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Christian Schneider

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„Was wäre das denn für ein Leben, das unsre Eltern verstünden?“

Der zweite Roman von Friedrich Torberg, jetzt neu aufgelegt, erzählt von einer Jugendkultur in den 30er Jahren. Das ist zwar nicht auf den ersten, aber auf den zweiten Blick höchstpolitisch.

Von Lisa Schneider

Strandbad und Kaffeehaus, Cremeschnitte, Tanzmusik, heimliches Schmusen: das selbsternannte „Mokkakränzchen“, bestehend aus einer Gruppe junger Erwachsenenr Anfang 20, genießt einen gemeinsamen Sommer. Hans und Peter sind in Hilde verliebt, Peter in Ruth, Hilde in Peter und Viktor und Walter in Tanja ... Dieses Knäuel an Liebesinformationen entwirrt die Leserin nur schwerlich, noch dazu, weil Torberg seinen Roman aus den verschiedenen Perspektiven erzählt. In Form von Tagebucheintragungen, inneren Monologen und Briefen erfahren wir über die Sehnsüchte, die philosophischen Ideen, die Zukunftsvorstellungen und Liebesphantasien des Kränzchens.

Außen bin ich schön

Treffen sie sich, sind die Unterhaltungen gewollt intellektuell, aber unterm Strich oberflächlich. Es geht – und das ist zeitlos schön beschrieben – ums Aufreißen und Aufgerissenwerden. Das Sie-Wort vor dem ersten Kuss macht es nicht unmöglich, über die herbeigesehnte gemeinsame Nacht nachzudenken. Und auch wenn es sich um Anfang 20-Jährige handelt, wirken sie in vielen Situationen wie übertriebene Teenager. Wie aber auch sonst, denn „was wäre das denn für ein Leben, das unsre Eltern verstünden“.

Friedrich Torberg (1908-1979) war Erzähler, Essayist, Kritiker und Übersetzer. Er lebte in Wien, bis er 1940 in die USA emigrierte. 1951 kehrte er nach Wien zurück. Seine bekanntesten Werke sind „Der Schüler Gerber“ und die beiden Erzählbände um die Tante Jolesch. Sie gehören zum Kanon der österreichischen Schulliteratur.

Einer der Protagonisten, Walter, macht sich daran, einen Roman „über die Liebe, keinen Liebesroman“ zu schreiben. Dazu will er von allen Beteiligten Tagebucheinträge sammeln, um ein authentisches, umfassendes Bild liefern zu können. Der Ansatz ist vielversprechend, denn ehrlich sind alle nur zu sich selbst, nach außen wird der Schein gewahrt. Auch das liest sich spannend aktuell, das Mokkakränzchen und das Prahlen mit dem Selbst („es liegt so hübsch darin, daß wir alle furchtbar gescheit sind, und frei, und erhaben über alles, wir trinken eben keinen Milchkaffee, sondern Mokka“) – fast genauso illustrativ wie die heutige Welt auf Instagram, wo jeder nur sein schönstes, schlankstes, glücklichstes Ich zeigt, und niemand den grauen Alltag.

Über die eigene Trostlosigkeit tröstet einen schließlich die der anderen ganz gut hinweg, auch die eigene Leere ist überaus geringfügig im Verhältnis zu Leere ringsum. Menschen, Menschen sind wir alle ... Ich würde mich ja manchmal ganz gerne erschießen - aber ich bin halt so gegen Knalleffekte, selbst wenn es sich um mich handelt, und ich glaube an keine Tragik, auch an meine nicht.

Niemand glaubt an etwas, die Stimmung ist träge, unausgefüllt, ohne Tatendrang, es ist ein müdäugiges Dahinleben. Keiner der Charaktere leidet offenbar finanzielle Not, und das ist keine ganz übliche Situation, bedenkt man mit, dass der Roman 1932 publiziert wurde.

Muss Literatur politisch sein?

Buchcover Torberg richtig richtig!

Milena Verlag

Die Neuauflage von Friedrich Torbergs Roman ist im Milena Verlag erschienen.

Friedrich Torberg versucht, an seinen Erstlingserfolg „Der Schüler Gerber hat absolviert“ anzuknüpfen, es gelingt ihm teilweise. Der erste Roman prangert noch in bissigem Ton das Schulsystem an, und auf einmal schreibt Torberg „nur“ mehr über das Liebesgeplänkel von einem Haufen mittelstarker Erwachsener?

Wie kann man, während die Wirtschaftskrise von Amerika nach Europa überschwappt, als in Deutschland die Nazis groß werden und Dollfuß genau im Erscheinungsjahr des Romans das Parlament ausschalten lässt, über ein solch belangloses Thema schreiben? Ohne die gesellschaftlichen und politischen Umstände miteinfließen zu lassen?

Mit dieser Kritik sieht sich der damals ebenfalls erst 23-jährige Torberg konfrontiert. Das Thema des Romans ist allerdings nicht die Besprechung der politischen Lage, sondern eben genau die Unaussprechlichkeit der Situation, die sich im Verhalten der miteinander nur oberflächlich umgehenden Jungerwachsenen zeigt.

Es fehlen die Wörter im Umgang miteinander, die, die mehr sagen, als dass das Wetter schön und der Kaffee gut ist. Am Ende des Sommers müssen selbst die klügsten der Runde einsehen, dass ihre Vorstellung von Liebe und Wahrheit eine falsche war. Walter, der etwas selbstverliebte angehende Schriftsteller, wird an seinem Romanversuch scheitern. Genauso wie er daran scheitert, Tanja seine Liebe zu gestehen.

Und daß es nicht die Liebe wurde, wie ich sie mir vorgestellt hatte, das liegt nicht an Tanja, sondern an meiner Vorstellung. Ich wollte Liebe ohne Lüge, ich wollte wahre Liebe, und die gibt es nicht. Liebe kann restlose Wahrheit weniger vertragen als irgendetwas andres auf der Welt, ein wenig Lüge muß dabei sein.

Die „innere Emigration“ nennt es Peter Zimmermann in seinem Nachwort zu Torbergs Roman, in die sich die Generation zwischen den beiden Weltkriegen flüchtet. Die es ihnen unmöglich macht, der von links und rechts immer stärker radikalisierten Realität etwas entgegenzusetzen.

Während Torbergs Figuren wahrscheinlich schon teilweise protzend in Uniform – oder heimlich kommunistische Schriften lesend im Kaffeehaus gesessen sind -, lesen wir darüber nichts im Roman. Das hat aber nicht mit Wirklichkeitsverdrängung zu tun, sondern vielmehr mit dem Wunsch, das Verhalten der beschriebenen Generation von innen heraus zu verstehen.

1937 wird Torberg mit „Auch das war Wien“ einen Roman schreiben, der erst fünf Jahre nach seinem Tod aus seinem Nachlass geborgen wird. Er hat ihn auf der Flucht vor den Nazis, in Prag, Zürich, Paris geschrieben, bevor er 1940 endlich Amerika erreichte. Auch in diesem Roman gibt es wieder Kaffeehaus-Anekdoten und Künstler-Intellektualität, aber Torbergs Alter Ego, Martin Hoffmann, ebenfalls Schriftsteller, darf als jüdischer Autor in Deutschland schon nichts mehr veröffentlichen. Nach und nach wird das Leben zum Albtraum.

Erst 1951 kehrt Friedrich Torberg nach Wien zurück, er behält jedoch die amerikanische Staatsbürgerschaft.

„Ich bin ein Jud. Ich lebe in Österreich. Ich war in der Emigration. Ich hab was gegen Brecht... Etwas davon schadet mir immer.“ (Die Welt der Tante Jolesch)

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