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Alice Glass

Lucas David/Alice Glass

Der song zum sonntag

Hochglanz-Pop von der Sperrmüllhalde

Der Song zum Sonntag: Alice Glass - „White Lies“

von Philipp L’heritier

Die Crystal Castles waren und sind mit Absicht eine plakative Setzkasten-Band. Bei dem kanadischen Duo geht es um grelle Punkmusik für ein neues Jahrtausend, das jetzt auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Als Begleitung für die und Ausdruck der Teenage-Angst, für das Teenager-Zimmer.

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Digitaler Hardcore, betankt mit Emo-Rebellion und Goth-Weltschmerz. Musik für junge Menschen. Man braucht das. Hinter dem ganzen argen Gekreische und dem schrillen Soundmüll funkeln bei den Crystal Castels aber meistens auch die süßesten Popmelodien.

Was die Crystal Castels da so auf Tonträger (gibt es dieses Wort noch?) rotzen und kotzen, muss man sich nicht so oft anhören. Nutzt sich schnell ab. In der Live-Darbietung jedoch sind sie meistens eine Explosion, giftige Eruption von Energie. Stumpf, hart und laut. Wie wir leben wollen.

Während sich Produzent Ethan Kath auf der Bühne damit begnügt, bloß die Musik – nennen wir sie so – der Crystal Castles als komplette Karaoke- und Playback-Veranstaltungen von seinem Laptop abzufahren, das auch nicht verschleiert und so die dumpfen Diskussionen um den „Live-Charakter“ von elektronischen Live-Performances mit Punk-Nihilismus für obsolet erklärt, ist Sängerin und Frontfrau Alice Glass stets die rabiat-energische Frontfrau gewesen, die sich für Publikums-Konfrontation, Stagediving und Crowdsurfing nicht zu schade ist.

Die Crystal Castles haben sich zerrieben, sind ausgebrannt, wie es sich gehört. Alice Glass ist 2014 ausgestiegen, Ethan Kath macht mit der Sängerin Edith Frances weiter. Das Gleiche, bloß weniger spannend.

Alice Glass hat gerade ihrer erste Ep veröffentlicht, sie heißt: „Alice Glass“. Drauf zu hören: das Gleiche, bloß deutlich spannender. Der Song „White Lies“ ist so sehr Pop wie bislang wenig im Schaffen der Alice Glass gewesen ist. Es rappelt aber nach wie vor deftig im Karton, keine Angst. Es fiept und quietscht und scheppert. Gleich am Anfang der Songs steht böses Brutzeln und Knistern. Rauschen, System-Absturz, die Festplatte brennt durch.

„White Lies“ bedeutet so viel wie „Notlügen“. Ein gutes Thema, sie sind das ganze Leben. Wir reden uns gern ein, es seien ein bisschen unschuldige Lügen, keine bösen. Sie schützen den anderen, sie schützen uns. In zwischenmenschlichen Beziehungen und gefährlichen Liebschaften sind sie nützlich. Man versteht das alles aber natürlich nicht so ganz genau, was Alice Glass da in „White Lies“ so erzählt. Man versteht es aber.

Produziert hat sie das Stück mit Jupiter Keyes von den kalifornischen Noise-Avantgardisten HEALTH und Matt Rad, der beispielsweise schon mit One Direction, Demi Lovato und Boyz II Men gearbeitet hat. So klingt dieses Lied dann auch.

Gut zerschossener Industrial-Pop, verbogen und kaputtgehauen, dabei mit deutlichem R’n’B-Einschlag, Brausepulver-Aroma und Bubblegum-Melodie. Grimes winkt. Demnächst kommt dieser Sound im Mainstream an.

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