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rosa Einhorn

Susi Ondrusova

Willkommen in Dream City

Sich zuhausefühlen am dänischen Vorzeigefestival. Mit Royal Blood, The Jesus & Mary Chain, The Weeknd, Solange und 130.000 Festivalgästen.

von Susi Ondrusova

Dass auch heuer das Roskilde Festival ausverkauft ist, überrascht bei diesem Line Up nicht. Doch sind es nicht nur die Namen - von Against Me! bis The Weeknd - die hier über 100.000 Besucher_innen nach Dänemark locken. Das Erfolgsrezept des Festivals ist nicht seine Größe sondern seine ganze Geschichte.

Das Roskilde Festival ist nicht aus dem Boden gestampft worden, sondern seit 1971 stetig gewachsen. Um ein modernes Wort zu bemühen: optimiert worden. Nämlich zu einem Vorzeigefestival. So sollten alle Festivals funktionieren, aber nicht alle können so funktionieren. Eine Struktur und Geschichte wie die hier in Roskilde kann man sich nicht kaufen oder von heut auf morgen nachmachen. Hier fallen mehrere gut und lang geölte und eingespielte Rädchen ineinander und machen aus einem Festival-Wochenende etwas Unvergessliches.

Roskilde Festivalgelände von oben fotografiert

Roskilde Festival

Sie heißen „Volunteers“ und tragen gelbe und orange Warnwesten, 30.000 Freiwillige arbeiten jedes Jahr am Festival. Bändchenvergabe und Einlasskontrolle, Toilettenpapier nachfüllen, Müll einsammeln, Ordnerdienste oder CashlessKarten-Station. Vom pensionierten Lehrer, der 1978 das erste Mal als Volunteer gearbeitet hat, bis zur Studentin, die seit drei Jahren kommt aber heuer das erste Mal ein Konzert auf der Hauptbühne in voller Länge gesehen hat. „I spread smiles!“ erzählt ein anderer Volunteer, der sich zu The Weeknd vor die Hauptbühne – die „Orange Stage“ – eingefunden hat. Er wird am nächsten Tag Eis verkaufen aber seine Tätigkeit am Festival sieht er weniger als Arbeit als wie Verantwortung: er will den positiven Community-Spirit an die zahlenden Besucher_innen weitertragen. „Orange feeling“ nennen das die Besucher_innen hier. Wenn sich eine Menschenmasse einigt aufeinander aufzupassen und alles dafür zu tun, dass es allen, die rechts oder links von einem stehen, gut geht.

The Weeknd am Roskilde Festival

Roskilde Festival

Die ganz normale Festivalutopie halt. An jeder Ecke wird man an soziale Verantwortung erinnert: sei es in der Artzone, wo man mit Bäumen sprechen kann (true story!), im Foodcourt, wo der vom Festival selbstauferlegte Nachhaltigkeits-Auflage 90% beträgt oder zu guter Letzt natürlich mit dem Festivalpass selber: das Roskilde Festival ist nämlich ein Non-Profit-Unternehmen und spendet alle Einnahmen an verschiedene Charity-Organisationen. So scheint es fast zu bemüht, dass sich das Festival heuer auch ein Motto auferlegt hat, das eigentlich jedes Jahr gelebt wird: Equality. Gleichberechtigung also. Während ich das schreibe, denke ich an den tosenden Applaus von dem gestern scheinbar selbst Solange überrascht war, als sie sich auf der Bühne ein letztes Mal für den freundlichen Empfang am Festival bedankte. Und während ich das schreibe, höre ich Against Me, deren Sängerin heute hier mit ihrem „Gender Is Over“-Tshirt auf der Bühne stehen wird.

Am Campingplatz erzählt mir ein Bewohner, dass er und seine Freunde diese jährlich ausgerufenen „values“ also das Festivalmotto mit dem sich dann im Programm rote Fäden erkennen lassen, halt akzeptieren. Aber einmal „orange feeling“ verinnerlicht, braucht dieser Besucher keine weitere Überschrift zur Daseinsberechtigung mehr. Wenn Roskilde nicht NonProfit wäre, würden die Volunteers nicht hier sein und er auch nicht, aber nach Dream City ist er in erster Linie gekommen, um Spaß zu haben.

Roskilde Festival

Roskilde Festival

What happens in Dream City … stays in Dream City?

Dream City ist ein Teil vom Camping Areal, bei dem Festivalbesucher_innen Themencamps aufbauen. Hier beantworten sie sich die Frage „Wie möchte ich leben?“ und entwerfen dann ihre Wochenend-Utopien, ihre Vergnügungstädte. Machen wir uns nichts vor, es liegt auch hier Dreck herum, die Musik ist laut und der Alkohol fließt in Strömen. Wer hier zeltet, ist in der Auslage und nimmt Teil am Rennen im „Best Camp 2017“-Wettbewerb. Ein junger Mann mit Brille, Krawatte, einem Cape um die Schultern und einem Besen in der Hand empfängt mich vor seinem Hogwarts-Holzhäuschen. Er hat keine Stimme mehr, weil er schon den ganzen Tag mit Besucher_innen redet. Bei seinem Camp geht es um Magie, meint er. Er wird unter anderem Quidditch „the festival edition“ spielen. Er wohnt das erste Mal in Dream City, den ersten Platz, das weiß er, wird er mit seinen Hogwart Camp-Freund_innen nicht machen und schickt mich weiter: Gleich neben dem Dionysos-Camp, dort wo das rosa und blaue Einhorn aus dem Boden ragt, soll ich hingehen: „We are a camp for LGBTQ youth people! We are a safe space inside this festival!” erzählt mir die Dream City Bewohnerin des Unicorn Camps. Sie hat Glitzer im Gesicht, einer ihrer Haupt-Events am Campingplatz war nämlich: „glitter wrestling“ Bis nach Hogwarts hat sich dieses Ereignis rumgesprochen.

rosa Einhorn

Roskilde Festival

In Dream City gibt es eine Metro Station, ein Feuerwehrhaus, ein Postamt. Hier dürfen die Digital Natives und alle Millenials Postkarten und Briefe nach Hause schicken oder auch innerhalb von Dream City Briefe und Pakete zustellen lassen. „Beer and pubic hair“ ist der wildeste Inhalt, der hier mit Poststempel versehen und in die Welt entsandt wurde.

Roskilde Festival

Roskilde Festival

Bei einer Führung zur Hauptbühne erzählt ein Volunteer vom Foto- und Alkohol-Verbot bei der Hauptbühne. Nicht nur für die Volunteers, die hier das Bühnenareal bewachen, sondern auch für die Artists. In ihren Backstage-Kojen können Bands machen, was sie wollen, aber das hier ist ein „place of work“ und soll so respektiert werden. „Well, I´m gonna break all those rules tonight“ erzählt Ben Thatcher, Drummer-Pokerface und 50% von Royal Blood. “Yes, it´s a place of work. But the stage is also a place of party. And if you don’t have alcohol it´s not really a party is it? Come on! It´s a very PC-Party if you haven’t got your tequila!”

Beim Interview erwidere ich nur, dass wir uns in 10-15 Jahren nochmal treffen müssen, schließlich gibt es wenige seiner musikalischen Vorbilder (oder seiner neue Freunde wie Brad Pitt der Royal Bloods Gig am Glastonbury Festival besucht hat), deren Biographie ohne Entzug oder Suchttherapie auskommt. Dann lenken wir die Aufmerksamkeit auf #ShitQuestionOfTheDay ich frage warum sich Mikes Texte nicht reimen und wir unterhalten uns über das Filmen und Handyzücken bei Konzerten: „You are there in the moment and having your phone out: you´re watching it behind the screen! I do take a lot of fotos. I am a fan of social media. I believe in its platforms. I would take a picture and then put the phone away and be in that moment and just love it. And be consumed with the people around you. I find that with our music you get a lot of people with phones but then the moshpit kicks off and if you have a phone in the moshpit you´re not gonna get any good material at all. There´s mud and there´s beer and there´s everything flying around so we´re lucky in that sense that our music doesn’t portray that!”

Während ich das schreibe höre ich “How Did We Get So Dark” die Titelnummer vom neuen Royal Blood Album, mit dem das englische Rock-Duo an die Spitze der UK-Albumcharts gewandert ist. Ob gestern in Roskilde oder heute in Werchter: Moshpits werden Royal Blood auf ihren Konzerten im Sommer begleiten. Nicht so The XX, die hier gestern vor Nas auf der Hauptbühne aufgetreten sind, hier wird eher sanft von rechts nach links gewippt. Der Auftritt am Roskilde war ein persönliches Highlight für die XX Sängerin: „I came here when I was 16 and got dumped! You are much nicer than she was!” meinte sie auf der Bühne.

Beim The XX Konzert ist dann der lang angekündigte Festival-Regen gekommen. Wer sich um zwei Uhr früh nicht ins Zelt verkrochen hat, konnte sich mit dem NoisePop von The Jesus & Mary Chain warmschütteln und trockentanzen. Gesagt, getan. „All things must pass“ sang ein stoischer Jim Reid den Besucher_innen entgegen. „Not too fast“ heißt es im Song. Noch bis Samstag dauert die 47. Ausgabe des Roskilde Festivals, dann heißt es wieder: orange feeling einpacken und mit Nachhause nehmen. Und damit auch die Erinnerungen an die Konzerthighlights und nicht die Wetterlowlights. Regen versus Foo Fighters, Lorde und Arcade Fire. Alles wird gut.

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