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Shellac

TOP 5 Gründe, wieso man Shellac nicht verpassen darf

Steve Albini gastiert am Samstag mit seiner Band Shellac im Wiener WUK. Wer da nicht hingeht, begeht den Fehler seines Lebens.

Von Alexandra Augustin

Shellac. Meine erste Begegnung mit dieser ikonenhaften Band fand Anfang der 2000er Jahre statt. Spät, immerhin gibt es Shellac rund um Produktions-Hohepriester Steve Albini schon seit 1992. Davor existierten freilich noch seine anderen Band-Projekte „Big Black“ und “Rapeman”.

Dieser Mann hat nicht nur unfassbar gute Musik geschaffen, sondern in seinem Tonstudio Electrical Audio den Sound einer ganzen Hardcore-, Grunge- und Noise Rock-Generation aufgenommen und geprägt, die bis heute als Blaupause für alle Nachgeborenen gilt: Nirvana, Pixies und Helmet zum Beispiel. Das war übrigens die Nummer, die mir die Synapsen so richtig durchgeputzt hat. Laut aufdrehen, auf einer echten Anlage, nicht auf klitzekleinen Computerlautsprechern, danke, aufstehen:

The End is the Beginning is the End, haben die Smashing Pumpkins einst gesungen, als die Post-Pop-Apokalypse sich in den späten 1990er Jahren gerade zu einem ersten, großen Hurrikan aufgebäumt hatte. Zurückgeblieben ist nur ein bisschen Asche und die Heuschrecken sind längst weitergezogen.

Aus ehemaligen Musikmanagern wurden Börsenspekulanten, Versicherungsangestellte und Pleitegeier, die heute in zwielichtigen Bars ihre zerfurchten Gesichter und ihren Frust über eine vergangene, glorifizierte Zeit in billigem Dosenbier ersaufen, die andererseits auch nie wirklich heiter war. Sie leiden an Schlafproblemen und sind in After-Work-Yoga-Workshops auf der Suche nach ihrem inneren Krafttier (...nichts gegen Yoga, Yoga ist super. Shellac-Bassist Bob Weston macht auch Yoga).

Und was macht Steve Albini heute so? Der Schrecken des letzten Jahrzehnts ist an ihm abgeprallt, als wäre um ihn herum nie etwas geschehen. Dieses Spiel hat er nie mitgespielt, nicht als Musiker und nicht als Produzent.

Albini gilt als der wahrscheinlich schärfste Kritiker, den die Musikindustrie je erlebt hat. Heute vielleicht mehr denn je, in Zeiten, in denen große Plattenlabels längst eingedampft sind und in deren ehemaligen, großen Prunkbauten nun billige Supermarktketten ihre Zelte aufgeschlagen haben. In Zeiten, in denen Spotify & Co. die Musikindustrie von innen aushöhlen und Bands statt wahrer Entlohnung nur Brotkrümel hingeworfen bekommen. Der Sound von Shellac steht, wie der Name selbst, für ein Sound- & Vision-Konglomerat, das am liebsten in schwarzes Erdöl gepresst wird. Wer in Albinis Studio die Worte „Pro Tools“ in den Mund nimmt, muss das Lager putzen gehen.

The future belongs to the analog loyalists. Fuck digital!

TOP 5 Gründe, wieso man Shellac und Steve Albini nicht verpassen darf:

#1 Bescheidenheit und Demut:
Wie viele Alben hat Steve Albini bereits produziert? Im Jahr 2008 hat er dann doch selbst einmal nachgezählt, da waren es rund 1.500. Albini-Experten schätzen die Anzahl auf über 2.000 Produktionen: The Breeders, Godspeed You! Black Emperor, Mogwai, PJ Harvey, Joanna Newsom, Superchunk, Low, The Stooges und Jarvis Cocker, um nur kurz an der Spitze des Eisbergs zu kratzen.

Auf den Alben der Artists lässt er sich übrigens nicht als Produzent anführen, sondern als recording engineer, als Tontechniker. Produzenten, so Albini, wären der Tod der Kreativität, sie manipulieren den Sound einer Band und reißen die Kontrolle an sich, während Tontechniker dazu da sind, Problemlösungen zu finden und den individuellen Charakter eines Songs einzufangen. Das letzte Wort haben die KünstlerInnen selbst. Hauptsache, es wird alles gleichzeitig wie bei einem Konzert aufgenommen.

#2 Er macht, was er will, wenn er will:
Steve Albini sucht sich die Bands, die er aufnimmt, selbst aus. Gefällt ihm die Musik, dann darf man nach Chicago kommen. Prinzipiell stehen die Studiotüren aber allen offen und jede Band kann hier Studiozeit buchen. So kann es dann auch schon mal passieren, dass Steve Albini die mittlerweile aufgelöste Linzer Band Valina nach Chicago einlädt und aufnimmt. Gleich zwei Valina-Alben sind so entstanden. Hat ihm einfach gefallen die Musik, zu Recht. Guter Mann.

#3 Er sucht die Vorbands für Shellac-Konzerte selbst aus:
Oh Gott, wie unfassbar toll: In Wien spielen die drei Wiener Frauen von Aivery die Bude warm. Steve Albini hat sich für die junge Band entschieden, obwohl sie bisher noch gar keine Langspielplatte veröffentlicht hat. Wir freuen uns wahnsinnig! Das Debüt„Because“ erscheint am 1. September. Wer weiß, vielleicht produziert Steve Albini auch gleich das nächste Album der Band?

#4: Shellac Drummer Todd Trainer liebt Hunde und hatte den liebsten Windhund der Welt: Der Windhund hörte auf den Namen „Uffizi“ und war eine Seele von einem Tier, bei dem auch Hundehasserherzen weich wurden. Das schöne Tier hat sein eigenes Denkmal, es ziert das Cover der Shellac-Platte„Excellent Italian Greyhound“ von 2007. Schaut euch folgendes Video an, ab Minute 2:52 geht es los mit Todd und Uffizi. R.I.P. Uffizi!

#5: Albini ist der fairste (und sowieso beste) Produzent ever:
Ein Blick auf die Website seines Studios genügt: Ein Aufnahmetag mit Steve Albini kostet US$900. Das ist nicht viel, im Verhältnis dazu, mit wem man es hier eigentlich zu tun hat. Ach ja, wie lang dauert so ein Aufnahmetag eigentlich? Hier werden keine Peanuts gezählt und minutengenau abgerechnet: Los geht eine Session vormittags, open end.

„We define a day as a good amount of time in which you, your band, and the engineer feel comfortable working. Most sessions start between 11am and noon and continue until that day’s work is done or everyone is tired“. Auch die anderen Kosten sind mehr als günstig: Studiopreise variieren zwischen US$400 und US$600. Hat man nicht so viel Kohle, wird passend verhandelt.

Etwa bei den Pixies und ihrer ersten Langspielplatte „Surfer Rosa“: Das Label 4AD hatte für die Produktion US$10.000 budgetiert. Albinis Gage betrug US$1.500, eine Beteiligung an Tantiemen hat er strikt abgelehnt. Nicht erst damals, aber besonders nach dem Film „Fight Club“, ist die Platte durch die Decke gegangen.

Auch von Nirvana wollte Steve Albini keine Extrakohle: Albini hatte auch hier seine Teufelsfinger am Hauptregler, bei der Platte „In Utero“. Er hätte sich einen kleinen Ponyhof verdienen können, aber nein: Steve Albini wollte keine prozentuelle Beteiligung am Gewinn haben, obwohl die Prognose für seinen Anteil bei rund $500.000 lag und „In Utero“ damals, trotz des viel roheren Sounds als auf dem Vorgänger „Nevermind“, von 0 auf 1 in die US-Charts eingestiegen ist.

Wieso? Steve Albini betrachtet eine Beteiligung an den Einnahmen seiner „musikalischen PartnerInnen“, wie er sie nennt, als „Beleidigung gegenüber den KünstlerInnen“. Am besten liest man aber selbst nach, was er über die Aufnahmen zu „In Utero“ zu sagen hat, der Briefwechsel zwischen Steve Albini und Nirvana ist mittlerweile legendär!

Shellac spielen am Samstag, 5. August 2017, ein Konzert im Wiener WUK. Als Vorgruppe spielt die Wiener Band Aivery.

Bei den Aufnahmesessions gibt es neben den flexiblen Arbeitszeiten auch sonst keinen Dienst nach Vorschrift: Kim Deals Backgroundgesang für die legendären Pixies-Nummern „Where Is My Mind?“ und „Gigantic“ wollte Albini mit mehr Hall aufnehmen. Also baute er die Instrumente einfach im Badezimmer des Tonstudios auf, um ein echtes Echo einzufangen. Auch heute noch gilt: echte Instrumente, echter Sound, echte Band. Pfeif auf den ganzen anderen Mist! Egal ob Albini für andere Bands arbeitet oder mit seiner Band Shellac auf der Bühne wütet: hier wird noch kaputt gemacht, was uns kaputt macht!

Buchtipp: Michael Azzerad „Our Band Could Be Your Life: Scenes from the American Indie Underground, 1981–1991“

In diesem Sinne: Schaut auch diesen Mann und seine Band an! An die Bandmitglieder von Aivery: Schnappt euch diesen „Tontechniker“ für eure nächste Platte, nehmt den nächsten Flieger nach Chicago und esst an den unendlichen Aufnahmetagen so viel Deep Dish Pizza, wie ihr in eure Bäuche kriegt. 1000 Thanks!

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