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Erich Möchel

EU-Copyrightnovelle fährt sich langsam, aber sicher fest

Die Abstimmung im federführenden Justizausschuss musste verschoben werden. Sechs Mitgliedsstaaten verlangen ein Rechtsgutachten, ob die geplante Vorab-Filterpflicht für alle Uploads in Soziale Netze mit EU-Recht überhaupt kompatibel sei.

Von Erich Möchel

Die umstrittene neue EU-Copyright-Richtlinie wird gerade in der Rechtsabteilung des Ministerrats geprüft. Belgien und fünf weitere Mitgliedsstaaten hatten ein Rechtsgutachten zur Frage beantragt, ob die geplante Installationspflicht von Upload-Filtern in Sozialen Netzwerken überhaupt mit EU-Recht kompatibel sei. Das geht aus einem aktuellen Leak der Bürgerrechtsorganisation Statewatch hervor.

Die für Ende September angesetzte Abstimmung im Rechtsausschuss des EU-Parlaments musste nicht nur aus diesem Grund verschoben werden. Wie verfahren diese Richtlinie zehn Monate nach ihrer Vorstellung durch den damaligen Digitalkommissar Günther Oettinger mittlerweile ist, zeigt ein weiteres, kurz davor geleaktes Dokument aus dem Ministerrat. Es stammt von der estnischen Ratspräsidentschaft und hat bei Beobachtern Verblüffung und heftige Kritik ausgelöst.

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Gemeinfrei

Mit der Beantwortung dieser Frage stehen und fallen nicht nur die Upload-Filter, sondern auch große Teile des Texts. Auch wenn das Leistungsschutzrecht überlebt, so wird es praktisch kaum umsetzbar sein, zumal die Upload-Filter den Zählmechanismus zur Abrechnung dieses angenommenen Leistungsschutzrechts darstellen.

Bruch von EU-Charta und Menschenrechtskonvention

Die Delegationen Belgiens, Finnlands, Irlands, der Niederlande, Tschechiens und Ungarns haben sich offenbar dem Tenor der Kritik angeschlossen, die den geplanten Artikel 13 zur verpflichtenden Installation von Filtersystemen als klaren Bruch der EU-Charta und der Deklaration der Menschenrechte sieht. Verstoßen werde möglicherweise nicht nur gegen Artikel 11 der Charta (freie Meinungsäußerung, Recht auf freie Information), sondern auch gegen Artikel 8 (Datenschutz) sowie Artikel 16 (Recht auf Ausübung eines Geschäfts).

Der im November 2016 veröffentlichte Richtlinienentwurf hat seit Frühjahr die damit befassten Ausschüsse passiert, um die umstrittensten Punkte, nämlich Upload-Filter und Leistungsschutz für Verleger, gab es ein großes Hin und Her. In einem Ausschuss wurden Upload-Filter gestrichen, im nächsten waren sie verschärft wieder im Text. Im Ministerrat wird seit Februar parallel dazu eine eigene Version erstellt. Letztendlich landet alles beim federführenden Rechtsausschuss, der dann eine Kompromissversion zur Vorlage im Parlament erstellt.

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Gemeinfrei

Da der EuGH die Vorratsdatenspeicherung der Metadaten aus Telekomnetzen sowie im Flugverkehr deswegen verworfen hatte, weil eben sämtliche Daten aller Teilnehmer betroffen waren, spricht die EU-Kommission im Fall der Überwachung aller Uploads aller Teilnehmer in Sozialen Netzwerken von einer „Ausnahme“. (Die Anfrage der sechs Mitgliedsstaaten an die Rechtsabteilung des Ministerrats im Volltext)

Mitte Februar 2017 war der Kommissionsentwurf auch im Ministerrat eingelangt, der eine eigene Version der Copyright-Novelle erstellt hat.

Abrechnungssystem für Printverleger

Diese Anfrage geht direkt auf den ursprünglichen Ansatz Kommissar Oettingers zurück, der bei Weitem nicht nur Upload-Filter vorsieht. Vielmehr beschreibt diese Novelle zum EU-Copyright ein umfassendes Lizenz- und Rechtemanagementsystem samt Abrechnungsmechanismus vor allem für Printkonzerne, die für jeden Link mit Überschrift auf ihre Publikationen abkassieren wollen. Zu diesem Zweck muss allerdings erst erhoben werden, wann und wo solche, in Zukunft durch die geplante Coypright-Erweiterung „geschützte“ Inhalte hochgeladen werden. Dazu dient ebenfalls dasselbe Filtersystem, das politisch zwar als Schutz gegen „Piraterie“ verkauft wird, aber in erster Linie Verrechnungszwecken dient. Kritiker bezeichnen das als „Linksteuer“ für die Copyright-Industrie.

Die große Verblüffung

Die Verblüffung über die aktuellen Vorschläge der estnischen Ratspräsidentschaft hat zweierlei Gründe. Zum einen gilt der estnische EU-Vizepräsident Andrus Ansip, dem das Kommissariat für Digitalisierung untersteht, als sehr aufgeschlossen in Bezug auf die digitale Ökonomie. Estland wiederum liegt bei der Vernetzung des Landes und bei E-Government-Anwendungen einsam an der Spitze Europas. Gerade deshalb waren Beobachter des Verfahrens davon ausgegangen, dass die Argumente der digitalen Wirtschaft Europas Gehör finden würden, doch dem ist nicht so.

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Gemeinfrei

Aus den „Kompromissvorschlägen“ der Ratspräsidentschaft. Die befinden sich nicht im Haupttext, sondern in den beiden Annexen.

Mitte März hatte der Rechtsausschuss mit der Demontage des Kommissionsentwurfs begonnen. Die - sehr kritische - Berichterstatterin des Parlaments, Therese Comodini Cachia (EPP), wurde daraufhin abgezogen.

Die „Kompromissvorschläge“ der estnischen Ratspräsidentschaft ändern überhaupt nichts an den rundum kritisierten Regelungen zum Leistungsschutz und zu den Upload-Filtern, sondern sie verschärfen beide Punkte obendrein. Variante A zum Thema Filterpflicht ist eine in der Wortwahl etwas behübschte, aber sonst unveränderte Version des Oettinger’schen Entwurfs. In Variante B werden die Betreiber zu Verlegern und Soziale Netze zu Medien erklärt, was nicht nur für Publizistikwissenschaftler ein aufgelegter Unsinn ist.

Weitere estnische „Kompromisse“

Dieser Plan B widerspricht nicht nur der EU-Charta, sondern kollidiert auch mit der E-Commerce-Richtlinie, die seit dem Jahr 2000 gilt, nachgerade frontal. Dort werden die Betreiber explizit von jeder Haftung für die von Benutzern generierten Inhalte von Webplattformen entbunden. Sie müssen nur illegal veröffentlichten - weil durch Coyprights Dritter belegten - Content löschen, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden.

Ende April stimmte der Kulturausschuss mit überraschend großer Mehrheit gegen Upload-Filter. Dafür bekräftigte man die Notwendigkeit eines Leistungsschutzes für Verleger.

Nach demselben Muster ging die estnische Ratspräsidentschaft auch bei ihren „Kompromissen“ zum Leistungsschutzrecht der Verleger vor. Version A unterscheidet sich vom ursprünglichen Oettinger’schen Vorschlag, der von der Kritik als rückwärtsgewandt und extremistisch bezeichnet wurde, nur etwas im Wording, Version B legt dann noch einen drauf. Was da geplant ist, liegt auf der Hand: Version B dient dazu, Version A wie einen Kompromiss aussehen zu lassen.

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Gemeinfrei

Diese Passage betrifft direkt die „Linksteuer“ und lässt sich aus dem EU-Rotwelsch etwa so übersetzen: Wenn zumindest der Titel eines Artikels in einem Printmedium selbst produziert wurde, stellt das bereits eine „intellektuelle Schöpfung“ dar und es greift bereits dass „Leistungsschutzrecht“. Ob der Artikel selbst verfasst wurde oder ob er von einer Nachrichtenagentur übernommen wurde, ist unerheblich.

Opportunismus

Anfang Juni wurden im Binnenmarktausschuss dann sämtliche Änderungen revidiert, der ursprüngliche Kommissionsentwurf wurde noch verschärft.

Warum Estland hier völlig von seiner bekannt fortschrittlichen Linie abweicht und dafür eintritt, die europäischen Uhren der Digitalisierung in die Zeit vor dem Jahr 2000 zurückzudrehen, ist leicht erklärt. Für die sechsmonatigen Ratspräsidenten gilt in der EU als hauptsächlicher Maßstab des Erfolgs, wie viele Richtlinien und Verordnungen abgeschlossen wurden. Die Qualität der Arbeit ist dabei kein Kriterium, denn die Folgewirkungen treten immer erst Jahre später auf - wenn verunglückte Richtlinien deshalb auf nationaler Ebene schleppend oder überhaupt nicht umgesetzt werden, oder wenn sie gar der Europäische Gerichtshof (EuGH) verwirft. Die estnische Ratspräsidentschaft verhält sich also auf EU-Ebene genauso opportunistisch wie nationale Regierungen, die in ihrem Land Stimmung gegen EU-Regelungen machen, die sie selbst davor im Ministerrat mitbeschlossen hatten.

Wie es nun weitergeht

Was den nächsten Schritt betrifft, so ist in Brüsseler Kreisen nun von frühestens Mitte Oktober die Rede. Dass der Richtlinienentwurf tatsächlich in einem Monat abstimmreif ist, scheint angesichts des Status quo sehr unwahrscheinlich. Und auch dann ist seine Zukunft ungewiss, denn im federführenden Justizausschuss waren die Upload-Filter bereits im März einmal aus dem Text geflogen, beim Leistungsschutzrecht wurde die Beweislast umgekehrt: Verlage müssen erst einmal nachweisen, für welche „Leistungen“ sie Anrecht auf Vergütung haben. Diese Änderungen wurden im Kultur- und Binnenmarktausschuss wieder umgedreht.

Mehr zu diesem Thema

Die Anfrage der sechs Mitgliedsstaaten an die Rechtsabteilung des Ministerrats im Volltext

Die „Kompromissvorschläge“ der estnischen Ratspräsidentschaft im Volltext

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