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Perfume Genius

Matador Rec

Bei Perfume Genius ist alles anders als erwartet

Das Wien-Gastspiel eines der talentiertesten Sänger und Songschreiber der USA.

Von Boris Jordan

Leise habe ich noch den Veranstaltern heimlich Hasenfüßigkeit unterstellt, weil sie die Perfume Genius Show nicht als „Arena Open Air“ gebucht und mich somit um diese landesweit unvergleichliche Konzertstimmung gebracht haben, die den Abenden von Patti Smith, TV on The Radio, National oder Belle&Sebastian noch zusätzlich zu einer Aura der Wärme und Leichtigkeit verholfen hatte... Hätte ich dies laut geäußert, müsste ich es zurück nehmen: Die Show war adäquat positioniert und durchgeführt.

Zum Wien-Gastspiel eines der talentiertesten Sänger und Songschreiber der USA und – neben Rufus Wainwright und Anohi - eines der Aushängeschilder der empfindsamen Gay Culture, hatten sich wohl weniger als 1000 Menschen eingefunden, jedenfalls weit weniger als die für eine ordentliche Arena Open Air Abwicklung benötigten 3000. So war auch der hintere Teil der großen Halle mit einem schwarzen Tuch verhängt, was dem Saal-Sound nicht geschadet hat.

Alles ist anders als erwartet. So hatten wir ermatteten, halbinformierten Feuilletonleser wohl etwas Klischee-Glamuröseres erwartet. Vielleicht eine Flitter-Effektbühne mit Nijinski-Footage hinter der Bühne, androgyne Kostüme und Camp-Referenzen in der Dekoration, dazu Plastikblumen, Federstolas, Lichterketten, Duftkerzen und Vanillenebel, einen Liberace-Entertainer.

Aber nichts. Die latent homophoben Dekorationsphantasien wurden durch ein strenges minimalistisches optisches Konzept entlarvt. Bis auf zwei Plastikblätter an den Mikrofonständern bot die Bühne eher die Kargheit einer Off-Probebühne. Dazu eine streng konzentrierte Band und einen gebieterischen Bandleader, der seine Show anfangs scheu, später mit burleskem Workout immer sexier werdend argwöhnisch danach abgrast, wo ihm der – ansonsten durchaus inherente und beabsichtigte – Kitsch entgleiten könnte.

Es scheint als hätte diese Musik - wieder eine Überraschung – die vordergründige Aufgabe, gerade die bekannten Fallen Elton John oder Anohi umschiffen zu wollen, will also weder eine reine akustische Intim-Identity-Kuschelmusik noch großer, kraftunterfütterter Melodieschleim mit Virtuosengesang sein. Stattdessen will sie sich immer ein Konzept der auch musikalischen Andersartigkeit und Rätselhaftigkeit bewahren. Wer möchte, kann das auch als Teil der Avantgarde sehen.

Am Ziel und doch nicht angekommen

Christian Lehner über „No Shape“, das aktuelle Album von Perfume Genius.

Kurz geht mir durch den Kopf, dass seine Musiker aus Italien stammen könnten. Okay, das ist nicht sehr originell, hat doch der Drummer die Hängetom in den italienischen Farben bemalt (was allerdings auch die von Ungarn oder Iran sein könnten). Wer öfter italienische Bands jeglicher Couleur gesehen hat, dem mag eine auffällige Abwesenheit von Rockismen aufgefallen sein, so als ob das musikalische Upbringing südlich des Brenners eher aus Reggae, Bongo Jams und Jazzmessen - beziehungsweise später dann aus den strengen Musikakademien der Cinecitta - bestünde. Also dem gegenteil des rockprobierenden: „Drei Akkorde - ein Takt - geht schon“. Eine Musik, die sich dem klassischen Songwriting nicht gerade verweigern, aber doch dieses möglichst umschiffen möchte, ist mit solchen Musikern optimal umzusetzen. Sie können Rock ohne Rockismen, Camp ohne Kitsch, theatralisches Schwelgen im reinen Gefühl, ohne dass etwas unten raus tropft.

Diese Kompetenz der Abwesenheit (die selbstverständlich nicht nur italienische MusikerInnen mitbringen) hilft dabei, die architektonische und konzeptionelle Natur dieser Musik zu unterstreichen und uns innerhalb dieser Pop-Epen mit winzigen Andeutungen sehr viele Musikuniversen außerhalb des Pop unterzureiben. Das ist so interessant und so durchtrieben detailreich verfolgt, dass man sich denken kann, er könnte jetzt auch „Tiny Dancer“ oder „Love of My Life“ spielen. Deren Kitschfalle könnte ihm nichts anhaben.

Perfume Genius in der Wiener Arena

Boris Jordan

Eine starke Anleihe nimmt Perfume Genius am inhaltlich völlig anders gelagerten Peter Gabriel, jenem aus der Zeit, als er das Weltmusik-Festival WOMAD aus der Taufe gehoben hatte und mit allen Mitteln daran arbeitete, Rockismen zu verschleifen, zu verändern oder zu vermeiden. Dazu war eine Verfremdung von Beats nötig, meist mit polyrhythmischem afrikanischen Drumming, das Ignorieren von klassischen Teilen des „Rock“ wie Strophenaufbau, Bridge oder Solo oder „Phonetische Steigerungen“ (also die zur Gewohnheit gewordenen Gewohnheit, den Refrain am Ende des Songs um eine Terz höher weiter zu singen). „Intruder“ oder „San Jacinto“ könnte man sich gut als Perfume Genius Songs vorstellen.

Gestern klang eine Nummer wie eine sehr verlangsamte Tarantella, bei einer anderen wurden african drums mit einem Computergenerierten Hall- Rockabilly a la Alan Vega gemischt, was mit den verhallten hohen Schreien des Meisters und den Verbiegungen seines zarten, dürren Körpers kurz ein sehr orgiastisches Bild ergab, der sexieste Moment des Konzerts. Manche Build Ups und Melodiebögen erinnerten an ästhetisch-konzeptionelle Inseln, wie die im Süden Europas so beliebte Band Oregon (deren Chef Ralph Towner wohl auch wegen der Beliebtheit seiner Musik nach Rom gezogen ist) oder dem prä-computer Vertreter der niedlichen Seriellen Musik, Simon Jeffries, der in seinem Penguin Cafe Orchestra sämtliche für Rockmusik untaugliche Klangquellen wie Spinett, Laute, Oboe, Zither, Schalmei, Schellenbaum (selber) in den Vordergrund gespielt hat. Selbstverständlich auch mit dabei: Camp Vorbilder Eno, Anohi und Thaemlitz.

Perfume Genius addiert dazu den leicht hinkenden ¾-Takt, wie wir ihn schon bei den seligen Parenthetical Girls (denen er einiges verdankt) lieben gelernt hatten, und eine manieristische Modulation, die an logischen Steigerungsstellen mittels Phrasierung und 30 Sekunden Hall die Luft raus nimmt. Manche Songs werden geduldig an einen Groove heran geführt, sobald man mitswingt enden sie abrupt. Nicht wenige Menschen (vielleicht der Genius selbst) wünschen sich, dass die künstlerische Partnerin in Crime, Soap&Skin vielleicht bei einer Nummer mitspielt, aber die ist nirgendwo zu sehen.

Wie bestellt spielt Perfume Genius seine Version von Big Stars „Kangaroo“, als Zugabe seinen Hit, Saallicht.

Wir werden in eine frühherbstlich wirkende Nacht entlassen. Das Gefühl, zugleich vom warmen Wasser eines parfümschwelenden Serail und der konzentrierten Lektion in Avantgarde umflutet zu sein, endet in Kühle. Das ist keine Überraschung, das ist die Realität – zugleich einen Fluchtweg aus ihr und eine Heimat in ihr sucht der Perfume Genius. Und er findet uns am Weg dorthin. Hoffentlich noch lange.

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