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Zwei Menschen in "Room 104"

HBO

Menschen im Motel

Der intime Blick ins Leben: Die neue HBO-Anthology-Serie „Room 104“.

von Philipp L’heritier

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Wenige Menschen tun wenige Dinge auf engstem Raum. Manchmal sprechen sie auch wenig. Das ist ein Kammerspiel im Wortsinne.

Die letzte Woche gestartete HBO-Serie „Room 104“ spielt 12 inhaltlich nicht zusammenhängende Folgen lang einzig in ein und demselben Motelzimmer. Woche für Woche verschlägt es neues, stets klein gehaltenes Figurenarsenal für rund 25 Minuten Laufzeit einer Folge in diesen unscheinbaren Raum.

Ein Pizzabote in Turbulenzen, zwei strauchelnde Mormonen auf Mission, ein alterndes Ehepaar, das noch einmal die romantischen Gefühle zum Flackern bringen möchte – sie alle landen in der öden Bude. Wo - und wann - wir uns befinden erfahren wir nicht.

Room 104, ein Zimmer von beiger Anmutung im unteren Segment auf der Skala des Qualitätstourismus. Sicherlich irgendwo am Rande eines Highways gelegen, hier stolpert man nur per Zufall, Not oder auf Dienstreise hinein, nicht durch Reisewunsch.

Es gibt in der Serie „Room 104“ kein Außen, allein ein paar Blicke durchs Motelfenster hinaus in eine unbekannte Welt sind möglich, sanft hört man die Neonreklame blitzeln. Unbehagen steigt auf.

Freundlicher Minimalismus

Erfinder und Produzenten von „Room 104“ sind die Brüder Mark und Jay Duplass, die man bislang vornehmlich als Bestreiter der minimalistischen, eng gesteckten Form ohne Bombast kennengelernt hat.

Als Filmemacher sind sie Teil der losen Mumblecore-Bewegung der frühen und mittleren Nuller-Jahre: Hier geht es um schwer dialogreiche, möglichst um Lebensnähe bemühte Lo-Fi-Filme ohne große Action. Mitteljunge Menschen ohne Geld sitzen an Küchentischen und haben Meinungen. Dogma-Indie-Chic für ein neues Jahrtausend.

Zwei Menschen in "Room 104"

HBO

Gemeinsam haben die Duplass-Brüder die von 2015 bis 2016 gelaufene linkisch-zerknautschte Beziehungskiste „Togetherness“ erfunden, in der Mark auch die Hauptrolle gespielt hat, während Jay in der großartigen Familien-Dramedy „Transparent“ den krisengebeutelten Hipster-Musikproduzenten gibt.

Mit „Room 104“ haben sich Mark und Jay Duplass jetzt wieder ein Projekt ausgedacht, in dem die intime Figureninteraktion im Zentrum steht, ein Flüstern, ein Augenaufschlag, eine unachtsame Berührung. Diesmal aber eben explizit nicht vermeintlichem Realismus verpflichtet.

Everything Changes

Mit einem Team von wechselnden Regisseurinnen und Regisseuren schicken sie ständig wechselnde Typinnen und Typen in stets wechselndes Szenario – im stets selben Szenario. „Room 104“ ist eine Anthology-Serie. Hier ändern sich jedoch Folge für Folge nicht bloß Ensemble, Charaktere, Plot, sondern auch Stimmgebung und tonale Färbung. Einzig der Raum stellt die Verbindung her.

Mal spielt „Room 104“ mit den Mustern von Grusel und Horror, dann lehnt sich die Serie Richtung quirky Indie-Comedy, dann gibt es rührselig-melancholisches Familiendrama.

In der Pilotfolge „Ralphie“ legt „Room 104“ schon eine falsche Fährte aus: Hier öffnet sich die Türe in die schaurigen Dimensionen der Twilight Zone, im Halbdunkel verläuft die Zeit zähflüssig, eine Babysitterin trifft hier auf einen seltsamen Burschen, der im „I See Dead People“-Flüsterton spricht.

Zwar wird „Room 104“ in Folge immer wieder mit dem Mysteriösen und dem Mulmigen hantieren, beispielsweise in einer Folge, in der Orlando Jones als halbseidender Erweckungs-Priester auftritt oder anderswo recht plausibel die Möglichkeit von Zeitreisen in den Raum gestellt wird – dann aber wieder wird es ganz anders.

Eine Folge etwa kommt nahezu komplett ohne Worte aus und ist als Art modernistisches Ballettstück für zwei Damen angelegt - eine dynamische Inszenierung im Leuchtröhrenschein, die auch die Feinde des Tanztheaters leise erwärmen dürfte.

Zwei Menschen in "Room 104"

HBO

Die ganz kleinen Geschichten

Ein Highlight der Serie ist die Folge „The Internet“: Ein aufstrebender Schriftsteller (Karan Soni) hat da seinen Laptop, auf dem sich ein dringend benötigtes Romanmanuskript befindet, bei seiner Mutter vergessen.

Aus Zeitnot versucht er nun der von der Technologie überforderten Mutter (aus dem Off: Poorna Jagannathan) übers Telefon zu erklären, wie sie ihm denn das Dokument per Internet schicken könne. Mehr passiert nicht.

Bei „Room 104“ geht es nicht um Plot-Twists oder Erlösungen. Die Serie besteht aus knappen Vignetten, leisen Szenen, Momenten des Luftablassens. Kaum etwas hier ist Sensation, mal ist es unangenehm und sanft spannend, dann ist es ruhig, dann wieder viel ruhiger.

Jede Folge ist straff inszeniert, genau ausgemessen, das Ensemble glänzt. Unter anderem des Weiteren mit dabei: Philip Baker Hall, James van der Beek, Amy Landecker.

Wir haben uns an den großen, großen Handlungsbogen und die ausgeklügelte, allesverbindende Durchserialisierung gewöhnt. Jede Serie wollen wir als monumentalen Roman von Charles Dickens oder als immerhin 10-stündigen Arthouse-Blockbuster begreifen können.

Für „Room 104“ ist es ein Vorteil, dass es eben nicht nach beispielsweise dem Netflix-Modell in einem einzigen Schub, sondern häppchenweise in die Welt entlassen wird. Einmal pro Woche sich kurz verwundern lassen, ein bisschen einlullen und zart bezirzen. Vielleicht auch ein wenig wegdimmen, ausfaden und von rätselhaften Orten träumen.

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