Visuell soll „Nex Machina“ dem oft sterilen Look vieler Sci-Fi-Games entgegen stehen: Statt glatter Oberflächen und smarter Touchscreens gibt es dreckige Roboter, unnachgiebige Maschinen und jede Menge Kabel. Dazu erfindet man mit „Cablepunk“ auch gleich eine eigene Bezeichnung für das Setting des Spiels. Auch das passt zu „Robotron“: Dem Terror der intelligenten Maschinen soll entgegengewirkt, die letzten Menschen sollen gerettet werden. Kommt euch das bekannt vor? Der originale „Terminator“-Film kam aber erst zwei Jahre nach „Robotron“ ins Kino!

Concept Art "The Giant" zum Videospiel "Nex Machina"

Housemarque

„The Giant“ - Concept Art zu „Nex Machina“

Perfekte Linie

Bei „Nex Machina“ geht es, wie bei allen Twin-Stick-Shootern, vorrangig darum, eine perfekte Bewegungslinie durch die Hindernisse bzw. Feinde zu finden. Die gleichzeitige, unabhängige Steuerung von Bewegungs- und Schussrichtung macht das Game zu einer großen taktischen Herausforderung. Weil ständig in Sekundenbruchteilen Entscheidungen getroffen werden müssen, ist das Spiel zunächst überfordernd. Geschicklichkeit alleine genügt hier nicht. Erst langsames Herantasten - natürlich mit dem einfachsten Schwierigkeitsgrad, der im Spiel fairerweise als Standard bezeichnet wird - bringt die nötige Erfahrung.

Der anfängliche Stress wandelt sich Schritt für Schritt zu einem ausgiebigen Konzentrationstest. Nur wer ruhig und intuitiv spielt, hat bei „Nex Machina“ Chancen, sich mehr oder weniger erfolgreich durch die Horden an Gegnern, Lasern und Projektilen zu kämpfen. Ernstzunehmende Highscores erreicht man nur, wenn man zwischendurch nicht alle Leben verliert und ein Continue einsetzen muss. Denn damit darf man zwar an der aktuellen Stelle weiterspielen, bekommt aber die Punktezahl auf 0 zurückgesetzt - eine klassische Regel in Arcade- und Shoot’em-up- bzw. „Bullet Hell“-Games.

Die intensivsten 40 Minuten

Eine weitere Üblichkeit bei Arcade-Shoot’em ups ist der geringe Umfang des Spiels - wenn man rein die Anzahl der Levels in Betracht zieht. Auch „Nex Machina“ hat nur fünf Levels (zu je 15 Waves, also Unterteilungen), doch die Kunst besteht nicht darin, das Spiel durchzuspielen, sondern darin, das Game zu beherrschen. Ein perfekter Run ist so gut wie unmöglich, stattdessen ist eine Annäherung daran die große Sehnsucht, der sich PunktejägerInnen leidenschaftlich hingeben. Seinen Score treibt man in die Höhe, indem man Menschen rettet bzw. einsammelt, neue Waffen findet, Bonusgegner und -levels entdeckt sowie natürlich dem Götzen aller Arcade-Shooter huldigt: der Combo.

Bildschirmfoto aus "Nex Machina"

Housemarque

„Nex Machina“

Es gibt Highscore-Listen für viele Varianten: Alle Levels in Serie, einzelne Levels oder auch Levels mit bestimmten Bedingungen (schnellere Bewegungen, nur eine Waffe, etc.) in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen. Für jeden Lauf wird ein Replay-Video gespeichert, das man ansehen und zum Lernen und Verbessern des eigenen Spiels nutzen kann. Wen Highscores und Punktevergleiche so gar nicht interessieren, kann „Nex Machina“ auch zu zweit im kooperativen Multiplayer-Modus spielen.

Brocade?

So furios und fantastisch „Nex Machina“ spielerisch ist, bleibt abzuwarten, ob das Arcade-Game auch SpielerInnen außerhalb der Nische anspricht. Das Spiel ist im Vergleich zu den anderen meist in Japan entwickelten und gespielten Shoot’em ups verhältnismäßig zugänglich und hat ein übersichtliches visuelles Interface. Dennoch wirkt die Community rund um „Nex Machina“ bisher eher wie eine eingeschworene Gruppe, und ist dabei in erster Linie ein Boy’s Club: Vor allem in den zahlreichen Videoclips des Entwicklerstudios Housemarque ist weit und breit keine Frau zu sehen.

„Nex Machina“ vom finnischen Entwicklerteam Housemarque ist für Windows und Playstation 4 erschienen.

Der dazugehörige Dokufilm „The Name of the Game“, der die Zusammenarbeit zwischen der „Arcade-Legende“ Eugene Jarvis und dem „Nex Machina“-Team zeigt, unterstreicht diese Wirkung. Interessant ist, dass jegliche Anmutung klassischer Nerdkultur dabei weitgehend ausgeblendet wird und stattdessen eher auf den Bro-Faktor gesetzt wird: Coole Jungs, die sich wechselseitig feiern, Karaoke singen und Schnaps trinken. Selbstüberschätzung fällt hier zusätzlich ins Gewicht. Computerspielentwickler sind nur in sehr seltenen Fällen Rockstars, bei denen eine „Backstage auf der Tour“-Ästhetik cool rüberkommt. In diesem Fall wirkt es eher bemüht. Als Indieprojekt ist der Film natürlich trotzdem begrüßenswert.

Rein in den Flow

Egal, ob man die Hochzeit der Videospielhallen in den 80er und frühen 90er Jahren selbst erlebt hat oder ihre Spiele erst später entdeckt und gespielt hat: „Nex Machina“ ist eine äußerst gelungene Wiederbelebung der Highscore-Jagd der damaligen Zeit. Angekündigte Community-Aktionen wie eigene Spielsaisonen mit speziellen Levels und Listen pflegen die Langzeitmotivation von Anfang an. Das Eintauchen in einen intensiven Game-Flow ist faszinierend und „Nex Machina“ ist eine gute Gelegenheit, sich diese Erfahrung anzueignen.

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