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Abgase strömen aus dem Auspuff eines Autos mit Dieselmotor

Jan Woitas/dpa-Zentralbild/

Wie war das beim Dieselskandal?

„Volkswagen, da weiß man was man hat“. Der VW-Werbespruch aus den Neunziger Jahren klingt für viele Kundinnen und Kunden heute wie blanker Hohn. Die Dieselaffäre bedroht mittlerweile die gesamte deutsche Autoindustrie. Wie ist es dazu gekommen?

Von Niklas Lercher

Um zu verstehen, was da los ist im Dieselland Deutschland muss man zurückreisen in die Neunziger Jahre. Bis dahin fristet der Dieselmotor eine Art Schattendasein gegenüber seinem coolen Bruder, dem Benzinmotor. Der Diesel gilt zwar als zuverlässig, aber auch als ein wenig langweilig und langsam. In Deutschland fahren zu diesem Zeitpunkt nur rund fünfzehn Prozent der AutobesitzerInnen einen Diesel.

Go Green, go Diesel!

Doch die Autoindustrie poliert sein Image auf, preist den Diesel als die Lösung für all unsere Klimaprobleme an. Denn der Diesel pustet im Vergleich zum Benzinmotor weniger von diesem lästigen CO2 in die Atmosphäre, das unser Klima kaputt macht. Das ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit: beim Diesel kommt nämlich mehr Stickstoffoxid NOx beim Auspuff raus. Das ist zwar eine bessere Nachricht für unser Klima, aber eine schlechtere für unsere Gesundheit. Bei einer zu hohen Konzentration an Stickstoffoxiden in der Luft steigt das Risiko für Herzkreislauferkrankungen wie Schlaganfälle oder Herzinfarkte. Die Autoindustrie verweist auf effiziente Reinigungsfilter und ausreichende Grenzwerte.

Ab den Nuller Jahren werden immer stärkere PS-Protzkisten mit Dieselantrieb gebaut. Der Diesel wird hip. Ein Auto für alle, die gerne links überholen. Schnell fahren und gleichzeitig das Klima schützen. Der Stoff aus dem Auto-Träume sind! Mit diesen Heilsversprechungen erobert die deutsche Automobilbranche Europa. VW steigt zum größten Autokonzern der Welt auf. Ab 2010 sollen auch die bisherigen Dieselmuffel in den USA vom ganzen Stolz der deutschen Autoindustrie überzeugt werden.

Die Geburtsstunde einer „situationselastischen“ Lösung

Bei der Eroberung des amerikanischen Marktes gibt es aber ein klitzekleines Problem: die US-Umweltbehörde ist beim Ausstoß des verflixten Stickstoffoxids NOx weniger großzügig, als die EU. Deutsche Autos blasen zu viel davon in die amerikanische Luft und bekommen keine Zulassung.

Grafik, die erklärt, wie die Trickserei bei der Abgasmessung funktioniert

APA

Was also tun? VW könnte natürlich am Motor schrauben und etwas ändern. Das würde aber viel Zeit und noch viel mehr Geld kosten, mehrere Milliarden. Also muss - sagen wir es mal in den Worten eines ehemaligen österreichischen Ministers - eine „situationselastische" Lösung her: eine Software, die sich am Prüfstand einschaltet und aus den Luftverschmutzern wie durch Zauberhand Umweltautos macht – quasi Autos frisieren nur für Abgaswerte. Natürlich ist das verboten, aber das wird schon keiner merken.

Die Absatzzahlen in den USA steigen, alles eitel Wonne. Bis die US-Umweltbehörde im April 2014 dem Betrug auf die Schliche kommt. Von da an dauert es tatsächlich noch mehr als ein Jahr, bis sich mittlerweile Ex-Konzernchef Martin Winterkorn entschuldigt und VW Verantwortung übernimmt. Bisher jedoch nur für den US-Markt.

Ein zerknirschter Martin Winterkorn

Bernd von Jutrczenka/dpa

Ein zerknirschter Martin Winterkorn.

Von der Betrugssoftware zur Nicht-Betrugssoftware

VW musste Stellung beziehen, hagelte es doch zehntausende Klagen in den USA. Der Wolfsburger Autokonzern ist mit Schadenersatzforderungen von bis zu 22 Milliarden US-Dollar konfrontiert. Das Geld wäre wahrscheinlich für die Entwicklung eines serienmäßigen Elektroautos besser angelegt gewesen. Das tatsächliche Ausmaß des Betrugs wird aber erst ein paar Monate später deutlich: denn VW hat auch Millionen Kunden in Europa mit der Betrugssoftware getäuscht.

Audi, Porsche, Daimler und Opel sollen die Software ebenfalls mehr als nur vom Hören-Sagen kennen, Beweise fehlen bislang ... noch. Schnappatmung bei den Autobauern. Sie versprechen Softwareupdates, um die Autos, wie es so schön heißt, „sauber zu bekommen“. Mit diesem Update sollen Dieselautos laut Hersteller 25 Prozent weniger Stickstoffe ausstoßen. Die Frage drängt sich auf, wozu die Betrugssoftware war, wenn jetzt eine Nicht-Betrugssoftware als die Lösung aller Diesel-Probleme angepriesen wird. Die wesentlich billigere Lösung ist es für die Autokonzerne allemal.

Das Image ist dennoch im Eimer, der Lack der ach so mächtigen deutschen Autoindustrie ist ab. Viele haben nur noch Hohn und Spott für die Autokonzerne übrig. Vielleicht auch deshalb, weil es eine Branche betrifft, wo die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz oft fließend war und immer noch ist.

Alles eine Frage der Messung

Zusätzlich wird Kritik an den Abgastests selbst laut. Denn diese finden nicht auf der Straße statt, sondern unter Laborbedingungen in der Werkstatt. Die Abweichungen bei der Messung zwischen Straße und Werkstatt sind teilweise eklatant. Wer jetzt denkt, die Politik würde einschreiten und schärfere Abgastests einführen, der irrt gewaltig.

Im Gegenteil, so wird auf EU-Ebene mitten in der Dieselaffäre der Vorschlag der EU-Kommission, die Messwerte zu verschärfen, zu Gunsten der Industrie nach oben korrigiert. Gemessen wird zukünftig zwar schon auf der Straße, allerdings erst ab dem Jahr 2021. Und mithilfe mathematischer Spielerein braucht der deutsche Diesel nicht zu befürchten, bei den Abgastests durchzufallen. Die Ergebnisse werden einfach schöngerechnet. Das Aufatmen der deutschen Autokonzerne konnte man bis nach Brüssel hören. Dass die EU so entschieden hat, geschah unter kräftiger Mithilfe der deutschen Bundesregierung.

Eng verzahnt: Politik und Autoindustrie

Kein Wunder, denn das Verhältnis zwischen Autoindustrie und Politik als nah zu bezeichnen, ist fast schon eine Untertreibung. Da ist zum Beispiel Matthias Wissmann, ehemaliger Verkehrsminister unter Kanzler Helmut Kohl (CDU). Heute ist er Präsident des Verbandes der Automobilindustrie. Oder Thomas Steg. Er war stellvertretender Regierungssprecher zuerst unter Gerhard Schröder (SPD), dann unter Angela Merkel. Nun ist er der oberste Lobbyist bei VW. Die Liste (siehe unten) lässt sich noch lange fortsetzen. Kurzum, man kennt sich.Sehr gut.

Verbindung zwischen deutscher Politik und Autoindustrie

Matthias Wissmann
1976-2007: Mitglied des Bundestages
1993-1998: Bundesverkehrsminister
2007: Präsident des Verbandes der Automobilindustrie

Thomas Steg
1998-2002: Stellv. Leiter des Kanzlerbüros
2002-2009: Stellv. Regierungssprecher
2009: Wahlkampfleiter SPD
Seit 2012: Cheflobbyist von VW

Eckhart von Klaeden
1994-2013: Mitglied des Bundestages
2009-2013: Staatsminister im Kanzleramt
Seit 2013: Cheflobbyist Daimler

Maximilian Schöberl
1992-1998: Pressesprecher der CSU
Seit 2006: Cheflobbyist VW

Michael Jansen
2006-2009: Büroleiter von Angela Merkel in der CDU-Zentrale
Seit 2015: Leiter der Berliner Vertretung von VW

Martin Jäger
2004-2005: Referatsleiter im Kanzleramt
2005-2008: Sprecher Auswärtiges Amt
2008-2013: Cheflobbyist Daimler
Seit 2016: Staatssekretär Innenministerium Baden Württemberg

Joachim Koschnicke
2005-2011: Planungs-und Kommunikationschef CDU
2013-2017: Cheflobbyist Opel
Seit 2017: Wahlkampfleiter CDU

Sigmar Gabriel
1999-2003 Ministerpräsident von Niedersachsen, saß im VW-Aufsichtsrat
2005-2009: Umweltminister
2009-2017: SPD-Bundesvorsitzender
2013-2017: Minister für Wirtschaft und Energie
Seit 2017: Außenminister

In Deutschland hängen 800.000 Jobs direkt, 5 Millionen indirekt an der Automobilbranche. Angela Merkel ist somit als Bundeskanzlerin automatisch auch Autokanzlerin. Es verwundert also nicht, dass für sie der Diesel trotz der Affäre nicht tot ist. Ganz im Gegenteil. Für den Klimaschutz sei das Dieselauto immer noch ein gutes Auto, so die Kanzlerin. Zwei Jahre, Milliarden an Schadenersatz in den USA und einen massiven Vertrauensverlust später ist die Lernkurve der deutschen Autobranche und Politik, sagen wir mal, ausbaufähig.

Eisern halten Autoindustrie und Politik in Deutschland am Luftverschmutzer Diesel fest. Damit drohen sie von Elektroautos „Made in USA“ oder "Made in China“ überholt zu werden. In den Wirtschaftswissenschaften gibt es die Theorie vom „disruptiven Moment“. Jenem Zeitpunkt, wenn eine Technologie von heute, morgen plötzlich überholt ist. Kodak und Nokia können ein Lied davon singen. Der „Vorsprung durch Technik“, wie ein Werbeslogan von Audi lautete, könnte bald weg sein. Und damit auch viele Arbeitsplätze im Autoland Deutschland.

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