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Tyler The Creator

Mark Peckmezian

Who dat Boy?

Es ist der Rapper, Produzent, Regisseur, Designer, OFWGKA-Gründer und nun sehr erwachsene Tyler, The Creator. Über sein viertes Album „Flower Boy“ und den tiefgründigen und melancholischen Mann, der hinter der LP steht.

Von Dalia Ahmed

Die „Kill People, Burn Shit, Fuck School“-Zeiten sind vorbei. Der junge Kreative aus Kalifornien ist nicht mehr „nur“ wütend, provokant und untergriffig lustig. Tyler, The Creator ist auf „Flower Boy“ zum reflektierten Storyteller herangewachsen und zeigt uns, dass er nicht nur ein hervorragender Produzent ist, sondern auch gelernt hat, sein turbulentes Innenleben fokussiert zum Ausdruck zu bringen.

Tyler, the Creator Albumcover

Columbia Records

Fuck the rap, I’m try’na own a planet

So, wie der alternative Titel der LP „Scum Fuck Flower Boy“ kommt auf dem eher neo-soulig gesungenen als wütend gerappten Album die Dualität der Tyler, The Creator-Persona zum Vorschein. „Rebellion and defiance“ machen seinen „muthafuckin’ cock“ nicht mehr hart. Tyler schießt nicht mehr mit dem Hass wild um sich, stattdessen blickt er nach Innen und erzählt uns von dem, was ihn nervt, bedrückt und deprimiert. Die Langeweile, die Leere, die Liebesgeschichten und vor allem die Einsamkeit, die ein Leben mit (und ohne) Erfolg mit sich bringen, werden samt dicht produzierter musikalischer Untermalung präsentiert und besprochen. Who dat boy? Es ist Mr Lonely.

Als Vehikel zur Transportierung all dieser sad feelings nutzt Tyler, The Creator das Auto. Viele unterschiedliche schicke Autos, die das höchste Gut erfolgreicher Rapper/innen und der Bewohner/innen der Stadt ohne ordentliche öffentliche Verkehrsmittel - Los Angeles - sind, kommen in „Flower Boy“ vor und fahren uns von Song zu Song durch die Story, die im Album erzählt wird.

  • How many cars can I buy ’til I run out of drive?
  • How much drive can I have ’til I run out of road?
  • How much road can they pave ’til they run out of land?
  • How much land can there be until I run in the ocean?

Tyler, The Creator, der einst über die erfolgreichen Rapper und ihre Statussymbole schimpfte, findet sich nun in derselben Situation wieder. Er will Chains und Cars, weiß aber auch, dass zu viele Diamant-besetze Ketten beschweren und bald schon fast wie die Ketten der Sklaven fesseln.

In „Flower Boy“ folgt textlich tiefe Trauer und Bekümmernis auf jeden winzig kleinen Moment der vermeintlichen Freude. Das spiegelt sich auch in der Musik wider. Würde man das Album zum ersten Mal bei einer Spazierfahrt im Autoradio hören, könnte man meinen, es sei ein geschmeidiges, eingängiges RnB- und Soul-Album mit viel Gesang und entspannt-rauen Tyler, The Creator-Versen. Und das ist es ja auch ... aber eben nicht nur. Vom Piano, Rex Orange Countys Stimme und den Samples, die ua. von Sonic Youth und der 70s Krautrockband Can kommen, ist alles in triefende Sadness eingekleidet, mit einem bunten, süßen Überzug oder vielleicht sogar Unterbau. So, als würde Tyler, the Creator uns dazu einladen, weinend in einer Blumenwiese zu tanzen.

Der Sound zum traurigen Tanz definiert sich auch durch die Kollabos: Da ist Tyler, the Creators langjähriger Weggefährte Frank Ocean, Kali Uchis, für die Tyler einige Tracks auf ihrer Por Vida EP produziert hatte, A$AP Rocky, der ua. zum ausgezeichneten Gastvers auf der Single „Who Dat Boy“ ausholt, Jaden Smith, der zum allererste Mal in seinem Leben nicht unangenehm auffällt, Lil’ Wayne, ScHoolboy Q, Estelle und Pharrell, der nicht nur Vocals für den Abschlusstrack „Enjoy Right Now, Today“ abliefert, sondern auch als große Inspirationsquelle für Tyler, The Creator, den Musikproduzenten, herhält. (Obwohl ja Tyler ungern über das Thema Inspiration spricht).

I’ve been kissing white boys since 2004

Bei der Spritztour durch Tyler, The Creators Innerstes macht er auch im Garden Shed halt. Ein Ort, an dem er etwas verborgen hielt. Indem er uns in sein Gartenhäuschen einlädt, verlässt er das metaphorischen Closet und feiert mit diesem Album sein Coming Out.

Garden shed, garden shed, garden shed, garden shed.
That is where I was hidin’.
That was real love I was in.
Ain’t no reason to pretend.
Garden shed, garden shed, garden shed,
Garden shed for the garçons.
Them feelings that I was guardin’,
Heavy on my mind

An sich sollte ja im Jahr 2017 das Coming Out einer Person kein großes Thema mehr sein. Aber im Fall von Tyler, The Creator ist es doch zu einem gewissen Grad wert, besprochen zu werden. Tyler und seine Odd Future Crew fielen zu Beginn ihrer Karriere mit misogynen und homophoben Textzeilen auf, die oft eher als Provokation verstanden wurden, da Mitglieder der Gruppe queer waren. Dennoch hinterließen Zeilen wie „I’m stabbin’ any bloggin’ faggot hipster with a Pitchfork“ einen sehr schalen Geschmack im Mund und Ohr ihrer Kritiker/innen und auch vieler Fans. Für die derben Zeilen und Tweets hat sich Tyler, The Creator nie entschuldigt – der Frage, ob er das überhaupt sollte, müsste man einen ganzen eigenen Artikel widmen. Als das ehemalige Odd Future Wolf Gang Kill Them All-Mitglied Frank Ocean seine Queerness auf Tumblr und seinem Channel ORANGE Album thematisiert, witzelte Tyler, The Creator nur darüber und unterstützte ihn weiter.

„Flower Boy“ ist am 21. Juli auf Columbia Records (auch als Kassette) erschienen.

Die mixed messages und das Spiel mit den beleidigenden, provokanten, aber auch auf eine fast schon kindisch-naive Art akzeptierenden Aussagen hat er immer schon gerne gespielt. 2011 meint er im NME-Interview: „I’m not homophobic. I just think ‚faggot‘ hits and hurts people. It hits. And ‚gay‘ just means you’re stupid. I don’t know, we don’t think about it, we’re just kids.“. 2014 designt er für sein Merchandise Label Golf Wang Shirts, die das Logo der rechtsradikalen Stormfront-Website mit den Farben der Regenbogenfahne kombinieren und posiert auf den dazugehörigen Promotionfotos Händchen-haltend mit einem Mann. Ob er all das tut, um zu provozieren oder eine neue Form des Diskurs damit beabsichtigt, lässt sich nie so richtig herauslesen.

Golf Wang Merch Foto

Golf Wang

Aber jetzt, da er auf „Flower Boy“ immer wieder Referenzen zu seiner Homosexualität einstreut und das Album so ernst und persönlich wirkt, wäre selbst für Tyler, The Creator ein Fake-Coming Out zu zynisch, um nur reißerische Geste zu sein. Tyler erklärt auch auf „November“, warum er sich zuvor nie besonders explizit zu seiner sexuellen Orientierung geäußert hat. Nämlich aus Angst vor der Homophobie mancher seiner Freunde und Fans „What if ... all my day ones turn to three, fours ’cause of track seven"(Was, wenn die Unterstützer von Tag 1 mich verlassen, wegen Track 7, "Garden Shed“).

Und so ist „Flower Boy“ Tyler, The Creators persönlichstes, konzeptuell kohärentestes und bestes Album - trotz oder gerade wegen all dem Scum und der schönen Blumen.

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