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Bestrickter Baum "Still not loving G20"

Daniel Bockwoldt / dpa / AFP

G-20: Der Gipfel und seine GegnerInnen

Am Wochenende findet in Hamburg der G-20-Gipfel statt. Was dort diskutiert werden soll und warum Menschen dagegen auf die Straße gehen.

Von Michael Bonvalot

„Lieber tanz ich als G-20“ – bis zu 25.000 Menschen tanzten und demonstrierten am Mittwochabend bei der ersten „Nachttanz-Demo“ gegen den G-20-Gipfel in Hamburg, der in diesen Tagen in Hamburg stattfindet. Und das war erst der Auftakt für zahlreiche weitere geplante Proteste.

NoG20 überall

In den Vierteln rund um die Messe Hamburg, wo der Gipfel stattfinden soll, ist die Stimmung eindeutig: St. Pauli, das Karolinenviertel und das Schanzenviertel sind voll von Plakaten und Aufklebern gegen den Gipfel. Auf vielen Balkonen und sogar in vielen Geschäftslokalen hängen „NoG20“-Plakate.

Transparent gegen G20 auf einem Haus

Michael Bonvalot

Gleichzeitig wirkt Hamburg wie eine besetzte Stadt. An allen Ecken stehen Gruppen von PolizistInnen, immer wieder Posten mit Wasserwerfern oder Räumpanzern, etwa bei der bekannten Polizeistation „Davidwache“ auf der Reeperbahn. Auch mehrere Hubschrauber kreisen ständig über der Innenstadt. Insgesamt sind rund 20.000 PolizistInnen im Einsatz. Doch was ist dieser Gipfel, der derzeit in Hamburg so polarisiert?

Illustre Gäste

Am kommenden Wochenende wollen sich die Regierungschefs der 19 politisch einflussreichsten Staaten plus der EU in der Stadt an der Elbe versammeln. Erwartet werden also unter anderem Donald Trump, Wladimir Putin oder Gastgeberin Angela Merkel. Aber auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, Chinas Xi Jinping und Ibrahim al-Assaf als Vertreter des saudischen Königs sollen am Gipfel teilnehmen.

Der Gipfel ist kein isoliertes Ereignis. Bereits vor dem Treffen in Hamburg gab es Zusammenkünfte unter anderem der AußenministerInnen, der FinanzministerInnen oder der LandwirtschaftsministerInnen der G-20-Staaten. Auch die Zentralbankgouverneure trafen sich im März in Baden-Baden. Die EU-Staaten kamen im Vorfeld ebenfalls zu einer Vorbesprechung zusammen.

Polizei mit Panzerfahrzeug

Michael Bonvalot

Merkel gegen Trump

In Hamburg soll vor allem die wirtschaftliche Situation der Welt im Mittelpunkt stehen. Nicht überraschend, gewann das Forum der G-20-Staaten seine Bedeutung doch vor allem mit der Finanzkrise ab dem Jahr 2008, einer der größten Krisen des Kapitalismus in den vergangenen Jahrzehnten.

Die G-20 ist ein informeller Zusammenschluss aus 19 Staaten und der EU.

Das sind: USA, China, Japan, Deutschland, Frankreich, Brasilien, Vereinigtes Königreich, Italien, Russland, Kanada, Indien, Australien, Mexiko, Südkorea, Indonesien, Türkei, Saudi-Arabien, Argentinien, Süd-Afrika und die EU.

Die Agenda von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (und somit wohl auch jener der EU-Staaten) ist dabei eindeutig: gegen einen möglichen „Protektionismus“ der US-Wirtschaft sollen die globalen wirtschaftlichen Interessen der EU vertreten werden.

„Auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir uns gemeinsam dafür ausgesprochen, dass Wettbewerb die Weltwirtschaft bestimmt und der Welthandel offen bleibt. Die Staaten der G-20 (…) haben sich nicht in Protektionismus geflüchtet“, heißt es in der offiziellen Erklärung der deutschen Präsidentschaft zum Gipfel.

Das richtet sich eindeutig gegen die USA und Donald Trump, der über Schutzzölle gegen ausländische Produkte nachdenkt. Gleichzeitig wird auch zu mehr Anstrengungen bei „Strukturreformen“ in der Wirtschaft aufgerufen. „Der Eifer“, solche Reformen durchzuführen, sei „erlahmt“, heißt es bedauernd in der Erklärung.

Demo gegen den G20-Gipfel

Michael Bonvalot

Schutzzölle und Pensionen

Die Erfahrung vergangener Jahre zeigt, dass mit „Strukturreformen“ nicht zuletzt Veränderungen bei den Pensionen oder Liberalisierungen des Arbeitsmarktes gemeint sind. In Frankreich etwa hat der neugewählte Präsident Emmanuel Macron das Thema Arbeitsmarkt gerade ganz oben auf seiner Agenda, wogegen bereits umfangreiche Streiks und Proteste angekündigt sind.

Weitere Schwerpunkte sollen verschiedene geopolitische Brennpunkte, Flüchtlingsbewegungen sowie der Klimawandel sein. Gleichzeitig zeigt sich auch hier die wirtschaftspolitische Ausrichtung der G-20: denn als eine Mittel gegen Klimawandel wird ein „verlässliches Investitionsumfeld“ genannt.

Inwiefern allerdings die Erleichterung von Investitionen für Konzerne die Probleme des Klimawandels lösen kann, wird im Dokument nicht näher erläutert. Gleichzeitig aber wird in diesem Abschnitt auch nochmals darauf verwiesen, wie bedeutend weiteres Wirtschaftswachstum sei.

Transparent gege G20 auf einem Haus

Michael Bonvalot

Kriegsgegner

Im Papier wird zwar auf die Bedeutung verschiedener geopolitische Konflikte hingewiesen, doch findet sich wenig Konkretes. Die Kriege in Syrien oder im Irak werden etwa nicht genannt. Kaum verwunderlich, stehen hier doch die Gipfel-Teilnehmer USA, EU, Türkei, Saudi-Arabien und Russland auf unterschiedlichen Seiten der Fronten und führen gegeneinander Krieg.

Auch an einem anderen aktuellen Brandherd, Katar, könnten sich bald die Türkei und Saudi-Arabien militärisch gegenüberstehen, beides Gipfelteilnehmer in Hamburg. Denn arabische Staaten unter Führung Saudi-Arabiens gehen in jüngster Zeit verstärkt gegen Katar vor, einem engen Verbündeten der Türkei, die dort auch Truppen stationiert hat. Saudi-Arabien wirft Katar vor, fundamentalistisch-terroristische Gruppen zu unterstützen. Ein Vorwurf, der nicht unberechtigt sein dürfte – allerdings werfen KritikerInnen Saudi-Arabien genau das gleiche vor.

Kolonialpolitik

In Hamburg hängen aktuell Plakate, auf denen die Grundlagen der G-20 in einfacher Form kritisch beleuchtet werden. Dort wird genau diese Leerstelle der offiziellen Dokumente benannt: „Wenn es Krieg gibt auf der Welt, dann sind fast immer Teile der G-20 beteiligt. Klingt schlimm, ist es auch. Sie töten zur Sicherung ihrer Macht (…) und für den Zugang zu wichtigen Rohstoffen.“ Ein weiterer Kritikpunkt, der auf den Plakaten angesprochen wird: „Mindestens 2/3 der weltweit gehandelten Waffen kommen aus den USA, Russland, China, Frankreich, Deutschland und Großbritannien.“

Erklärplakat mit der Maus

Michael Bonvalot

Ebenfalls auf der Tagesordnung des Gipfels steht der Umgang mit „illegaler Migration“, der Schwerpunkt liegt dabei auf Afrika. Als Lösung wird vorgeschlagen, dass internationale Konzerne künftig leichter in Afrika investieren können sollen. „Die Rahmenbedingungen für nachhaltige Privatinvestitionen sowie Investitionen in Infrastruktur und erneuerbare Energien“ sollen gestärkt werden, heißt es im Schwerpunkt-Papier zum Gipfel. In Afrika könnte das vor allem als Drohung verstanden werden. Denn eigentlich ist das nichts anderes als eine moderne Übersetzung der Fortsetzung der traditionellen Kolonialpolitik.

Flüchtende Menschen

Dass im Text zu Migration vor allem Afrika genannt wird, kommt übrigens nicht überraschend. Denn der afrikanische Kontinent könnte in den nächsten Monaten zentral in den Fokus der Abschottungspolitik der EU-Staaten rücken. Seit 2015 war die EU vor allem darum bemüht, die Flucht über die Türkei nach Griechenland zu verhindern und die sogenannte Balkanroute dicht zu machen. Dazu patrouillieren zahlreiche Kriegs- und Polizeischiffe der NATO und der EU in der Ägäis.

Die logische Folge: vermehrte Fluchtbewegungen aus Afrika. Das betrifft einerseits Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Pakistan, andererseits auch Menschen aus Afrika, etwa aus dem komplett im BürgerInnenkrieg zerfallenen Libyen oder einigen zentralafrikanischen Ländern. Nun soll offenbar auch hier verstärkt gegen flüchtende Menschen vorgegangen werden.

Panzerwagen der Polizei

Michael Bonvalot

G-20 machen sich Sorgen

Die große Sorge der G-20-Staaten gilt allerdings vor allem der politischen Unterstützung für die eigene politische Agenda: „In Ländern, die von geopolitischen Konflikten, Hunger, Natur-, Klima- oder Gesundheitskatastrophen betroffen sind, sind die Lebensgrundlagen der Menschen akut gefährdet. Zugleich erleben wir, dass auch in Gesellschaften, in denen der Wohlstand relativ hoch ist, Verunsicherung und Sorgen zunehmen. Dies äußert sich mitunter in Zweifeln an den Vorteilen der Globalisierung und des freien Handels“, heißt es im Schwerpunkt-Papier zum Gipfel.

Daher sind sowohl die politische Agenda der G-20, als auch die teilnehmenden Regierungschefs für zahlreiche Menschen gute Gründe, um gegen den Gipfel auf die Straße zu gehen. Dementsprechend große Proteste werden in Hamburg erwartet. Im Vorfeld ging die Polizei dabei sehr repressiv gegen AktivistInnen vor.

Schild der Innenstadt-Sperre

Michael Bonvalot

Repressives Vorgehen

Über Wochen wurden nicht einmal Schlafplätze für bundesweite und internationale Gäste erlaubt, der juristische Kampf wogte dabei hin und her. Camps wurden immer wieder auch brutal geräumt, am Sonntag soll die Polizei einen jungen Mann dabei so intensiv mit Pfefferspray angegriffen haben, dass dieser kollabierte und bewusstlos wurde.

Gleichzeitig steht der Umgang der rot-grünen Stadtregierung mit den Camps exemplarisch für den gesamten Umgang der Stadt mit den Protesten. Denn große Teile des Hamburger Stadtgebiets vom Flughafen im Norden bis zur Elbe im Zentrum wurden zu einem Sperrgebiet namens „Blaue Zone“ erklärt. Dort sind keinerlei Demonstrationen erlaubt.

Geplante Provokation?

Der Ort des Gipfels, die Messe Hamburg, sorgt für Debatten. Denn die Messe liegt unmittelbar neben den linken Szenebezirken Schanze und Karoviertel. Gemeinsam mit Kreuzberg/Friedrichshain in Berlin, Dresden-Neustadt oder Leipzig-Connewitz ist das einer jene Orte in Deutschland, wo die linke und linksradikale Szene am stärksten verankert ist. Von allen möglichen Orten genau dieses Gebiet für den Gipfel auszuwählen, könnte eine bewusste Taktik der Polizei sein.

Denn mit dem Gipfel als Argument kann die linke Szene durchleuchtet werden, spätere Prozesse, etwa als Folge der Räumung der ersten Camps, sind ebenfalls zu erwarten. Schon im Vorfeld des Gipfels gab es bereits mehrere Hausdurchsuchungen. Aus rein taktischen Überlegungen wäre die Abhaltung des Gipfels in Hamburg jedenfalls „grundlegend falsch“, meint etwa Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum gegenüber der Tagesschau.

transparten gegen G20 auf einem Haus

Michael Bonvalot

Demos jeden Tag

In Hamburg sind nun täglich Proteste geplant, teilweise mehrere am Tag. Heute, am Donnerstagnachmittag, soll eine Großdemonstration des autonomen und linksradikalen Spektrums unter dem Motto „G20 - go to hell“ die Messe umrunden. Am Freitag, dem ersten Tag des Gipfels, lautet das Motto „Colour the red zone“. Sowohl der Gipfel wie die wirtschaftliche Infrastruktur der Stadt Hamburg sollen an diesem ersten Tag des G-20-Treffens gestört werden. Unter dem Motto „Logistik des Kapitals lahmlegen“ soll zum Beispiel der Hafen blockiert werden, einer der zehn größten Häfen der Welt.

Am Samstag schließlich findet ab dem späten Vormittag die Großdemonstration (g20-demo.de unter dem Motto „Grenzenlose Solidarität statt G20“ statt. Diese Demo wird von einem breiten linken Bündnis getragen, das von Gewerkschaftsverbänden über die Partei Die Linke und die Jusos bis zu trotzkistischen Organisationen reicht.

Im Aufruf heißt es: „Wir werden unsere Ablehnung der kalten und grausamen Welt des globalen Kapitalismus deutlich machen, wie sie von den G-20 repräsentiert und organisiert wird. Wir werden unsere Solidarität mit all jenen zum Ausdruck bringen, die weltweit durch Proteste, Streiks oder Aufstände der Politik der G-20 entgegentreten.“ Zu dieser Großdemonstration werden mehrere zehntausend Menschen erwartet.

Demo gegen G20 Gipfel

Michael Bonvalot

Bunte Aktionen

Auch die Fußballfans des FC St. Pauli sind unter den UnterstützerInnen der Großdemo. Der Kultklubselbst stellt während des gesamten Gipfels Räumlichkeiten im Millerntor-Stadion für ein alternatives Medienzentrum zur Verfügung.

Parallel dazu finden zahlreiche weitere Aktionen statt. Mit dem Konsum von Solidaritäts-Schnaps in zahlreichen Kneipen sollen die Proteste gegen den Gipfel finanziert werden. Und schließlich wird bei einem Gegengipfel für globale Solidarität nach Alternativen zum Kapitalismus gesucht.

Die Vielfalt der Aktionen zeigt: Es kommen spannende Tage auf Hamburg zu.

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