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Zadie Smith

Dominique Nabokov

Wenn die Handlung der Preis für den Rhythmus ist

Zadie Smiths neuer Roman „Swing Time“ ist für den Man Booker Prize 2017 nominiert. Jetzt erscheint er in der deutschen Übersetzung.

Von Maria Motter

Mit 25 und ihrem Debütroman „White Teeth“ (deutscher Titel: „Zähne zeigen“) ist Zadie Smith ein Literaturstar. Inzwischen ist die Engländerin 41, hat unter vielen Preisen bereits einen für ihr Gesamtwerk verliehen bekommen und nennt Daniel Kehlmann einen guten Freund. Der Autorenkollege Kehlmann ist auch einer von vielen, denen Zadie Smith am Ende ihres neuen Romans dankt. „Swing Time“ ist ihr fünfter Roman und jetzt in der deutschen Übersetzung erschienen. Der Titel ist wie im Original und ein Etikettenschwindel.

Um Swing, die Musik und die Tänze, geht es kaum, auch wenn sich eine YouTube-Playlist mit den im Buch vorkommenden Titeln und Artists erstellen ließe. „Pick Yourself Up“, Cab Calloway, Glen Miller Band, „All of you“ bis zu Michael Jacksons „Thriller“ und A Tribe Called Quest sowie einige weitere Musikernamen. Es bleibt bei einem kurzen Name-Dropping. Vielmehr widmet sich Zadie Smith erneut einer Familiengeschichte, über die sie von der Gesellschaft im Großen erzählt. „Swing Time“ ist ein Bildungsroman.

Autobiografisch sind nur die Vorlieben

London, Anfang der Achtziger Jahre. Zwei kleine Mädchen begegnen einander erst beim Kirchgang in Begleitung ihrer Mütter, dann im Ballettunterricht. Die eine heißt Tracey und hat ein Tanztalent und eine vereinnahmende Niedlichkeit, die andere hat „Plattfüße wie Pfannkuchen“, singt gern und ist die Ich-Erzählerin von „Swing Time“, die namenlos bleibt. Beide sind neugierig aufeinander, wohnen im Nordwesten Londons und haben einen Elternteil mit weißer und einen mit schwarzer Hautfarbe. Bloß sei es bei der Ich-Erzählerin „falsch rum“, wie Tracey behauptet: „Ich hörte mir ihre Theorie eines Tages in der Pause an, während ich beklommen meinen Keks in den Orangensaft tunkte. „Bei allen anderen ist es der Vater“, erklärte sie, und ich konnte nichts darauf erwidern, weil ich wusste, dass das im Großen und Ganzen stimmte.“

Buchcover von Zadie Smiths "Swing Time"

Kiepenheuer und Witsch

Zadie Smith: Swing Time, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Tanja Handels, erscheint am Donnerstag, 17.8., bei Kiepenheuer & Witsch

Von den ersten gemeinsamen Abenteuern an – einer wilden Videoperformance im Kinderzimmer eines Geburtstagskindes – bis ins Erwachsenenleben, wo sie sich über Jahre aus den Augen verlieren, erzählt Zadie Smith mit beglückendem Gespür und realistisch von einer Mädchenfreundschaft, die der Mutter der Ich-Erzählerin gar nicht recht ist. Traceys Umgangsformen entsprechen nicht ihren Idealvorstellungen und ihre Erziehungsansätze greifen bei der besten Freundin ihrer Tochter absolut nicht:

“Als wir an der Straße waren, die unsere Wohnanlage von Traceys trennte, ließ meine Mutter Traceys Hand los und hielt uns einen ebenso knappen wie niederschmetternden Vortrag zur Geschichte rassistischer Schimpfwörter. Ich ließ den Kopf hängen und heulte mitten auf der Straße los. Tracey blieb ungerührt. Sie hob das Kinn und die kleine Schweinchennase, wartete, bis alles vorbei war, und sah meiner Mutter dann direkt in die Augen. »Ist doch nur so’n Wort«, sagte sie.

„Swing Time“ dreht sich in erster Linie um die Beziehungen von Frauen untereinander. Vor allem um eine Freundschaft unter Gleichaltrigen, aber auch sehr um die Mutter-Tochter-Beziehung, um Machtverhältnisse und die eigene Emanzipation.

In der Kindheitsgeschichte gibt es etliche Parallelen zur Biografie Zadie Smiths – sie ist die Tochter eines englischen Vaters und einer aus Jamaica stammenden Mutter, sie hat getanzt und ist im Nordwesten Londons aufgewachsen, wo sie heute mit ihrer Familie lebt, wenn sie nicht in New York sind – und die Erzählung mutet autobiografisch an. Das am meisten Autobiografische im neuen Buch seien die Vorlieben, sagt Smith in Interviews. Die Story sei eher: Was gewesen wäre, wenn, also eine Autobiografie von jemandem, der sie hätte sein können.

Von Geistermännern und ihren Töchtern

Der Vater der Ich-Erzählerin ist weiß, ein gutmütiger Postmitarbeiter, ihre Mutter afrokaribischer Herkunft und mehr an gesellschaftlichem Wandel denn an eigenem sozialen Aufstieg interessiert – auch wenn beides für sie schließlich Hand in Hand geht, doch von ihrer Kleinfamilie wegführt. Traceys Mutter setzt auf das Tanzen, seit jeher eine Möglichkeit für sozialen Aufstieg. Die Männer in der beschriebenen Kindheit glänzen entweder durch Abwesenheit oder schweigen über ihre Kinder aus anderen Beziehungen.

„Geistermänner“, heißt es an einer Stelle über die Haltung der männlichen Bezugsfiguren. Der Vater der Ich-Erzählerin ist für sie eine kleine Ausnahme, aber mit seiner Frau kann er nicht mithalten. Während sie sich via Fernkurs emanzipiert und politisch aktiv wird und schließlich ins Parlament einzieht, wird die Tochter erwachsen. In kurzen Kapiteln springt die Geschichte zwischen den Zeiten hin und her.

„Der Sankofa ist ein Vogel, der sich selbst über die Schulter schaut, etwa so.“ Sie drehte den schönen Kopf so weit nach hinten, wie es ging. „Er kommt aus Afrika. Er schaut zurück in die Vergangenheit und lernt aus dem, was früher war. Manche Menschen lernen das nie.“

Die weite Welt im Persönlichen erzählen

Zadie Smiths Romane handeln stets von sozialen Umständen und dem Einfluss von Erziehung und Kultur auf Beziehungen. Eine Wertung spart die Autorin dabei dezidiert aus. Was nie fehlt, ist ihr trockener Humor. Ihre Geschichten sind eindrucksvolle Charakterstudien, die entsprechend viele Beschreibungen in Szenen bedingen, die nicht unbedingt zum Fortschreiten der Handlung beitragen. In „Swing Time“ wird das besonders deutlich.

Die Romane von Zadie Smith

Robert Rotifer über „Zähne zeigen“: „Was Zadie Smith hervorragend einfängt, ist jenes eigenartig leere Gefühl der Disloziertheit, das alle Bewohner dieser planlos gewuchernten Stadt [London] zwangsläufig irgendwann empfinden müssen.“

Boris Jordan über „Von der Schönheit": “ Zadie Smith nimmt sich in der gleich lakonischen und humorvollen Art, wie die komplexen Charaktere von „White Teeth" ihren individuellen Katastrophen entgegen hetzen, hier einiger großen Themen an: Die Amoral der Moralischen, die Biederkeit der Fortschrittlichen, der Sexismus der aufgeklärten Bildungsbürger, die Fallen von Schönheit und Gelehrsamkeit, die Eindimensionalität der sich als Bosse wähnenden Männer und die emotionale Ausgleichs-Knochenarbeit der von ihnen in ihrer Rolle gehaltenen Frauen, die Suche nach schwarzer Identität und religiösen Sinnfindung, die Vergänglichkeit und Schalheit von Genie und Originalität, Geld und Ruhm, Kunst und Sex.“

Zita Bereuter über „London NW“: „Zadie Smith hat die Handlungsfäden so geschickt und raffiniert gelegt, dass die erst zum Schluss ganz miteinander verknüpft sind. Da möchte man kurz vor Begeisterung in die Hände klatschen um dann den Roman gleich nochmal zu lesen.“

Es ist großartig, wie Smith die Persönlichkeit der Mutter der Ich-Erzählerin darlegt; wie sie diese Frau bei Kinderparty-Einladungen hoffen lässt, einen Blick in mittelständisch eingerichtete Wohnungen zu erhaschen. Wie sie einen Gemeinschaftsgarten vor dem Wohnhaus anlegt und auf Lehm stößt, mit dem sich dafür prima mit allen Siedlungskindern am Balkon töpfern lässt. Wie sie mit der Faust auf Lehrertische haut und an Samstagen von ihrem Mann und ihrer Tochter „frei“ haben will, um sich in Bücher und Bildung zu versenken. “Meine Mutter dachte bereits politisch, lange bevor sie die Politik zum Beruf machte.“ Als Tochter rückt die Ich-Erzählerin ins Abseits, rebelliert mit vierzehn als Grufti –“Schwarze Gruftis waren selten, aber nicht völlig neu: Ich hatte ein paar in Camden herumlungern sehen, die ahmte ich jetzt nach, so gut ich konnte, puderte mir das Gesicht geisterweiß und schminkte mir die Lippen blutrot, ließ mir die Haare zu ansatzweisen Dreads verfilzen, sprühte lila Strähnen hinein“ –, studiert und wird die persönliche Assistenz eines weiblichen Popstars.

Leider: Die Story hakt

Und hier hakt es in diesem trotzdem tollen Roman: Zadie Smith eröffnet einen zweiten Erzählstrang, der den Kontinent wechselt und nach New York und nach Westafrika führt. Der Superstar, für den die Ich-Erzählerin arbeitet, will in einem Dorf ein Schulprojekt starten, in einem Land, das mit großer Wahrscheinlichkeit Gambia ist, aber von Zadie Smith nur indirekt verortet wird (Gambias größte Stadt Serekunda findet Erwähnung, die Exportware Cashews, die Drohung des Präsidenten gegenüber Homosexuellen und der Fluchtweg aus der früheren Diktatur durch die Sahara – Gambier waren im Vorjahr die größte Gruppe westafrikanischer Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa wollten und laut Vereinten Nationen leben 60% der auf 1,9 Millionen Menschen geschätzten Bevölkerung des Landes in Armut).

Als persönliche Assistentin wird die Ich-Erzählerin für das angedachte Hilfsprojekt mehrfach vor Ort abgestellt. Der gesamte Themenkomplex westliche Wohltätigkeit wird hier in kurzen Passagen angerissen: Die Schattenseiten westlicher Hilfsprojekte, das Versiegen des Geldes, die Korruptheit politischer Regime, Sugar Mummys und Adoptionen schwarzer Babys. Die schlichte Unmöglichkeit, Beziehungen auf Augenhöhe zu führen.

All das ist prinzipiell höchst spannend. Aber Zadie Smith bleibt in der Rolle ihrer Ich-Erzählerin und damit ganz klar außen vor. Mit der Intensität der Kindheits- und Jugenderzählung können die Westafrika-Eindrücke nicht mithalten. Die Episoden im unbenannten Land am afrikanischen Kontinent hätte Zadie Smith besser in ein eigenes, nächstes Buch gepackt. „Die Handlung war der Preis, den man für den Rhythmus zahlte“, heißt es an einer Stelle über Musicals. Diese Kritik trifft auch auf Zadie Smiths „Swing Time“ zu.

Nichtsdestotroz ist der Roman einer von 13 Titeln auf der Longlist für den Man Booker Prize 2017. Vergeben wird der begehrte Preis im Oktober. Ebenfalls auf der Longlist ist Arundhati Roys „Das Ministerium des äußersten Glücks“.

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