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Literaturanmache

Ich habe einen Freund, der bei Partys Mädchen immer mit dem Satz „Was hältst von James Joyce?“ anspricht.

Von Todor Ovtcharov

Ich war neulich bei einem Fest. Aufgelegt hat mein Freund DJ Bate Gojko und die Party lief in voller Lautstärke. Es war eine Party wie viele andere: Viele Menschen, laute Musik und haufenweise Leute, die da sind, um sich zu betrinken und nach neuen Liebesabenteuern zu suchen. Es war eine Situation, die jeder kennt. Wenn man dabei aber speziell Philologinnen beindrucken möchte, tut man es am besten mit zeitgenössischer Literatur. Belesenheit hilft, weil man damit zeigt, dass man ein „Kenner“ ist.

Ich habe einen Freund, der bei solchen Partys Mädchen immer mit dem Satz „Was hältst von James Joyce?“ anspricht. Danach folgt ein langes Gespräch über die Kraft des Unterbewusstseins. Und es ist immer mehr als klar, wohin „die Kraft des Unterbewusstseins“ führt – nämlich in die kleine Wohnung meines Freundes. Es ist kurios, aber er hatte mit James Joyce bisher immer Erfolg - ganz egal, ob die Dame ihn kannte oder nicht. Einmal versuchte er allerdings, Joyce mit Orhan Pamuk zu tauschen. Zu dieser Zeit hatte der türkische Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur erhalten. Es stellte sich aber heraus, dass die Mädchen weniger auf Orhan Pamuk reagierten - der Name war ihnen zu exotisch und sie beendeten das Gespräch rasch. Deshalb kam er zurück zu Joyce, denn da war ihm der Erfolg sicher.

James Joyce spielt Gitarre (1915)

Public Domain

Beeindruckender wäre nur noch, wenn Joyce dem flirtenden Pärchen selbst ein Gitarrenständchen spielen würde.

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In einer kleinen Musikpause auf dem Slawistiksommerfest lauschte ich dem Gespräch zwischen einem Jungen und einem Mädchen am Tisch nebenan. Etwas in ihrem Gespräch kam mir bekannt vor. Sie sprachen weder über Joyce, noch über Orhan Pamuk. Der Junge erzählte dem Mädchen ... über eine meiner Kolumnen. Das Mädchen lachte und es schien so, als ob der Typ am richtigen Weg war.

Das erfüllte mich mit Stolz. Irgendwie sah ich mich zusammen mit klassischen Schriftstellern in einer Reihe – obwohl es sich hier bloß um die Anmache eines beliebigen Typen handelte. Bisher dachte ich, dass nur meine Mama meint, dass meine Kolumnen lesenswert seien. Doch jetzt hörte ich meine Worte im Mund eines Unbekannten. Bald wurde die Musik wieder lauter und ich hörte das Ende der Geschichte nicht mehr. Ich sah nur, wie sich der Junge immer mehr zu dem Mädchen lehnte. Offenbar gibt es auch einen romantischen Grund, diese Kolumnen weiterzuschreiben – selbst, wenn es nur für diese zwei ist.

Bald gingen die beiden irgendwo hin und ich blieb mit der lauten Musik und meinem bereits warmen Bier zurück.

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