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War on Drugs

Shawn Brackbill

Mit allen Pauken durch die Nacht

Nichts für schwache Nerven: Der Musiker Adam Granduciel holt mit dem neuen Album seines Projekts The War on Drugs das ganze Schmalz aus der Tube. „A Deeper Understanding“ - eine Platte des Jahres.

von Philipp L’heritier

Adam Granduciel glückt mit seinem neuen, vierten Album das ganz große Verschmelzen von Form und Inhalt. Alles hier ist ein Schmelzen. Ein Fließen und Gleiten.

Der aus Philadelphia stammende Musiker hat mit seinem Projekt The War on Drugs aus einfach und klar zu identifizierenden Sound-Quellen und Entwürfen ein eigenes, aktuell relativ alleine dastehendes Design angeschichtet.

Seinem Freund und ehemaligen Kollegen Kurt Vile ist Adam Granduciel nicht bloß frisurentechnisch verwandt: Wie Vile stützt sich auch er offensiv auf das Werk klassischer Songwriter wie Bob Dylan, Neil Young, Tom Petty und – vor allen Dingen – Bruce Springsteen.

War on Drugs - A Deepter Understanding Plattencover

Warner Music

The War on Drugs - „A Deeper Understanding“ ist bei Warner Music erschienen.

Die traditionelle Schule des krächzend-nuschelnden Erzählsingsangs spannt Adam Granduciel über ein üppiges, vielstimmiges Orchester aus vielen, vielen Gitarren, Orgelwahnsinn, Tape-Effekten und – wichtig – oft einen unbeirrt vorwätsreitenden, minimalistischen Drum-Beat, der gut vom wegweisenden, sogenannten Motorik-Beat des deutschen Krautrock der 70er-Jahre abgehört ist.

Der Motorik-Beat wird vornehmlich mit der Düsseldorfer Band Neu! in Verbindung gebracht, die Kombination, die Granduciel mit The War on Drugs betreibt, hat er sich auch als neu ausgedacht.

Damit ist mit dem dritten Album „Lost in the Dream“ 2014 ein mittelgroßer Durchbruch gelungen. Gerade ist unter dem Titel „A Deeper Understanding“ die neue Platte von The War on Drugs erschienen, sie formuliert den gut erprobten Entwurf genauer und größer aus.

Alles mehr und größer

The War on Drugs ist keine Band, die sich neuerfindet. Hier wird jetzt monumentaler gedacht, detailreicher geschraubt, siebendimensional ausproduziert.

Wie schon bei „Lost in the Dream“ ist auf dem Cover zu „A Deeper Understanding“ Adam Granduciel zu sehen, wie er alleine im Dunkel sitzt. Adam Granduciel ist The War on Drugs, er ist der Chef.

Zwar hat er auch auf „A Deeper Understanding“ die Hälfte der Instrumente gespielt und die Platte produziert – gleichzeitig ist The War on Drugs aber auch mehr Band geworden. Neben Granduciel gehören aktuell recht stabil fünf weitere Musiker zur Besetzung. Gitarren, Gitarren, Drums, hundert Keyboards, Bass, zwei sogenannte Multi-Instrumentalisten.

Diese Band läuft diesmal noch schöner geölt als auf dem Vorgänger „Lost in the Dream“. Weiter, weiter, geschmeidig. Aber auch: mehr, mehr. Mehr Schichten, mehr Spuren, Adam Granduciel drückt die gute Tube Schmalz in alle Kanäle. Das Zusammenspiel glänzt und glüht.

Weich fließen neue Motive in die Songs und faden wieder aus. Ungefähr fünf Gitarren-Soli pro Stück meint man hier gehört zu haben. Saxofon, Mundharmonika, Glockenspiel, diesmal noch mehr Synthesizer, teils Elektronik, kosmisches Zwitschern und Summen, wie etwa im Stück „Holding On“, das der sogenannten „Berliner Schule“ des Krautrock, Gruppen wie Tangerine Dream oder Ash Ra Tempel entlehnt scheint.

Es geschieht viel, dabei ist The War on Drugs nicht an Brüchen oder großer Zerrüttung interessiert. Auch selten am üblichen Schema Strophe/Refrain. Es geht ums Nachvorneschaukeln, auch wenn bombastisch ausgekleidet und mit Gitarren-Eruptionen geladen, es geht um die samtene Weiterbewegung.

Man muss immer weiter durchbrechen

Das erste Stück auf „A Deeper Understanding“ nennt sich „Up all Night“. Das ist das Thema von The War on Drugs, ein weites natürlich: die Rastlosigkeit. Die ewige melancholische Suche, die Abfahrt und die endlose Reise. Bloß wohin? Was ist das Ziel, was ist der Zweck? Bei The War on Drugs ist es dann eben doch der Weg.

„I’m stepping out into the world, I’m stepping out into the light, yeah“, heißt es in „Up all Night“. Solche „Yeah!"s stößt Adam Granduciel gerne aus, es darf auch ein "Whoo!“ sein, er befeuert sich selbst, er stößt den Druck aus, mit explodierendem Herzen – manchmal muss man sich Mut machen, damit es weitergehen kann.

In seiner Musik beschwört Granduciel die Momente, in denen sich die Leidenschaft und die Angst und die Selbstzweifel näher kommen. Auch in dem Stück „In Chains“ werden die Worte „Up All Night“ gesungen. Adam Granduciel muss die Ketten sprengen, in tiefer Nacht das Leuchten suchen.

Out of the Dark

Adam Granduciel ist kein großer Geschichtenerzähler. Orte, Personen formuliert er nicht genau aus. Vielmehr arbeitet er mit losen Bildern, Atmosphären, Eindrücken. Stimmungen, die assoziativ verstanden werden können.

Der Song „Thinking of a Place“ war das erste Stück, das von der Platte vor Album-Release veröffentlicht worden ist. Man könnte den Song eine „Single“ nennen – er dauert 11 Minuten. Schon Symbol dafür, dass man sich hier nicht zurückhalten lassen muss. Die Stücke sind im Schnitt sieben Minuten lang. Adam Granduciel sehnt sich also an einen Ort und benennt ihn nicht.

Der letzte Song auf „A Deeper Understanding“ erzählt noch einmal vom Weggehen, vom Abschiednehmen, aber einem, das man nicht gerade gerne begrüßt. Auch die anderen wollen manchmal aufbrechen: „Sometimes all you wanna do, is run away“, singt Adam Granduciel da.

Nur richtig heißt das Lied „You don’t have to go“. Die Mundharmonika bläst. Granduciel singt vom Wind, der ihm die Liebe davonbläst.

Er spürt die Veränderung, er hört die fahrenden Züge. „I want to make you stay“, haucht er, unter leisem Schmerz. Auch wenn auf den weiten Wegen von „A Deeper Understanding“ freilich nicht die eine einzige tiefe Wahrheit gefunden worden ist, bloß vage Ahnungen, kurze Lichtblitze der Begreifens – „I want to make you stay“ – das können wir verstehen.

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