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EMA

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Interview

Exile In The Outer Ring

EMA im Interview über die Weiße Wut des Mittleren Westens, über ihr neues Album „Exile In The Outer Ring“ und warum ein neues Amerika möglich ist.

Von Christian Lehner

Der Hüftschwung von Elvis, die Worte von Bob Dylan, das Selbstverständnis von Madonna und die Raps von Public Enemy waren nicht nur Bestandsaufnahmen der jeweiligen Gegenwart, sondern immer auch Versprechen einer Zukunft. Heute scheint es, als hätte Popmusik seine prophetischen Qualitäten verloren, sie wirkt im besten Fall wie eine Nachbetrachtung. Ob Trump-Wahl oder Black Lives Matter, Wirtschafts- oder Flüchtlingskrise, entweder bleibt Pop stumm, oder reagiert erst mit gehöriger Verspätung auf gesellschaftspolitische Entwicklungen. Ausnahmen wie M.I.A. , Kendrik Lamar oder TV on the Radio können nicht über den Verlust dieser seismographischen Dimension von Pop hinwegtäuschen.

In diesem Zusammenhang wirkt das neue Album von Erika M. Anderson, die als Künstlerin unter dem Namen EMA auftritt, wie ein blühender Baum in der Wüste. Lange vor der Nominierung Donald Trumps geschrieben, fühlte EMA der Weißen Wut des US-Heartlands auf den Zahn, bevor dieser so richtig zu schmerzen begann. Aber „Exile In The Outer Ring“ errichtet aus den Industrial- Noise- und Wave-Ruinen auch eine dunkle Utopie, die möglicherweise eines Tages hell erstrahlen könnte.

Welche Themen behandelst du auf „Exile In The Outer Ring“?

EMA: Es ist ein sehr persönliches Album. Es geht in erster Linie um mich: Wie ich mich fühle, was ich denke, Dinge aus der Vergangenheit und Gegenwart. Es geht aber auch um das, was sich gerade in den USA abspielt - politisch und gesellschaftlich.

Seit seiner Wahl zum US-Präsidenten singen und ätzen viele Popmusiker über Trump. Vorher brachte kaum jemand den Mund auf. Bei dir war das etwas anders.

Das Album war bereits vor der Präsidentschaftswahl fertig. Ich habe alle Songs noch vor der Bekanntgabe seiner Kandidatur geschrieben. Ich glaube, ich hatte einfach einen guten Riecher. Es lag schon länger etwas in der Luft. Dass es dann aber so schlimm kommen würde, konnte ich natürlich nicht ahnen. Ich wurde von Trumps Wahl genau so überrumpelt wie viele andere auch.

Was hat dich an der Thematik interessiert?

Die weiße Wut. Die Menschen außerhalb der Küstenstädte und liberalen Blasen, auf denen kein Spotlight liegt, die haben mich interessiert. Ich komme selbst aus dem Mittleren Westen und diese Themen beschäftigen mich seit meinem Debütalbum „Past Life Martyred Saints“ und dem Vorgängerprojekt Gowns (Album „Red State“, Anm.). Ich warne meine Freunde in L.A. und Portland, wo ich gerade lebe, schon länger: Hey, da braut sich was zusammen! Aber das war allen immer eher egal. Man hat sich nie um das rurale Amerika gekümmert, weil man von dort immer nur weg wollte.

EMA

Christian Lehner

Erika M. Anderson a.k.a. EMA beim FM4-Interview in Berlin

Warum hast du so einen starken Bezug zu diesen Menschen?

Ich stamme nicht nur von dort, ich kann den Frust und Ärger auch ganz gut nachvollziehen, weil ich ihn selbst erlebt habe – durch andere, aber auch in mir selbst. Diese Menschen hassen nichts mehr als den arroganten Blick des liberalen Amerika. Sie haben nichts außer ihren Stolz. Das ist der Grund, warum sie bei der Präsidentschaftswahl gegen ihre eigenen Interessen gestimmt haben. Mir ist es wichtig, ihnen zu sagen: Ich verstehe eure Wut, ich kenne eure Armut, ich weiß, wie pissed-off ihr seid, verdammt ich bin eine von euch, aber es gibt andere Wege als den Hass; man muss deswegen kein intolerantes und bigottes Arschloch werden. Eine weitere Quelle des Frusts sind die neuen kulturellen und ökonomischen Konzepte, die es von den Küsten ins Landesinnere spült, Konzepte, die als bedrohlich für die eigen Lebenskultur empfunden werden – von der Digitalisierung bis zu queeren Lebensweisen, von umweltschonenden Energien bis zu nachhaltiger Ernährung.

Die einfache, aber unmögliche Frage: Wie diese Gräben überwinden?

Das frage ich mich sehr oft. Es wird auf alle Fälle eine Menge Anstrengungen brauchen, auf beiden Seiten, und man muss wohl auch ein Stück weit aufeinander zugehen und eine Menge Vorurteile überdenken. Es ist ein Kampf, um das Herz Amerikas. Wie soll es schlagen? Mein Amerika, auf das ich stolz bin, ist ein Amerika, das traditionell von Immigranten geschaffen wurde, ein Labor und Schmelztiegel der Kulturen, Lebensarten und Technologien.

EMA

City Slang

„Exile In The Outer Ring“ von EMA ist auf City Slang erschienen.

Das Albumcover zeigt eine ausgewaschene American Flag. Die Symbolik ist wohl eindeutig?

Die Flagge gehört Jacob Portrait vom Unknown Mortal Orchestra. Er hat das neue Album co-produziert. Sie hing in seinem Studio und ich wollte sie sofort für das Cover haben. Die Flagge ist weißgewaschen. Die ganze Farbe ist raus. Ich glaube, ein Blinder könnte die Symbolik deuten.

Du kommst aus einer Stadt in South Dakota. Wie war es für dich, dort aufzuwachsen?

Sioux Falls ist mit knapp 180.000 Einwohnern zwar die größte Stadt South Dakotas, trotzdem ist es ein monokultureller Ort im Nirgendwo. Es gibt – wie fast überall in den USA – eine kleine Punkszene. Man macht also sein Do-It-Yourself-Ding, hängt aber hauptsächlich frustriert rum und will fort.

Und South Dakota?

Liegt in der Mitte vom Nirgendwo. Darüber das Nirgendwo namens North Dakota und dann Kanada. Alles ist flach. Die „Great Plains“ lassen einen meilenweit sehen, aber man sieht nichts außer Kornfelder und diesen gigantischen Himmel. Die Witterung ist harsch, der Winter übel. Man hat das Gefühl, die Natur toleriert einen gerade so. Man stellt die menschliche Existenz in Frage: Was wollen wir eigentlich hier? Hier sollte man gar nicht leben.

Wer sich jetzt noch nicht vorstellen kann, wie das dort ist, soll sich einfach den Kinofilm und die TV-Serie „Fargo“ vorstellen - richtig?

Ich habe unlängst mit der zweiten Staffel begonnen und es war für mich richtig creepy. Die Serie spielt unter anderem in der Stadt Luverne zu Beginn der achtziger Jahre. Meine Mom lebte damals dort und war in etwa so alt wie die weibliche Hauptfigur, die von Kirsten Dunst verkörpert wird. Und jetzt kommt’s: Mein Dad hatte damals, so wie der Ehemann dieser Hauptfigur, in einer Fleischhauerei gearbeitet. Verrückter Zufall! Immer, wenn ich mit meiner Mutter telefoniere, spreche ich wie die Charaktere in „Fargo“: Jaaaaa! Okayyyyyy! Ohhhhhh! Das ist das Erbe der deutschen und skandinavischen Vorfahren, die dort die Besiedelung dominierten.

In den Songs auf „Exile In The Outer Ring“ besingst du häufig einen Archetypen, den sogenannten „Dirt- oder Scumbag Boy“. Wer oder was ist das?

Ich bin mit ihnen aufgewachsen. Heute würde man sie wohl als „abgehängt“ bezeichnen. Sie sind jung, männlich, perspektivenlos und aggressiv. Ein Aspekt des Albums ist, wie man als Frau mit diesen Scheißkerlen klarkommen kann. Ich hatte damals den Eindruck, dass sie all die rassistischen und sexistischen Dinge bloß sagten, weil sie provozieren wollten. Mittlerweile ist es die offizielle Politik des Landes. Die Erfahrung hatte aber auch etwas Gutes: Ich habe früh gelernt, mich zu behaupten und durchzusetzen.

Warum warst du überhaupt mit diesen Scumbag Boys unterwegs?

Es gab sonst niemanden, der meine musikalischen Vorlieben teilte, vor allem keine gleichaltrigen Mädchen. Ich war eine sehr zornige 12-Jährige, die mit Charles Bukowski und Guns N‘ Roses aufgewachsen ist, wo auf Plattencovers Frauen von Robotern vergewaltigt werden. Ich habe das alles absorbiert und mich gefragt, warum es keine feministische Role-Models für diesen Nihilismus und diese Wut gibt. Also habe ich mein eigenes Ding entwickelt. Ich war von dieser Kultur gleichermaßen fasziniert wie angewidert. Es waren sehr viele Drogen und Gewalt im Spiel. Ich frage mich noch heute, wie ich aus manchen Situationen wieder rausgekommen bin. Eine Motivation für mich war zu zeigen, dass ich stärker bin als diese Typen und dass ich mich von ihnen nicht unterkriegen lasse.

Ein Song, der diesen Double-Bind auf den Punkt bringt, ist „I Wanna Destroy“. Das könnte von einem Scumbag Boy stammen, aber auch von jemanden, der sie überwinden möchte.

Es war einer der ersten Songs, den ich für das Album geschrieben habe. Es ist ein Mantra, das jegliches Bewusstsein ausschaltet und auf den Kern eines Gefühls fokussiert. Wichtig war war mir der verhaltene Vortrag. Du sitzt alleine in deinem Zimmer, nichts geht mehr, alle Gedanken implodieren und bist kurz vor dem Durchdrehen. Dieser Moment.

Die erste Single heißt „Aryan Nation“, benannt nach der berüchtigten Neonazi-Gang, die sich im Gefängnissystem der USA eingenistet hat.

Auf die Idee bin ich gekommen, als ich einen alten Bekannten getroffen habe, der lange im Gefängnis gesessen hat. Ich habe mich gefragt, ober er der „Aryan Nation“ beitreten musste, denn die prison gangs in den USA rekrutieren ihre Mitglieder entlang ethnischer Kriterien. Wenn man länger einsitzt, hat man fast keine andere Wahl. Wie im Ghetto der Großstadt gibt es auch in den zerfallenden Städten des Mittleren Westens eine direkte Linie, die von Armut über Drogen hin zum Knast führt. Viele Leute aus meinem professionellen Umfeld haben mir abgeraten, den Song „Aryan Nation“ zu nennen. Nach der Wahl von Donald Trump haben sie aber verstanden, um was es geht.

Von dir weiß man, dass du ein Problem hast, wie Frauen im Pop gesehen werden. Im Song „Fire Water Air LSD“ heißt es etwa: „Between the babe and the crone is the queen, but I refuse to perform that“.

Was ich am meisten hasse an meinem Job ist, eine öffentliche Frau zu sein. Wenn ich könnte, würde ich das Geschlecht ganz rausnehmen - nicht aus dem Inhalt meiner Songs, aber so wie ich von der Popindustrie wahrgenommen, beschrieben oder fotografiert werde. Man kann diesen Stereotypen kaum entkommen. Ich habe aber überhaupt keine Lust darauf, das „Indie Babe“ zu spielen. Vor diesem Album meinten einige Manager, dass die Zeit für einen Imagewandel gekommen sei. Ich solle doch jetzt „Pop“ machen, was immer das auch bedeuten mag. So etwas bringt mich auf die Palme!

Für das Schreiben des neuen Albums hast du dich in einen Keller an den Stadtrand von Portland zurückgezogen.

Ja, das stimmt und ich habe dort sehr interessante Entdeckungen gemacht. Auch davon handelt das Album, denn der „Outer Ring“ ist nicht nur eine Metapher für das Außenseitertum, sondern ein realer Ort in den Großstädten der USA. Es ist der Ring zwischen dem Stadtgebiet und der Vorstadt. Er ist weit genug vom Zentrum entfernt, um nicht von der Gentrifikation gefressen zu werden, aber auch ziemlich unwirtlich und gefährlich. Derzeit brodelt es dort so richtig.

Was hast du beobachtet?

Es ist wie die Stelle, wo der Fluß ins Meer mündet und sich alles mischt. Hier treffen die „Scumbag Boys“, die am Land keine Arbeit mehr finden, auf klassische Immigranten, aber auch auf die verarmende Mittelschicht der Großstädte und Künstler, die mit Wuchermieten aus den Zentren vertrieben wurden. Momentan wirkt dieser Ort zwar eher wie eine Dystopie, aber er hat das Potential zur Utopie. Wenn all diese unterschiedlichen Gruppen es schaffen, eine gemeinsame Vision für ein Zusammenleben zu entwickeln, dann sehe ich auch eine Chance für den Rest des Landes. Das sage ich jetzt als unverbesserliche Nihilistin.

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