FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Mann mit ergrauenden Haaren und Bart

Columbia-Sony

Der triumphale Kater

Es ist wahr: „American Dream“ von James Murphys LCD Soundsystem ist eine dunkle Platte, die strahlt. Eine Comeback-Platte für den Abschied und den Neubeginn.

Von Philipp L’heritier

Der „American Dream“ – es ist schon abgedroschen über die Abgeschroschenheit der Phrase zu sprechen. Man kann diese Worte nur mit Zynismus im Ton sprechen.

Das Comeback-Album des LCD Soundsystem nennt sich „American Dream“. Das dazugehörige Albumcover zeigt in betont schlichtem Layout einen blauen Himmel mit Wölkchen und strahlender Sonne, darüber zu lesen, in schnörkelloser Schrift: LCD SOUNDSYSTEM AMERICAN DREAM. Und immer wieder geht die Sonne auf.

Nach der Auflösung des LCD Soundsystem im Jahr 2011 mit gigantomanischem Tamtam und bodenloser Selbsverkultung ist dieses vierte Album des Projekts die wohl am schnellsten angekommene Reunion-Platte in der Geschichte der Musik.

James Murphy, zerstrubbelter Posterboy des New Yorks der Nuller-Jahre und Aushängeschild der Idee, die einst „Dancepunk“ oder „Discopunk“ genannt wurde, weiß das. Um die Erwartungshaltungen und den Druck wegzufegen, hat er eine Platte über den Einsturz und den Verfall gemacht und auf den Scherben einen pompösen Altar errichtet.

Wir waren dabei

Murphy hat mit seinem LCD Soundsystem die Ironie und den Zynismus immer auch gegen sich selbst gerichtet. Dabei aber auch ernst gemeint. Schon in seinem ersten Stück, dem 2002 erschienenen Song „Losing My Edge“, dessen Titel längst schon zum geflügelten Wort geworden ist.

Hier begibt sich Murphy in die Rolle des alternden Hipsters, der Angst vorm Verblassen seiner Coolness hat und versucht, sich letzte Selbstvergewisserung zu verschaffen, indem er all die wichtigen, wegweisenden Bands und Events herunterbetet, die er in seinem Leben schon so gesehen hat. Vor allen anderen, von Krautrock über Postpunk und Disco bis Dub.

Der American Dream ist zerbröselt und unerreichbar, man wird älter, die Chancen sind vergeben, so singt James Murphy schon im Titeltrack des Albums, der glühenden Wehmutsballade, einem der besten Stücke im Werk des LCD Soundsystem. Leise pocht da aber noch der kleine Glaube an ein Weitermachen, das vielleicht noch ein bisschen Glück bringen kann.

„American Dream“ ist der Tanz auf den Ruinen, eine Platte über Trennung und das Zerbrechen, über Abschied und den bösen Entzug. Nicht bloß von Drogen im Wortsinne. Es ist die kälteste Platte, die James Murphy bislang gemacht hat. Es ist aber auch eine Platte von der Möglichkeit des Neubeginns.

Mastermind mit Neurosen

Das LCD Soundsystem ist zwar mittlerweile eine recht stabile, achtköpfige Band und vor allen Dingen live eine wahnsinnig ineinandergreifende Maschinerie, ein perfekt verzahntes Synthesizer- und Rhythmus-Orchester – im Studio ist das LCD Soundsystem aber nach wie vor James Murphy.

Auf „American Dream“ hat Gitarrist Al Doyle einiges beigetragen, Nancy Whang und Synthesizer-Prinz Gavin Russom und der eine oder andere tauchen da und dort auf, den überragenden Großteil der Platte hat wie gewohnt Murphy eingespielt, erfunden und mit manischer Akribie ausproduziert.

Er ist der Egomane und der Kontrollfreak. Die Geschichten von den Neurosen und die privaten Macken und Ängste übersetzt er hier wieder in eine schlichte, allgemeingültige, dabei nie banale Sprache. Die Musik und der Sound sind triumphaler Größenwahn, es blubbert und ächzt obszön aus jeder Pore – selbst wenn ein Track einmal minimalistisch gebaut sein sollte.

Referenzmaschine mit Bonus

James Murphy hat die Musik für „American Dream“ wieder aus dem bekannten, mit Absicht eng gesteckten Soundreservoir gezapft: Postpunk, No Wave, Artpop aus den mittleren bis späten 70er-Jahren, den frühen 80ern. Die Arbeiten von Brian Eno, solo oder als Produzent für andere, insbesondere wieder einmal David Bowie, im Speziellen der Bowie der Berlin-Trilogie mit den Platten „Low“, „Heroes“ und „Lodger“. Die Talking Heads. Die hat auch Brian Eno produziert.

Albumcover von LCD Soundsystem - "American Dream"

Columbia-Sony

Hier liegt eine Stärke von Murphy: die kaum verschleierte Ausweisung der Quellen und die Umdeutung der Codes hinein in ein eigenes Universum, die Überlagerung des tiefst Intimen mit dem Universellen.

Schon im Eröffnungsstück „Oh Baby“ grüßen alte Bekannte und Helden von James Murphy: das New Yorker Duo Suicide. Suicide haben Ende der 70er den Geist von Punk als komplett zerfickte, vom Heroin zerstörte, arg spartanische Schrottplatz-Elektronik interpretiert.

Aus dieser Vorlage strickt Murphy ein bittersüßes Lullaby, ein Lied über die Liebe, die kaputtgegangen ist, im Kopf Murphys mag da die eigene Scheidung herumspuken. Er will doch bloß sein Baby im Arm halten, jedoch, so singt Murphy: „There’s always a side door into the dark.“

Krampf in der Psyche

Die Stücke „Other Voices“ und „Change Yr. Mind“ stützen sich deutlich auf den nervös polyrhythmisch geladenen Kunstfunk des 1980 erschienenen Albums „Remain in Light“ der Talking Heads. Führen ihn auf den Dancefloor und erzählen vom Brennen und den Schmerzen im Gemüt. Es sind Krämpfe.

In „Other Voices“ sind es die anderen Stimmen, die uns immer dazu anhalten, die schlechten Entscheidungen zu treffen. Schlecht für die Beziehung, die Gesundheit, für Körper und Geist. Es geht jedoch auch anders, „I feel you slipping away“, heißt es in „Change Yr. Mind“. Man kann ja abhauen oder zurückkehren, sein Leben und die Meinung ändern, in alle Richtungen. Oder als Band ein Comeback starten - diese Selbstreferenz ist in dem Stück aber bloß als Fußnote mitzulesen.

Neben dem Song „Change Yr. Mind“ ist wohl bloß der metallene Noiserocker „Emotional Haircut“ – Thema: alternder Typ verliert den Anschluss – das einzige Stück, das auf „American Dream“ gerade noch so irgendwie als klassischer „Singlehit“ durchgehen kann.

Aber LCD Soundsystem „don’t do hits“, wie sie in ihrem Song „You wanted a Hit“ vom 2010 erschienenen Abschiedsalbum „This is Happening“ schon gesungen haben. Mit den Stücken „Daft Punk is Playing at my House“, „North American Scum“ und „Drunk Girls“ hat es auf den ersten drei Platten dann jeweils doch eine knackige Zugeständnis-Nummer für die Hitparaden gegeben – das hat Murphy nicht mehr nötig.

Ein dunkler Strom

Die zehn Stücke auf „American Dream“ sind gerne sieben Minuten lang, einmal auch neun, einmal zwölf. Das Schema Strophe/Refrain interessiert auch nicht so sehr und es ist alles sehr gut so wie es ist. Diese Platte erwacht langsam zum Leben.

Der Song „I used to“ ist ein katzenhaft durch die Nacht schaukelndes Stück Todes-Disco, in Anlehnung an Iggy Pops „Nightclubbing“ – hat seinerzeit David Bowie produziert. Die Nummer „Tonite“ schichtet und schichtet sich mühelos zu einem elastischen Pop-Housetrack auf, Murphy singt wie so oft, sich selbst halb augenzwinkernd metabespiegelnd, vom Älterwerden: “I never realized that these artists thought so much about dying.”

In der Mitte der Platte steht ein anthrazitfarbener Monolith in der Eiswüste: das neunminütige Stück „How Do You Sleep“. Das Stück lässt sich Zeit. Anspannung, Selbstzweifel, Zermürbung, beunruhigend quietschen die Geigen. Ein Drum-Design, das Höhepunkt um Höhepunkt aneinanderschneidet.

Es ist ein Lied wie giftiger Schweiß. James Murphy singt von zerrissener Freundschaft, vom Hintergehen, vom Betrug und vom Kokain. Der einstige Freund sucht den Weg des Verrats, er geht dorthin „where there’s more for you“. Und: „One step forward, and six steps back“, heißt es in „How do you sleep“ wiederholt.

Am Ende wird es noch einmal ganz schwarz. In der monoton pulsierenden 12-minütigen Abschlussnummer „Black Screen“ begibt sich James Murphy in die Rolle einer Person, die die Schuldgefühle plagen.

Er singt zu einem unweigerlich verlorenen Freund: „Couldn’t make your wedding day“, und: „I owe you dinner, man“. Gerüchteweise ist dieses Stück David Bowie gewidmet: „You could be anywhere on the black screen“. James Murphy sieht die Satelliten und die Sterne, es gibt noch ein Leuchten da draußen. Wir haben Angst und wir sind frei.

mehr Musik:

Aktuell: