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In australien

Valerie Kattenfeld

Inspirierende Höhenflüge in Down under

Von Valerie Kattenfeld

„Come on! You can do it!“ ruft mir Chris zu, der unter mir im blauen, klaren Wasser schwimmt. Mein Couchsurfing-Host führt mich an diesem Nachmittag durch den Daintree Rainforest an der Nordostküste von Australien.

Ich stehe auf einem fünf Meter hohen Felsen und starre hinunter. Ob das Wasser wirklich tief genug ist? Was, wenn ich mich nicht weit genug vom Felsen abstoße und mich beim Fallen verletze? Mein Puls steigt und mein innerer Monolog hört sich in etwa so an: „Okay ich mach’s. Oh Gott. Aber es ist so hoch. Ich trau mich nicht. Aber es wäre echt cool, wenn ich’s schaffen würde. Soll ich?“ Chris beginnt einen Countdown. „Five. Four. Three. ...“ Immerhin habe ich schon den Ausfall der Bremsen meines Toyota Kombis auf der Great Ocean Road vor zwei Wochen überlebt. Tauchen am Great Barrier Reef. Und Läuse in Neuseeland. Also was soll’s? Wird schon schief gehen... Oder?! „Two. One. Gooooo!!!“

Ich nehme Anlauf und springe. Ich, die sich bislang noch nicht mal vom Drei Meter Brett im Schwimmbad getraut hat. Ich lande im kühlen, frischen Wasser. Um mich nur der Wald, Vogelgezwitscher und ein kleiner Wasserfall.

„Yeah!! Awesome!“ ruft Chris, während ich mein Bikinioberteil wieder zurecht rücke. Ich hab’s gemacht. Wieder mal raus aus der Komfortzone. Es fühlt sich fantastisch an.

Seit einem knappen Monat bin ich in Australien und liebe es. Ich war mit einer ausgewanderten Freundin am Mount Remarkable campen. Zum Muttertag habe ich in der Sydney Opera „Mamma Mia!“ und andere ABBA-Songs mit fünfhundert anderen Musik-Begeisterten gesungen. Und ich war auf einem Roadtrip. Wenn wer entlang der Küste Südaustraliens fahren will, dann empfehle ich den Coroong National Park, den Scenic Drive bei Beachport und den Patrified Forest bei Cape Bridgewater. Von einer fast surrealen Schönheit war Coroongs weite Landschaft mit ihrem seichten graublauen Wasser, den plastikroten Pflanzen und krakeligen Bäumen. Und das Beste: ich war dort vollkommen alleine. Kilometerweit kein Mensch außer mir.

In australien

Valerie Kattenfeld

Wenn ich neuen Bekanntschaften offenbare, dass ich alleine auf Weltreise bin, ist deren Reaktion meist diese: anerkennendes Kopfnicken und ein kurzes bejahendes Statement wie „Respekt!“. Sehr oft gefolgt von einem Kommentar, wie „Als Frau alleine? Mutig!“ Und das ärgert mich. Weil das für mich ein Indiz dafür ist, dass Frauen - wenn auch unbewusst - weniger zugetraut wird. Aber wieso?

Zum Reisen brauche ich nicht viel mehr als Budget für die Transporte und einen offenen Geist, um all die Eindrücke auf mich wirken zu lassen. Ich kann bei diesen Voraussetzungen keinen geschlechtsspezifischen Unterschied feststellen. Natürlich braucht es auch Wachsamkeit, etwa bei der Beobachtung des Umfelds und des Gepäcks. Nachts sollte man nicht unbedarft durch jedes Viertel streifen. Passieren kann immer was, jedem. Man kann ausgeraubt/beklaut werden, einen Unfall haben oder krank werden. Immer, überall. Männlein wie Weiblein, zu Hause wie auf Reisen.

Bis jetzt ist mir tatsächlich noch nichts Schlimmes passiert. Trotz Trampen, trotz Übernachten bei Fremden, trotz eigenmächtiger Favela Ausflüge. Ich vertraue, statt mich von meinen Ängsten lähmen zu lassen. Und ich bin vorsichtig. Ohne diese Haltung hätte ich die Reise niemals antreten können. Im Sinne der self-fulfilling prophecy bin ich überzeugt davon, dass wir die Meisterinnen und Meister unserer eigenen Realitäten sind. Viel mehr, als uns bewusst ist.

In australien

Valerie Kattenfeld

An einem sonnigen Samstag Nachmittag spaziere ich durch Sydneys entzückendes Viertel Paddington. Es gibt einen Wochenendmarkt mit Kunsthandwerk und ein Fotografie-Festival. Mir gefällt die Art, wie die Stadt mit ihren Bewohnern kommuniziert. An manchen Schaufenstern liest man Hinweise wie „slow fashion“, „made in Australia to support local industry“ oder „child labor free“. Auf der Tafel eines Cafés steht mit Kreide: „Because when you stop and look around this life is pretty damn amazing.“

Ich bin auf dem Weg zu einer Ausstellung des japanischen Architekten Shigeru Ban in der Sherman Foundation for Contemporary Art. Als ich dort ankomme, finde ich einen Flyer: Filmpräsentation und Podiumsdiskussion mit Ronni Kahn. Heute Nachmittag, Beginn in neunzig Minuten. Wie sich später herausstellen sollte, hätte mir ein besserer Zufall nicht passieren können.

Ronni Kahn ist die Gründerin des Unternehmens Ozharvest, das Lebensmittel, die von kommerziellen Supermärkten weggeworfen werden, vor der Mülltonne rettet. Sie werden in niederschwelligen Märkten angeboten, frei nach dem Motto: „Take what you need and give, if you can.“ Ronni wurde 2010 zum australischen Local Hero gekürt und hat Unterstützerinnen auf der ganzen Welt - etwa Jamie Oliver und Camilla, die Herzogin von Cornwall, die Ozharvest nun nach England bringen wollen. Soeben hat sie den Dokumentarfilm „Waste Nation“ gedreht, der ein Plädoyer für einen achtsameren Umgang mit Nahrung ist.

Eloquent und leidenschaftlich spricht sie mit der Moderatorin über ihre Erfolgsgeschichte. Ihre Begeisterung ist rückhaltlos ansteckend, ich höre gebannt zu. Sie ist voller Geschichten, die nur so aus ihr heraussprudeln. Ronni prahlt nicht, da ist kein Funken künstliches Aufplustern oder Selbstbeweihräucherung. Das Publikum durchschwimmt mit ihr ein Wechselbad an Emotionen: Hoffnung, Ärger, Schuld und Stolz.

Ihre Erzählungen sind so intensiv, dass dem halben Saal die Tränen runterlaufen, der Moderatorin und ihr selbst inklusive. Dann schimpft sie unerbittlich über Plastikverpackungen, dann lacht sie wieder laut und herzlich. Stets mit ausschweifenden Gesten, die ihre Armbänder zum Baumeln bringen. Eine Frau, die vollkommen von ihrer Mission überzeugt ist und der man sich nicht entziehen kann.

In australien

Valerie Kattenfeld

Bei einem Glas Rotwein nach dem Vorab-Filmscreening erzähle ich Ronni von meinem Plan: ich möchte eines Tages mein eigenes Theaterhaus haben und durch Kunst einen Dialog zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten und konträren politischen Gruppierungen ermöglichen. Mit Vorurteilen aufräumen und mich für mehr Toleranz und Verständnis oder eigentlich: mehr Liebe!! einsetzen.

Ronni beglückwünscht mich zu meinem Vorhaben und gibt mir einen Buchtipp mit auf den Weg: „The Big Magic“ von Elizabeth Gilbert. Darin schildert die Autorin, die mit „Eat. Pray. Love.“ berühmt geworden ist, ihre persönliche Anleitung zum Mutig-Sein. Alles beginnt mit einer Idee, die sozusagen an die Tür klopft. Es liegt an uns, ob wir die Idee zulassen. Ob wir uns ihr mit Hingabe widmen oder sie wegschicken, weil wir uns das nicht zutrauen. Uns überfordert fühlen. Uns die Zeit nicht nehmen. Oder Angst vorm Scheitern haben.

Wer will, der findet Ausreden ohne Ende, warum er oder sie etwas nicht tun sollte. Ganz egal, worum es geht: die Forderung nach einer Gehaltserhöhung, jemanden ansprechen oder ein Unternehmen gründen. Sich hinstellen und sagen, oder besser: MACHEN, was man will, erfordert Mut. Und diesen Mut bringt man nur auf, wenn man die nötige Leidenschaft dafür besitzt. Wenn einem das, was erreicht werden kann, so wichtig ist, dass man dafür seine Komfortzone verlässt. Dass man Anlauf nimmt und vom Felsen springt. Gefühle zeigt. Job wechselt. Eine Demonstration organisiert. Oder eben auf Weltreise geht. Ich glaube, dass jeder das Zeug dazu hat. Egal, was er oder sie erreichen möchte. Ronni hat mich nachhaltig inspiriert, weil sie mir eines ganz klar vor Augen geführt hat: wer fest an seine Idee glaubt, kann verdammt weit kommen.

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Valerie Kattenfeld

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