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Hellblade

Ninja Theory

Reise in den Abgrund der Psychose

In „Hellblade: Senua’s Sacrifice“ kämpft eine Kriegerin gegen die Schrecken ihrer eigenen kranken Psyche - ein beeindruckendes Erlebnis.

Von Rainer Sigl

Nur langsam taucht die stille Landschaft vor mir aus dem Nebel auf. Kein Geräusch ist zu hören - bis auf ein Flüstern hinter mir. Dann noch eine Stimme, ganz nah, und noch eine: gute Ratschläge, Warnungen und hämische Beleidigungen, die mich jeden Schritt begleiten. Und das, obwohl da gar niemand ist, denn die Stimmen sind nur in meinem Kopf.

In “Hellblade: Senua’s Sacrifice” begleiten wir die junge keltische Kriegerin Senua durch einen wahren Albtraum, denn das Spiel hat ein ehrgeiziges Ziel: nachvollziehbar und erlebbar zu machen, wie sich ein psychotischer Zusammenbruch anfühlen könnte. Dafür haben die Entwickler eng mit Wissenschaftlern, Ärzten, aber auch selbst Betroffenen zusammengearbeitet, und das merkt man: Ein eindrücklicheres Porträt psychischer Ausnahmezustände hat man im Medium Videospiel zuvor noch nie gesehen und erlebt.

„Independent AAA“

“Hellblade” ist aber kein “Serious Game”, das trocken das Thema psychische Krankheit behandelt, sondern ein umwerfend präsentierter Action-Kracher, in dem wir wieder und wieder gegen mörderische Wikinger und Dämonen kämpfen und clevere Umgebungsrätsel lösen. Das britische Entwicklerstudio Ninja Theory, bekannt von AAA-Spielen wie „DmC“ oder „Heavenly Sword“, wagt sich mit „Hellblade“ das erste Mal unabhängig von einem Publisher vor den Vorhang - und spricht selbst von seinem Spiel als „Independent AAA“.

Die Hauptrolle in „Hellblade“ spielt trotz der früheren legendären Action-Spiele des Studios diesmal aber eindeutig die Geschichte, die, schauspielerisch beeindruckend, fast ausschließlich von unserer Heldin getragen wird. Sie wird eindrucksvoll dargestellt von Melina Juergen, die eigentlich als Video-Editorin beim Entwicklerstudio Ninja Theory arbeitet und ursprünglich nur als Platzhalterin für eine später zu castende professionelle Schauspielerin fungieren hätte sollen; ihre außergewöhnliche darstellerische Leistung hat sie aber schließlich völlig zu Recht selbst zum Gesicht von „Hellblade“ werden lassen.

Hellblade

Ninja Theory

Kampf mit den inneren Dämonen

Die intensive Darstellung dieser Heldin ist beeindruckend gelungen. Auf dem Weg in eine albtraumhafte mythische Unterwelt, um ihren Geliebten von den Toten zurückzuholen, muss sich Senua ihren inneren Dämonen stellen - was dabei real und was nur Halluzination ist, ist nicht leicht zu entscheiden. Im Spielverlauf wird Stück für Stück die tragische Vorgeschichte klarer, während Senuas Reise in den Abgrund der Psychose auf einen düsteren Höhepunkt zusteuert.

“Hellblade: Senua’s Sacrifice” ist für Windows und PS4 erschienen - übrigens zum indie-kompatiblen Preis.

“Hellblade” ist ein ganz besonderes Spiel, denn nie zuvor haben sich Hochglanz und außergewöhnliches Thema so beeindruckend getroffen wie hier. Besonders mit Kopfhörern auf den Ohren wird die düstere Seelenreise dank binauralem 3D-Sound zum fast überwältigenden Trip in einen anderen Bewusstseinszustand - eine Leistung, wie sie eigentlich nur Videospiele erbringen können.

Der Respekt, den “Hellblade” seinem Thema entgegenbringt, und seine außergewöhnliche erzählerische Wucht machen es zum gelungenen Experiment mit großartiger Präsentation. Eines der spannendsten Spiele des bisherigen Spielejahres.

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