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George Clooney

Tiziana FABI / AFP

Filmfestspiele Venedig

Schrader und Clooney - The Resurrection of the New and the Alter Hollywood

George Clooney hat am ersten Festivalwochenende mit seiner schwarzen Krimi-Komödie „Suburbicon“ ein Mission Statement des liberalen Hollywood gesetzt. Altvordere Stars und Demokraten wie Jane Fonda und Robert Redford hatten sich schon am Freitagabend den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk abgeholt.

Von Petra Erdmann

Der Lido ist nicht weit von der Vorstadtidylle entfernt. Da wohnt, vom Tourismustrubel des gegenüberliegenden Markusplatzes abgewandt, der mondäne Charme vieler Norditaliener. In den Sommervillen mit verblichenem Schick verbringen sie ihren ruhigen Spätsommer. In geometrisch gereihten Badekabinen scheint die Zeit still zu stehen. Keine Nordafrikaner verstellen die Sicht auf den Strand. Niemand bietet hier raubkopierte Gucci-Taschen feil wie im dunklen Labyrinth der Lagune von Venedig. Parallelen zwischen der Leinwand und der Realität festzumachen, fällt heuer gar nicht schwer. Sie sind auch nicht rein zufällig oft in gated communities angesiedelt

Strandkabinen in Venedig

Petra Erdmann

Mit seinem Wettbewerbsbeitrag blickt Regisseur George Clooney auf den fiktiven Ort „Suburbicon“ im Jahr 1958. Das Städtchen könnte heute ohne große cineastische Hintergedanken Charlottesville heißen. Offener und mörderischer Rassismus hat in der Ära Trump wieder Hochkonjunktur. Clooney hat sich für seine sechste Kino-Regiearbeit von einem wahren, aber länger zurückliegenden, Angriff inspirieren lassen. 1957 versuchten die ausschließlich weißen Nachbarn in Levitton, Pennsylvania die einzige afroamerikanische Familie Myers gewaltsam aus ihrem Haus zu ekeln.

Manikürte Rasenflächen und ihre engstirnigen Bewohner Matt Damon und Julianne Moore sind hinter dieser eskalierenden rassistischen Gewalt-Kulisse derweilen in einen ganz anderen Mordfall verwickelt. Sie haben ihre im Rollstuhl sitzende Ehefrau und Schwester umbringen lassen, um dann mit der Lebensversicherung durchzubrennen.

Screenshot aus Suburbicon

Paramount Pictures

„Suburbicon“

„Ich glaube, es ist gerade ein guter Zeitpunkt, Filme über Mauern und Minderheiten als Sündenböcke zu machen“, so Clooney, der heute, Samstag, eine Pressekonferenz gegeben hat. „Wir dachten, wir könnten einen etwas weniger lustigen, aber dafür einen umso wütenderen Film machen“. Soviel zur These, die wenig funktioniert . Der komödiantische Drive in „Suburbicon“ lahmt und steht da eher allein gelassen da. Vielleicht auch, weil Clooney für den Krimikomödien-Strang ein Drehbuch der Coen-Brüder verwurstet hat. Das Skript war (aus gutem Grund?) seit den 8oer-Jahren in der Schublade gelegen.

Nach „The Monuments Men“ (2014) hat Clooney am Regiestuhl auch seine neueste Komödie mit hehrer (historisch-)politischer Absicht und einem Top-Cast versemmelt.

Die Ära „Trump“ spiegelt sich in Venedig also weiter unübersehbar im US-Kino der Gegenwart. Guillermo del Toro hat sein großartiges Fantasy-Märchen „The Shape of Water“ im Kalten Krieg 1962 angesiedelt, um zu zeigen, dass die sadistische Skepsis gegenüber dem Fremden im aktuellen Amerika wieder groß ist. Am konsequentesten hat das bisher Regisseur und Drehbuchautor („Taxi Driver“) Paul Schrader klar gemacht.

Filmstill aus First REformed

Paul Schrader

„First Reformed“

In „First Reformed“ geht Toller (Ethan Hawke) aus Schuldgefühl, seinen gefallenen Sohn in den Irakkrieg geschickt zu haben, in die spirituelle Selbstzerfleischung. Als Toller in seinem neuen Leben als Pastor einen werdenden Vater und Öko-Terroristen nicht vor dem Selbstmord retten kann, schnallt er sich selbst den Sprengstoffgürtel und den Stacheldraht um… weird, ernsthaft und Travis Bickle lässt grüßen.

Good “New Hollywood” doesn´t die

„First Reformed“ hat in seiner seltsam radikalen und kargen filmischen Form etwas von einem B-Movie und doch provoziert „New Hollywood“-Veteran Schrader eine reale, düstere Verstörung. Die Starbesetzung Ethan Hawke und Amanda Seyfried als schwangere Freundin des Selbstmörders heben an einer Stelle in einer Umarmung vom Boden ab. Das Paar schwebt für einen kurzen Moment in den Sternenhimmel.

Filmstill aus "Human Flow" - ein Flüchtlingsstrom

2017 Human Flow UG

„Human Flow“

Die Wettbewerbs-Dokumentation des chinesischen Vorzeige- und Jet-Set-Künstlers Ai Weiwei muss man mit „Auweia“ kommentieren. „Human Flow“ ist nämlich ein genauso schmerzvolles Klischee wie der engagierte Privilegierte.

Mit stets gebügelten, weißen Hemden hat Ai Weiwei den ganzen (!) Globus bereist. Ganz flüchtig, besucht er Flüchtlinge in den unmenschlichen Auffanglagern. Ai Weiwei will ihnen nahe kommen und den Zuschauerinnen nahe gehen. Da reicht scheinbar der dritte Kameraassistent die Taschentücher aus dem Off, wenn die Tränen nicht mehr aufhören zu fließen. Ein anderes Mal tauscht Ai Weiwei mit einem jungen, heimatlosen Mann den Pass und verrät, dass er ein Studio in Berlin hat. Alles nur Spiel. Ai Weiwei nimmt seinen Pass, wie auch den Scherz, umgehend und heftig zurück. Ob der Künstler und Regisseur wirklich so naiv ist oder sein Publikum dafür hält, ist die einzige Frage, die neben Berechnung offen bleibt. „Human Flow“ suggeriert, dass der Künstler mit seinem Iphone die globale Flüchtlingswelle ganz persönlich und ganz alleine eingefangen hat. Die High-Tech-Aufnahmen aus der Vogelperspektive von fliehenden Menschenströmen ergeben dazu schöne Muster auf der Leinwand. Eine tiefere Erkenntnisse zeichnet sich in „Human Flow“ nicht ab.

Filmstill ausl "Lean on Pete"

Scott Patrick Greene

„Lean on Pete“

Selbst bleibt einem die Einsicht, dass wenn man fünf Filme am Tag sieht, die besten noch tagelang nachhallen. Langsam aber sicher schmuggelt sich auch das Coming of Age Drama „Lean on Pete“ des Briten Andrew Haigh und Berlinale-Preisträgers von 2015 („45 years“) über einen jugendlichen Ausbrecher in meine Favoritenliste für den Goldenen Löwen.

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