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Spider-Man

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Spinnerte Späße

Mit „Spider-Man: Homecoming“ ist der Netzschwinger nun offizieller Teil des Marvel-Kino-Universums. Und soll darin für leichtfüßige Unterhaltung stehen.

Von Christian Fuchs

Als schüchternes Kind mit Comic-Vorlieben, popkulturellen Affinitäten und einer gleichzeitigen Abneigung gegen jegliche sportliche Aktivität konnte man sich seinerzeit eigentlich nur mit einem Superhelden wirklich identifizieren: Spider-Man.

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Denn der populärste Charakter des Marvel-Verlags war nicht nur ein echter Außenseiter. Im Gegensatz zu anderen Einzelgängerkollegen wie Batman und Hulk hatte „die Spinne“, wie die Figur in frühen deutschen Veröffentlichungen hieß, weder etwas Martialisches an sich noch die Aura eines schwerreichen Macho-Playboys.

Der Comic-Spider-Man war, vorsichtig formuliert, eigentlich nicht mal ein richtiger Mann. Sondern ein patscherter, auf dem Schulhof gemobbter Teenager von nebenan namens Peter Parker, der nur durch den Biss einer radioaktiven Spinne übernatürliche Kräfte erlangt hatte. Ein Bilderbuch-Nerd, der verträumten Seelen wie dem Schreiber dieser Zeilen als ideales Unterstufenvorbild diente.

Spider-Man

Marvel

Türkische Wrestling-Schurken

Die klassischen Spider-Man-Storys drehten sich, in diesem Sinne, nur zweitrangig um den Kampf gegen durchgeknallte Übergangster (allesamt selber beinharte gesellschaftliche Outsider), primär ging es um die Wirren der Pubertät. Autor und Legende Stan Lee ließ Peter Parker höllische Szenarien punkto erster Liebe, fehlender Anerkennung und Schwierigkeiten mit Autoritäten durchleiden.

Diese emotionale Tiefe hatte Spider-Man aber nur auf dem Papier. Sämtliche filmischen Umsetzungen der Spinnen-Saga der 60s und 70s, ausschließlich via TV, konzentrierten sich auf käsige Kriminalfälle, die den Netzschwinger beschäftigten.

Es gab eine krude animierte Cartoon-Version für die ganz Kleinen, eine action-lastige Vorabendserie mit schlechten Schauspielern in Glockenhosen und eine japanische Fernsehvariante, in der Supaidāman nur das Kostüm mit der US-Vorlage teilte, von Peter Parker keine Spur. Der türkische Trash-Meilenstein „3 Dev Adam“ zeigte Spider-Man gar als diabolischen Wrestling-Schurken, der über Leichen geht.

Spider-Man

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Geplagte Antihelden

Erst am Anfang dieses Jahrhunderts wurde es ernst in Sachen „Spidey“. Oder zumindest halbernst, ganz im Geiste der Comics, die zwischen kindischen Onelinern und purer Tragik pendeln. Genre-Zauberer Sam Raimi schnappte sich den aus eher seriösen Filmen bekannten Toby Maguire und steckte ihn 2002 in den berühmten rot-blauen Spandex-Dress. In den ersten beiden Filmen seiner Spider-Man-Trilogie vermischt der Regisseur auf großartige Weise Action, Drama und infantile Witze, der dritte Teil bleibt leider nur als schwer überladenes Blockbuster-Epos in schlechter Erinnerung.

Das Sony Studio, das die Rechte dem damals gerade schwächelnden Marvel-Imperium abgekauft hat, wagt den Relauch früher als erwartet. Andrew Garfield, der britische Hollywood-Export mit der Spezialisierung auf schlaksige Leinwandsensibelchen, schlüpft ins Kostüm des „Amazing Spider-Man“. Sein Peter Parker wirkt weniger geeky als Maguire, aber gleichzeitig auch fragiler.

Die beiden Filme, unter der eher dürftigen Regie von Marc Webb entstanden, rücken die Beziehung zwischen Garfield und Emma Stone aka Gwen Stacy ins Zentrum, zeigen einen von Traumata geplagten Antihelden und langweilen mit artifiziellen Kampfszenen, die wie Computerspiele wirken. Zu einem Abschluss der ebenfalls als Dreiteiler geplanten Reihe kommt es nicht.

Heimkehr ins Marvel-Universum

Was Tom Holland als brandneuen Spider-Man von seinen beiden Vorgängern Maguire und Garfield unterscheidet, ist nicht nur das Alter. Mit knackigen 15 turnt sein Peter Parker als jüngster Netzschwinger der Bewegtbildgeschichte durch die Häuserschluchten, gleichzeitig ist der Teenage-Superheld nun erstmals Teil des offiziellen Marvel Cinematic Universe.

Spider-Man

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Denn der im Besitz von Disney befindliche Comic-Konzern, längst einer der zentralen Powerplayer im Blockbuster-Business, hat mit dem Konkurrenten Sony einen einmaligen Deal abgeschlossen, der offenen Austausch von Figuren erlaubt.

In diesem Sinne ist der Titel „Spider-Man: Homecoming“ also mehrdeutig zu verstehen. Wer jetzt eine neuerliche filmische Heldenwerdung befürchtet, darf aber aufatmen. Regisseur Jon Watts und sein Team von sechs (!) Drehbuchautoren erspart uns eine mühsame Origin Story. Schließlich haben wir es jetzt schon mit dem sechsten Spider-Man-Film in einem relativ überschaubaren Zeitraum zu tun. Nicht mitgezählt ist ein längerer Auftritt von Peter Parker in „Captain America: Civil War“, an den dieser neue Film mehr als nahtlos anschließt.

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Bösewicht mit Bodenhaftung

Ganz kurz, aber intensiv durfte der aufgeregte junge Bursche darin in das globale Superheldengeschehen reinschnuppern und lernte die Avengers von ihrer strittigen Seite kennen. Jetzt ist Peter wieder zurück im schnöden Alltag in Queens, New York, wo er die Schulbank drückt. Erzähl niemandem von deinen Kräften, warnt ihn Mentor Tony Stark alias Iron-Man (Robert Downey Jr. auf Autopilot), auch nicht deiner alleinerziehenden Tante May. Denn die Bösen da draußen könnten dir und deinen Lieben sehr unangenehm nahekommen.

Gangster gibt es tatsächlich einige, die Spider-Man in diesem Neustart bekämpft, aber hauptsächlich sind es Fahrraddiebe und Handtaschenräuber. Erst mit der Figur von Vulture, dem Waffenhändler mit den Geierschwingen, tritt ein richtig gefährlicher Typ in sein Highschool-Leben. Michael Keaton spielt diesen Supergangster ohne aufgelegte „Birdman“-Zitate mit bedrohlicher Bodenhaftung, als Bad Guy aus der Arbeiterklasse. Holland überzeugt ebenso als quirliger Spinnenbub, beinahe an alte Steve-Ditko-Comics anknüpfend.

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Nett, aber nicht ikonisch

Nicht ganz so lässig wie seine Hauptdarsteller ist der Film allerdings als Gesamtes. Das zwischendurch immer wieder hinreißende Marvel-Kino, von „Iron-Man“ über „The Avengers“ bis zu „The Return Of The First Avenger“ und „Guardians Of The Galaxy“, ist an einem Wendepunkt angelangt. Berechenbarkeit regiert in der Phase drei bisher, die vor allem im Gegensatz zu den beiden Comic-Kino-Highlights dieses Jahres deutlich wird. Die Meilensteine „Logan“ und „Wonder Woman“ hauchen auf gänzlich unterschiedliche Weise dem Genre der kostümierten Übermenschen neues Leben ein.

Die erfrischende Unschuld, die der letztere Amazonenkönigin-Streifen ausstrahlt, hätte man auch „Spider-Man: Homecoming“ gewünscht. Denn Watts glaubt bereits mit einigen frechen Witzen und ein paar Verbeugungen vor Coming-of-Age-Maestro John Hughes, ein Rezept gefunden zu haben, um Humor und ein Haucherl Teenage-Angst mit spektakulärer CGI-Action perfekt zu mixen.

Aber auch wenn einzelne Szenen und Setpieces begeistern, an die schönsten Momente der Sam-Raimi-Ära kommt dieser Spider-Man Reloaded nicht heran. Dieses überschwängliche Gefühl, wenn Maguire zum ersten Mal über die Dächer wirbelt, wenn er Kirsten Dunst küsst, wenn sie „Go, get ’em, Tiger!“ flüstert, solche euphorisierenden Augenblicke fehlen diesem Film. Spider-Mans Heimkehr darf unter „nettes Popcornkino“ abgehakt werden, ikonische Qualitäten wird man vergeblich suchen.

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